Geschlechtsspezifische Gewalt: Gefährliche Sparmaßnahmen

von | 27.11.2025

Zur Orange Week stehen Femizide und Gewaltzahlen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei bleibt oft unerwähnt, wie politische Entscheidungen selbst Gewalt befeuern.

Mangelnde Gleichstellung ist ein Treiber geschlechtsspezifischer Gewalt. (Foto: Melanie Czarnik)

Rund um den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November kocht die Berichterstattung zum Thema hoch, befeuert durch immer neue steigende Zahlen. Dieses Jahr bildet da keine Ausnahme: Nach aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen wird fast alle zehn Minuten ein Mädchen oder eine Frau von einem Familienmitglied oder Partner getötet. Werden alle Femizide berücksichtigt, sind es deren gar alle sechseinhalb Minuten. Erst Mitte November hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Bericht veröffentlicht, nach dem jede dritte Frau in ihrem Leben sexualisierte oder physische Gewalt erfahren hat. Die erschreckenden Zahlen lassen vergessen, dass geschlechtsspezifische Gewalt weit über individuelle Taten hinausgeht: Politische Entscheidungen spielen hierbei oft die Rolle des Brandbeschleunigers geschlechtsspezifischer Gewalt.

Austeritätspolitik trifft mit ihren typischen Kürzungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich Frauen genau dort, wo fehlende Gleichberechtigung sie ohnehin besonders gefährdet. „Jeder Arbeitsplatz, der prekärer wird, bedeutet einen Verlust finanzieller Unabhängigkeit. Jeder gestrichene Betreuungsplatz zwingt eine Arbeitnehmerin, ihre Arbeitsstunden zu reduzieren. Jede Rentenkürzung macht Frauen finanziell abhängig oder drängt sie in die Armut“, stellt Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin des „Europäischen Gewerkschaftsbundes“ in einem am vergangenen Dienstag veröffentlichten Schreiben fest. „Am Ende führt all das dazu, dass mehr Frauen länger der zunehmenden männlichen Gewalt ausgesetzt sind.“

Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist ein schützender Faktor, Armut und Prekarität erhöhen das Gewaltrisiko.

Bereits 2022 zeigte ein Bericht der NGO Oxfam, dass Sparpolitik Frauen besonders hart trifft: Sie nimmt ihnen hochwertige Arbeitsplätze, verlagert weitere unbezahlte Care-Arbeit auf ihre Schultern und schwächt zugleich zentrale öffentliche Dienste. „Austeritätspolitiken, die Frauen, Mädchen und nicht-binäre Menschen körperlich, emotional oder psychisch schaden, sind eine Form von Gewalt“, sagt Oxfam klar. So zeigte eine gemeinsame Studie der Hertie School und der Humboldt-Universität Mitte dieses Jahres: Während Trennungen ohnehin ein hohes Risiko für häusliche Gewalt bergen, steigt dieses an, wenn Frauen wirtschaftlich abhängig sind. Besonders arbeitslose und gering qualifizierte Mütter minderjähriger Kinder haben während einer Trennung ein deutlich erhöhtes Gewaltrisiko. Als Gegenmaßnahmen fordern sowohl die Studie als auch Oxfam zum einen größere Investitionen in Gesundheitsversorgung, soziale Dienste, Bildung und Kinderbetreuung, zum anderen eine Stärkung der Arbeitsmarktintegration von Frauen.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist ein schützender Faktor, Armut und Prekarität erhöhen das Gewaltrisiko. Jüngste Berichte der CSL und des Statec zeigen, dass Alleinerziehende und Kinder in Luxemburg am stärksten von Armut betroffen sind. „Déi lénk“ wies Mitte des Monats darauf hin, dass Frauen wegen des Gender-Pay-Gaps statistisch gesehen seit dem 17. November umsonst arbeiteten, und der „Cid Fraen an Gender“ erinnerte Ende März dieses Jahres an den „Gender-Pension-Gap“: Immerhin belegt Luxemburg hier mit 36 Prozent den drittletzten Platz in der EU. Die Gender-Dimension müsse bei zukünftigen Rentenreformen berücksichtigt werden, so der Cid. Konstant warten rund 60 Frauen auf einen Platz im einzigen im Land tätigen Frauenhaus, weil viele der bereits aufgenommenen Frauen sich auf dem privaten Markt keine eigene Wohnung leisten können. Von einer Gleichstellung der Geschlechter, der wirksamsten Präventionsmaßnahme im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, sind wir hierzulande noch weit entfernt. Dennoch bildet das Ministerium für Gleichstellung und Diversität auch 2026 mit lediglich 0,11 Prozent der Gesamtausgaben erneut das finanzielle Ende der Prioritätenliste. Es mangelt am politischen Willen dieser neoliberalen CSV-DP-Regierung, die lieber kurzfristige finanzielle Interessen bedient, statt mit Weitsicht Investitionen an den richtigen Stellen zu tätigen. Dabei könnten mit einer richtigen Präventionsstrategie Kosten in Milliardenhöhe eingespart werden – Gewalt hat teure Konsequenzen.

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