Nach „The Father” kommt mit „Supernova” innerhalb kurzer Zeit bereits der zweite Film in die Kinos, der sich mit dem Thema Demenz befasst. Vor allem dank seines hervorragenden Schauspielerduos Colin Firth und Stanley Tucci gelingt Regisseur Harry Macqueen ein intimes und überaus berührendes Werk.
„We’re not going back”, sagt Sam (Colin Firth) zu seinem Partner Tusker (Stanley Tucci). Sie stehen am Anfang einer Reise: Ihr in die Jahre gekommener Camper mit Europa-Sticker an der Stoßstange und zotteligem Hund im Körbchen, zuckelt über die pittoresken Landstraßen des englischen Lake District. Damit meint Sam, dass sie auf keinen Fall umkehren werden, falls Tusker beim Packen wieder einmal etwas Wichtiges vergessen hat. Am Ende ihrer Reise soll Pianist Sam ein Konzert geben, auch ein Besuch bei Familie und Freund*innen ist geplant, aber tatsächlich ist die Fahrt vor allem ein Abschied von dem Leben, das sie bisher kannten. Beide Männer sind Anfang sechzig, seit zwanzig Jahren ein Paar, aber über ihrer gemeinsamen Zeit liegt ein Schatten: Bei Tusker wurde früh einsetzende Demenz diagnostiziert.
Der Titel „Supernova” klingt erst mal eher nach Katastrophenfilm als nach Beziehungsdrama. Macqueens Werk ist aber alles andere als spektakulär, sondern sehr klassisch erzählt und inszeniert, vielleicht sogar ein wenig vorhersehbar. Die klare Struktur bietet vor allem den Hauptdarstellern viel Raum zu glänzen. Der Begriff „Supernova” bezieht sich auf Tuskers Begeisterung für Astronomie. Nach Einbruch der Dunkelheit bauen die Männer ihr Teleskop auf und schauen den Sternen beim Verglühen zu. So präzise beobachtet auch Macqueen seine Figuren, stellt die Beziehung und die Krankheit in den Mittelpunkt, sodass es ihm gelingt, diese Themen in 90 Minuten mit großer Ernsthaftigkeit, aber nicht ohne Humor zu ergründen. Dabei legt er thematisch erstaunlich viele Schichten frei: Liebe, Verbundenheit, Intimität, aber auch Irritation, Hilflosigkeit, Routine.
Beide Schauspieler kennen sich seit Jahren und diese große Vertrautheit ist auf der Leinwand spürbar. Schon nach wenigen Minuten vergisst man, dass hier zwei Weltstars agieren. Besonders Colin Firth verleiht seiner Figur große Tiefe und zeigt Facetten seines Spiels, die bisher noch nicht auf der Leinwand zu sehen waren.
Anfangs sollte übrigens Firth den an Demenz erkrankten Tusker spielen und Tucci die Rolle des Sam übernehmen, aber kurz vor Drehbeginn schlugen die Darsteller dem Regisseur vor, ihre Parts zu tauschen. Eine weise Entscheidung, wie sich zeigt. Auch in der Handlung selbst verkehren sich die Rollen. „Ich möchte nicht zum Passagier meines Lebens werden”, sagt Tusker zu Sam. Während Tusker um seine Eigenständigkeit bangt, fürchtet sich Sam vor allem vor der Einsamkeit. Obwohl die Pflege seines Partners und die Sorge um ihn belastend sind, fällt es ihm noch schwerer, sich ein Leben ohne Tusker vorzustellen.
Kritisieren könnte man, dass wie so oft zwei heterosexuelle Schauspieler ausgewählt wurden, um ein schwules Paar zu verkörpern. Dafür erfüllt der Film aber eine Forderung, die Kritiker*innen regelmäßig an Produktionen mit homo- oder bisexuellen Charakteren stellen: Homosexualität wird nicht problematisiert, sondern ist ein selbstverständlicher Teil der Geschichte. Es wäre deshalb auch schade, den Film auf diesen Aspekt zu reduzieren, denn selten wurde eine gleichgeschlechtliche Beziehung so stark und klischeefrei inszeniert wie hier. Dass dieses Paar nicht von queeren Darstellern verkörpert wird, ist sicherlich eine verpasste Chance, die Qualität des Filmes und der Schauspielleistungen schmälert es jedoch keinesfalls.
Nur die zwar stimmige, aber nicht immer maßvoll eingesetzte Musik von Keaton Henson lässt „Supernova” kurz ins Melodramatische abrutschen, bleibt aber der einzige Wermutstropfen in diesem ansonsten klugen und toll gespieltem Film, der noch lange nachwirkt.
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