Gesundheit: Übergewicht ist keine Krankheit

Zum Welt-Adipositas-Tag am vierten März veröffentlichte die Luxemburgische Vereinigung zur Erforschung von Adipositas (Laso) ein Webinar mit dem Ziel, Vorurteile abzubauen.

(Foto: World Obesity Federation)

Etwa ein Drittel der Bevölkerung im Großherzogtum Luxemburg ist übergewichtig, 16,5 % der Erwachsenen leben mit Adipositas. Die während eines Webinars der Luxemburgischen Vereinigung zur Erforschung von Adipositas (Laso) am 4. März präsentierten Zahlen zeigen, dass Luxemburg in puncto Übergewicht im europäischen Durchschnitt liegt. Doch Übergewicht sagt für sich genommen nichts über den Gesundheitszustand einer Person aus. Auch die Bewertung des Gewichts über den im 19. Jahrhundert entwickelten Body Mass Index (BMI), die immer noch in Arztpraxen genutzt wird, gilt als zunehmend unhaltbar. Denn der BMI berücksichtigt weder die Körperzusammensetzung (Verhältnis von Wasser, Fett- und Muskelmasse) noch die Fettverteilung oder individuelle Gesundheitsmarker.

Mit dem Webinar setzte Laso ein Zeichen gegen die Stigmatisierung einer noch wenig verstandenen Erkrankung. „Ist Adipositas ein Problem von Menschen, die zu viel essen und sich zu wenig bewegen?“, lautete die Eröffnungsfrage der knapp 50-minütigen Online-Veranstaltung, in der neben Ärzt:innen und Forschenden auch ein Betroffener und eine Journalistin zu Wort kommen. Die Antwort ist komplex: Adipositas ist eine multifaktorielle Erkrankung, die durch ein Zusammenspiel aus genetischen, hormonellen, psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren entsteht. Genau deshalb brauche es eine differenzierte Aufklärung, um Vorurteile abzubauen und wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze statt Schuldzuweisungen in den Mittelpunkt zu stellen.

„Es ist wichtig klarzustellen, dass Übergewicht zwar ein Resultat von Adipositas sein kann, aber nicht deren Ursache ist“, erklärte Dr. Hatem Jabbes, Arzt und Vorstandsmitglied der Laso. Wenn Prävention und Behandlung nur auf Essverhalten und Bewegung reduziert werden, führt das zur Stigmatisierung von Betroffenen – und kann die Situation sogar verschlimmern. Stattdessen müsse der Behandlungsansatz so individuell sein wie die Erkrankung selbst. „Adipositas ist eine komplexe, chronische Erkrankung, die nicht allein durch Willenskraft überwunden werden kann“, betonte Jabbes. Deshalb ist es entscheidend, dass Betroffene nicht nur medizinische Unterstützung erhalten – sei es durch Medikamente, Psychotherapie oder chirurgische Eingriffe –, sondern auch gesellschaftlich entstigmatisiert werden.

Medien formen die Wahrnehmung

„In einer Welt, in der Fehlinformationen über Social Media rasend schnell verbreitet werden, ist die Rolle der klassischen Medien besonders wichtig“, sagte Journalistin Dorra Ben Abdelkader. Zur Entstigmatisierung von Adipositas sieht sie auch Redaktionen in der Verantwortung. Die Wahl der Bilder in Artikeln zum Thema sei ebenso entscheidend wie eine personenzentrierte Sprache. Viele Medien verwenden Begriffe wie „Übergewichtige“ und „Fettleibige“, statt „Menschen, die mit Adipositas leben“ oder „Person mit Adipositas“. „Eine Person ist ein Mensch und keine Krankheit“, betonte Ben Abdelkader – und genau diese Haltung müsse sich auch in der Prävention widerspiegeln. Die Welt-Adipositas-Vereinigung hat eigens dazu eine kostenlose Bilddatenbank aufgebaut, bei der Medienvertreter*innen vorurteilsfreie Bilder zur redaktionellen Nutzung finden.

Einen Tag vor dem Welt-Adipositas-Tag, am 3. März, beantwortete die Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV) eine parlamentarische Anfrage des LSAP-Abgeordneten Mars Di Bartolomeo zum Thema Essstörungen. Adipositas wurde in der Antwort angesprochen, allerdings vor allem in Verbindung mit Störungen wie Binge-Eating. Während Prävention und Behandlung von Essstörungen thematisiert wurden, fehlte ein ganzheitlicher Blick auf Adipositas als chronische Erkrankung. Ein Beispiel für diesen Fokus auf Prävention ist das nationale Gesundheitsprogramm „Gesond iessen, méi beweegen“. Das Programm verfolgt das Ziel, gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung zu fördern – und setzt dabei bewusst auf nicht-stigmatisierende Botschaften sowie das Konzept des Mindful Eating, um Schuldgefühle zu vermeiden. Doch ohne eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Komplexität der Erkrankung läuft das Programm Gefahr, gesellschaftliche Vorurteile ungewollt zu verstärken. Ein starker Fokus auf Ernährung und Bewegung kann suggerieren, dass Übergewicht als Folge von Adipositas doch eine Frage des Lebensstils sei und durch eigenes Verhalten angemessen angegangen werden könne. Ein sinnvoller Ansatz wäre, Verbände wie Laso in die Gestaltung der Präventionsmaßnahmen einzubeziehen, um sicherzustellen, dass die Angebote realitätsnah und wissenschaftlich fundiert sind.

 


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