Im Kino: Mid90s

In seinem dokumentarisch anmutenden Jugenddrama über eine Gruppe von Skatern gelingt es Jonah Hill nicht, mehr als nur einen oberflächlichen Eindruck dieses Milieus zu vermitteln.

Fuckshit und Fourth Grade verbringen jeden Tag mit Skaten und Filmen. (Foto: Filmcoopi Zürich AG/outnow.ch)

„Der Hauptgrund, weshalb ich Filme mache, ist, um klassische Männlichkeitsbilder in Frage zu stellen. In den 90ern bedeutete Männlichkeit in den USA, auf keinen Fall Gefühle zu zeigen oder verletzlich zu sein. Das galt als ‚weiblich’ oder, Gott bewahre, als ‚schwul’“. Mit diesen Worten beschrieb Jonah Hill auf der Berlinale im Februar seinen Erstlingsfilm „Mid90s“. Als Setting, um Männlichkeit zu erforschen, hat er das Skater-Milieu gewählt.

Im Zentrum steht der 12-jährige Stevie (Sunny Suljic), der mit seiner alleinerziehenden Mutter (Katherine Waterston) und seinem zu psychischer Gewalt neigenden älteren Bruder (Lucas Hedges) zusammenlebt. Als Stevie eines Tages wieder einmal alleine unterwegs ist, wird er auf eine Gruppe etwas älterer Teenager aufmerksam. Sowohl ihre Fähigkeit zu skaten als auch ihr fehlender Respekt vor Autoritätspersonen scheinen Stevie umgehend zu imponieren. Es ist offensichtlich, dass er nicht wirklich daran interessiert ist, ein Skater zu werden. Was ihn zu diesen Jungs hinzieht, ist sein Bedürfnis nach Freundschaft und Abenteuer. Und so schleust er sich in die Gruppe ein.

„Mid90s“ handelt von den kleinen Momenten und Begegnungen im Leben, die manchmal eine große Wirkung haben können. Auch wenn wir immer wieder flüchtige Einblicke in die Skater-Kultur erhalten, so richtet sich Hills Hauptinteresse auf Stevies generelles Bedürfnis, dazuzugehören. Er eignet sich nicht nur den Sprachgebrauch und Drogenkonsum der Jungs an, sondern ist sogar bereit, für ein bisschen Respekt sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Trotz des dokumentarischen Charakters des Films erhalten Hills Figuren keine rechte Eigendynamik. Fourth Grade (Ryder McLaughlin), dessen Kosename auf seine intellektuellen Fähigkeiten hindeuten soll, ist derart ruhig, dass man schon mal vergisst, dass er da ist. Rubens (Gio Galicia) Beteiligung besteht irgendwann nur noch aus neidischen Blicken auf Stevie, der bei der Gruppe auf größere Anerkennung stößt, als er selbst. Ray (Na-Kel Smith), der Leader der Gruppe, scheint nur als weiser Lebensberater für Stevie zu funktionieren.

Bis zuletzt hält Hill die Distanz zwischen dem Publikum und seinen Figuren aufrecht. Das trifft auf niemanden mehr zu als auf Stevie, der sich recht unvermittelt von einer Identifikationsfigur in einen unnahbaren Menschen verwandelt. Plötzlich ist aus einem schüchternen, neugierigen, leicht zu begeisternden Jungen ein egoistischer, aggressiver Rüpel geworden. Neben den Verhaltensweisen, die er sich bei seinen älteren Vorbildern abgeschaut hat, ist nicht mehr viel von seiner eigenen, individuellen Persönlichkeit übrig geblieben. Obwohl er es in seinem bisherigen Leben nicht leicht hatte, ist sein Absturz nur schwer nachzuvollziehen. Die Gruppe von Jungs soll eine Art Ersatzfamilie für ihn darstellen – weshalb sie ihn so bereitwillig in ihrer Mitte aufnehmen, wird jedoch nie richtig klar.

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Mid90s“ ein beachtliches filmisches Kunstwerk ist. Kameraarbeit (der Film wurde auf 16mm gedreht), Outfits, Inneneinrichtungen und Soundtrack versetzen uns unmittelbar in die 1990er-Jahre. Wenn auch nur oberflächlich und teilweise klischeebeladen, so wirft der Film dennoch einen ungewohnt ehrlichen Blick auf die destruktiven Dynamiken, die Gruppenzwang und Unsicherheit hervorbringen können. Und auch wenn es den Figuren etwas an Komplexität mangelt, so verfehlt der Film dennoch nicht seine emotionale Wirkung.

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Bewertung der woxx: XX


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