Im Kino: Portrait de la jeune fille en feu

„Portrait de la jeune fille en feu“ zeigt das entfesselte Begehren zwischen zwei völlig ebenbürtigen Frauen – ein starkes feministisches Statement, das unter queeren Filmen seinesgleichen sucht.

Fotos: m2k Films

Was unzähligen queeren Filmen gemeinsam ist, ist der Altersunterschied zwischen den Liebenden. Als könnte sich sexuelles Begehren nur aufgrund eines hierarchischen Verhältnisses entwickeln. Das ist nur eine von vielen Konventionen des queeren Films, die Céline Sciamma in ihrem neusten Werk „Portrait de la jeune fille en feu“ unterwandert.

Der Film spielt auf einer Insel der französischen Bretagne des 18. Jahrhunderts. Die Malerin Marianne (Noémie Merlant) wurde von einer Gräfin damit beauftragt, ein Porträt ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) anzufertigen, auf dessen Grundlage sich ein potenzieller Freier entweder für oder gegen eine Ehe mit ihr entscheiden soll. Héloïse würde jedoch lieber ins Kloster zurück und lehnt eine Hochzeit ab. Marianne soll sich deshalb als Spazierbegleitung ausgeben und Héloïse ohne ihr Wissen porträtieren. Und so bemüht erstere sich nach Kräften, sich tagsüber Héloïses Gesichtszüge einzuprägen, um diese abends zeichnen zu können. Dieser entgehen die eindringlichen Blicke ihrer neuen Begleiterin nicht, die sie erst irritieren, die sie dann aber mit zunehmendem Verlangen erwidert.

Das Begehren, das nicht ausgesprochen werden kann, offenbart sich stets als erstes durch den Blick. Wie etwa bei Ennis und Jack in „Brokeback Mountain“ (2005) oder den Protagonistinnen in „Naissance des pieuvres“ (2007) und „Carol“ (2015) signalisiert dieser zunächst Neugierde, wenn nicht gar Faszination. Der Blick, der derart gegen gesellschaftliche Normen verstößt, ist aber immer auch noch etwas anderes: die Selbstunterwerfung gegenüber dem eigenen Begehren, allen Risiken zum Trotz. Was Sciammas Blickinszenierung in „Portrait“ darüber hinaus so besonders macht, ist, dass es keine aktive und keine passive Seite gibt: Sowohl Marianne als auch Héloïse sind zugleich Betrachtende und Betrachtete. Damit hebt sich dieser Blick dezidiert vom sogenannten „male gaze“ ab: Indem es im Film fast keine männlichen Figuren gibt, ist dieser sogar im engsten Sinne abwesend.

Im Inneren des beeindruckenden Anwesens, das Héloïse und ihre Mutter bewohnen, dominieren strenge Kompositionen, die analogisch das enge Korsett der sozialen Konventionen darstellen. Denn auch wenn in „Portrait“ keine explizite Homofeindlichkeit vorkommt, so brodeln heteronormative Vorstellungen doch stets unter der Oberfläche. Während Héloïse das Gefühl hat, keine andere Wahl zu haben, als sich diesen zu unterwerfen, kommt sie durch Marianne zum ersten Mal mit einer emanzipierten Lebensweise in Kontakt. Die kontrastierenden, durch offene Landschaften charakterisierten Außenaufnahmen können als Visualisierung dieser so verlockenden wie bedrohlichen Alternative gesehen werden. Ebenso wie Héloïses zunächst versteinerter Gesichtsausdruck nach und nach an Ausdruckskraft gewinnt, so steht auch der Kontrast zwischen ihrem schweren, beinahe jeden Zentimeter ihres Körpers bedeckendes Kleids, und dem Moment, wo sie zum ersten Mal nackt neben Marianne im Bett liegt, symbolisch für ihre Öffnung gegenüber einer Erfahrung weit jenseits der Norm.

Bereits in Lisa Cholodenkos „High Art“ (1998) wurden künstlerisches und sexuelles Interesse zwischen zwei Frauen miteinander verwoben. Doch hier gab es die eine, die verführte und die andere, die verführt wurde. In „Portrait“ besteht nicht einmal in dieser Hinsicht ein Ungleichgewicht. Es gibt keine Über- oder Unterlegenheit, kein Katz-und-Maus-Spiel, nicht die eine, die mutiger oder die andere, die zögerlicher wäre.

Der Triumph von „Portrait“ liegt ohne Zweifel darin, sexuelle Intimität zwischen zwei Frauen zu zeigen, die gänzlich ohne Inszenierung für den männlichen Betrachter und ohne bestrafendes Ereignis auskommt. Dennoch stellt man fest, dass das noch nicht ausgelebte Begehren eine weitaus erotischere Wirkung hat als die letztlich stattfindende Berührung. Ein Grund dafür könnte in der zurückhaltenden Inszenierung jener körperlichen Intimität liegen. Ein kleiner Wermutstropfen innerhalb eines ansonsten an Perfektion grenzenden Films.

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