In der Forschung gibt es große Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern – auch in Luxemburg. Sensibilisierungsmaßnahmen, die dem entgegenwirken sollen, gibt es so einige. Aber wie effizient sind solche Initiativen?

Das Gender-Game GG wird als Workshop an kulturellen Veranstaltungen, als Teambuilding-Aktivität oder innerhalb von Bildungsinstitutionen angeboten. (Foto: Carole Blond-Hanten)
Frauen sind in den Wissenschaften unterrepräsentiert. Luxemburg schneidet diesbezüglich laut Zahlen des Berichtes der Europäischen Kommission „SheFigures“ aus dem Jahr 2021 sogar besonders schlecht ab: Beim Doktorandinnen-Anteil bekleidet das Großherzogtum den letzten Platz und in puncto führender Positionen, wie Professuren und Senior Researcher, den drittletzten.
„Stereotyppe gi fréi weiderginn a sinn déif verankert“, erklärt die am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) arbeitende Soziologin Carole Blond-Hanten im Gespräch mit der woxx. Gegen die horizontale Segregation am Arbeitsmarkt, also die geschlechtsspezifische Orientierung in unterschiedliche Arbeitssparten, könne, so Blond-Hanten, relativ „einfach“ vorgegangen werden. Etwa durch Sensibilisierung und mehr Vorbilder für Kinder. Schwieriger hingegen sei es bei der vertikalen Segregation, die die gläserne Decke betrifft. Ein Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Bericht: Bis zur Geschlechterparität bei führenden Wissenschaftsposten in Luxemburg ist es noch ein weiter Weg.
Die zentralen wissenschaftlichen und politischen Akteure kennen das Problem und versuchen ihm entgegenzuwirken. Research Luxembourg, ein Zusammenschluss der größten Forschungsinstitute Luxemburgs, drehte etwa im Jahr 2022 gemeinsam mit dem Ministère de l’Égalité des genres et de la Diversité (Mega) sechs Porträt-Videos von Wissenschaftlerinnen aus der luxemburgischen Forschung. Veröffentlicht wurden sie am 11. Februar, dem Tag, an dem jährlich der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft begangen wird. Die Videos, die sich hauptsächlich an eine junge Zielgruppe richten, sind auf science.lu, der luxemburgischen Wissenschaftsseite für die breite Öffentlichkeit, abrufbar. Bei dieser an sich begrüßenswerten Initiative sticht das „Soyez courageux“ im generischen Maskulinum ins Auge. Dies gilt für den Großteil der Inhalte auf science.lu.
Gute Ansätze, doch welche Reichweite?
So auch beispielsweise in einem Artikel von Mr. Science, einer vom Fonds national de la recherche (FNR) geschaffenen fiktionalen Figur, die Kindern und Jugendlichen Wissenschaften anhand von Artikeln sowie Video- und Radiobeiträgen näherbringt. Besagter Artikel handelt von den genderspezifischen Rosa-Blau-Zuschreibungen und deren historischem Ursprung. Sowohl die blaue Arbeitsuniform von Matrosen als auch aufkommende Marketingstrategien der 1950er-Jahre kommen zur Sprache. Im Artikel werden die Gefahren der Geschlechterstereotypen, „oder och […] aner Stereotyppen“ für das Individuum erkannt, da Letzteres sich „net optimal entwéckelen [kann]“. Auf gendergerechte Sprache wird jedoch verzichtet. Doch wie ernst kann diese Initiative gemeint sein, wenn schon die Sprache solch eine unüberwindbare Hürde darstellt? Dann hilft es auch nicht zu unterstreichen, dass „Wëssenschaftler probéieren ëmmer besser ze verstoen, wéi mir esou Stereotyppen iwwerwanne kënnen”.
Eine weitere Initiative zur Demokratisierung von Wissenschaft ist das kürzlich erschienene Handbuch „50 Essentials on Science Communication“, ein Projekt des FNR und der Universität Luxemburg. Das Buch ist kostenlos im Online-Format erhältlich, immerhin in diesem Aspekt ist die Demokratisierung gelungen. Bei Wissenschaftskommunikation geht es um die Vermittlung von Wissenschaft und Forschungsergebnissen an ein breites Publikum. Das Buch thematisiert wichtige Ansätze dieser Disziplin, indem etwa mediale Repräsentation oder auch die Nutzung einer für Lai*innen zugänglichen Sprache aufgegriffen werden. Auch die Gefahren von Fehl- und Desinformation werden hervorgehoben. Geschlechterungleichheiten werden jedoch lediglich mit einem Satz erwähnt: Es sei wichtig, diese zu thematisieren, um so Inklusion in der Wissenschaft zu fördern. Damit, so der Hinweis, solle die Förderung von Vielfalt und Gleichstellung in allen Wissenschaftsbereichen einhergehen. Wie das genau aussehen könnte, wird nicht erläutert. Im Gegenteil: Es wird nur in den Raum gestellt, dass unter anderem das Geschlecht die Empfänglichkeit einer Person für Wissenschaftskommunikation beeinflusse.
Doch es gibt auch Initiativen, die positiv auffallen. So etwa das am Liser entwickelte Gesellschaftsspiel Gender-Game GG. Das Spiel sei aus dem Bedürfnis heraus entstanden, Sozialwissenschaften spannend nach außen hin zu vermitteln, Wissenschaftskommunikation sei immerhin eine zentrale Aufgabe von Forscher*innen, erinnert Carole Blond-Hanten im Gespräch mit der woxx. „An den Naturwëssenschafte kann ee ganz flott Experimenter maachen. Mee fir mech war d’Fro: Wéi kann een déi sozialwëssenschaftlech Erhiewung an Auswäertung vun Donnéeën interaktiv an interessant vermëttelen?“ 2016 ins Leben gerufen, wird das Gender-Game GG als Workshop an kulturellen Veranstaltungen, als Teambuilding-Aktivität oder innerhalb von Bildungsinstitutionen angeboten. Das Zielpublikum ist also vielfältig: Kinder, Jugendliche und Erwachsene können teilnehmen und das sogar gleichzeitig, also generationsübergreifend. Das GG verfolgt zwei Zielsetzungen: Auf spielerische Art in Kontakt mit der wissenschaftlichen Forschung kommen und Geschlechterstereotype dekonstruieren. Angelehnt an die Forschungsfelder des European Institute for Gender Equality wurden für das GG vier Themenbereiche bestimmt: Arbeitswelt, Wissen, Macht und Gesellschaft.
Der Spielverlauf ist simpel: Nachdem gewürfelt wurde und das Maskottchen auf eines der Felder kommt, wird eine Frage aus dem entsprechenden Gesellschaftsbereich gestellt. Die Fragen beruhen auf Forschungsergebnissen bezüglich bestehender Geschlechterungleichheiten und sind vom Schwierigkeitsgrad her den Teilnehmer*innen angepasst. Fragen aus dem GG können etwa lauten: Wann haben Frauen das Wahlrecht in Luxemburg erlangt? Wer verbringt mehr Zeit mit Freizeitaktivitäten: Männer oder Frauen? Ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen höher in großen oder in kleinen Unternehmen? In welchem Jahr wurde die erste Frau Rechtsanwältin in Luxemburg? Wer hat mehr Freude am Lesen, Jungen oder Mädchen? Wer arbeitet eher in Teilzeit?
Die Teilnehmer*innen antworten zunächst einmal intuitiv, basierend auf ihren eigenen Eindrücken und Erfahrungen und diskutieren unter sich. „Et geet primär ëm den Austausch […], d’Kanner sollen sech ausdrécke kennen a jiddereen*t däerf zu Wuert kommen“, erklärt Blond-Hanten weiter. Das sei auch essenziell für das Erlernen von gelebter Demokratie und einer Diskussionskultur: Gegenseitiges Zuhören ermögliche es, andere Erfahrungen wahrzunehmen und zu reflektieren. Was sagen die anderen Teilnehmer*innen? Warum antworten sie anders? Was sind deren Argumente? Die Auseinandersetzung mit den eigenen verinnerlichten Annahmen und Positionen verlange kritisches Hinterfragen und führe oft, ausgehend von unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen, zu intensiven Debatten, beschreibt die Wissenschaftlerin ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Spiel. Im Austausch könne auf die Stereotype eingegangen werden, um sie im besten Fall zu dekonstruieren. Nach diesem ersten Teil des Spiels werden die Antworten aufgedeckt, indem die entsprechenden Forschungsergebnisse unter die Lupe genommen werden.
Zaghafte Umsetzung
In diesem Teil wird den Teilneh- mer*innen die Wissenschaftspraxis nähergebracht: Es wird erklärt, wie diese Ergebnisse zustande gekommen sind, wie eine Grafik gelesen wird, wie Daten erhoben werden oder wie die Forschungsmethodik die Endergebnisse beeinflusst. Wichtig ist, führt Blond-Hanten weiter aus, dass ein Bewusstsein für die Differenzierung zwischen dem persönlich Erlebten und dem wissenschaftlich Erforschten entsteht. Durch eine spielerische Herangehensweise nähern sich also die Teilnehmer*innen wissenschaftlicher Praxis an. Doch „et sinn ëmmer déi selwecht Elteren, déi op esou Science Festivals kommen“, bedauert die Soziologin. Das Spiel kommt deshalb zusätzlich in Schulen und Jugendhäusern zum Einsatz. Das Lehrpersonal, Sozialpädagog*innen aber auch alle weiteren Interessierten können eine Veranstaltung mit dem GG über die Internetseite http://www.gender-game.lu/ für ihre Institution gratis buchen. Dies ermöglicht es, die Reichweite und das Zielpublikum auszudehnen, doch setzt es auch Eigeninitiative und Bewusstsein seitens der Organisator*innen voraus.
Auf die Frage nach der Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen hin listet Carole Blond-Hanten eine Reihe von gemeinsamen Projekten mit Forschungsinstituten wie dem Luxembourg Institute of Science and Technology (List), die Auftragsstudie des Centre d’information et de documentation Femmes et Genre (Cid Fraen an Gender) sowie finanzielle Unterstützung durch das FNR und das Mega auf. Sowohl der Mega-Katalog als auch das Portal science.lu führten außerdem Tools für sozialpädagogisches Personal und Bildungskräfte auf, die im Themenbereich Geschlechtergleichstellung aktiv werden möchten.
Blond-Hanten erwähnt zudem die „Gender Working Group“, die sich aus Vertreter*innen der Universität Luxemburg und den öffentlichen Instituten Liser, List und Luxembourg Institute of Health (LIH) zusammensetzt und vom FNR koordiniert wird. Diese Arbeitsgruppe setzt sich für Geschlechtergleichheit in der Forschung in Luxemburg ein, indem unter anderem sämtliche vertretenen Forschungsinstitute einen „Gender Equality Plan“ entwickelt haben. Letzterer soll Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der jeweiligen Institute fördern. Trotz qualitativer Arbeit, so Blond-Hanten weiter, bleibe auch hier die Frage offen: Was wird dann schlussendlich umgesetzt? Sie verortet die Ursachen des Status quo am zögerlichen Umsetzen bei der Leitung der Institutionen.
Die zuständigen Ministerien ihrerseits zeigen sich zwar unterstützend, solange es aber keine verpflichtenden Regeln gibt, werden die bereits vorhandenen pädagogischen Angebote nur sporadisch genutzt. An Maßnahmen, die zumindest mittel- oder langfristig etwas bewirken könnten, fehlt es ebenfalls: Die Einführung von Genderkursen, das Überarbeiten von Schulbüchern, der breite Einsatz gendergerechter Sprache, der Ausbau der „Instruction Civique“-Kurse, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Davon, Geschlechterungleichheiten auf struktureller Ebene anzugehen, gar nicht erst zu sprechen.