Ein terroristischer Angriff in Deutschland sorgt für Forderungen nach Messerverboten und Abschiebungen. Doch weder das eine noch das andere schützt vor Terror.
Am 23. August tötete im deutschen Solingen ein syrischer Geflüchteter, der sich davor der Terrororganisation Daesh, dem sogenannten „Islamischen Staat“, angeschlossen hatte, drei Menschen. In Deutschland wird nun über das Für und Wider von Messerverboten diskutiert. Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz forderte einen generellen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan. Wer über sichere Drittstaaten einreise, solle in Deutschland kein Bleiberecht erhalten. Der ADR-Politiker Fred Keup übernahm diese Forderung für Luxemburg und schrieb am Montag auf X (ehemals Twitter): „Ich freue mich auf den Moment, wo wir genau die Forderungen der CDU fordern, Wort für Wort, und die CSV darauf reagieren muss.“ Am Tag nach dem Angriff hatte Keup „die ganze Diversity“ dafür verantwortlich gemacht, dass man „in ganz Westeuropa kein Fest mehr normal feiern“ könne.
Das ist offensichtlich Unsinn: Die überwältigende Mehrheit der Feste in Westeuropa verlaufen ohne Zwischenfälle. Menschen, die vor Islamist*innen in Afghanistan und Syrien flüchten, pauschal das Asylrecht zu verwehren, wird keinen einzigen Terroranschlag verhindern, sondern nur zusätzliches Leid und weitere Tote verursachen. Es gibt, auch wenn Keup und seine Gesinnungsgenoss*innen das unablässig behaupten, keine kausalen Zusammenhänge zwischen Nationalität und Kriminalität. Die Idee, dass Menschen wegen ihrer Herkunft eher dazu prädisponiert seien, kriminell oder gewalttätig zu werden, ist zutiefst rassistisch.
Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage gefallen lassen, warum wir bei Geflüchteten aus der Ukraine und solchen aus Syrien oder Afghanistan mit zweierlei Maß messen.
Warum radikalisieren sich Menschen, die in Geflüchtetenheimen in Westeuropa leben und werden dort zu Islamist*innen? Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten: Hoffnungslosigkeit, Vereinzelung, unmenschliche Wohnbedingungen, jahrelange, intransparente Asylverfahren, vor der Flucht womöglich erlebte Folter und (sexualisierte) Gewalt auf der Flucht, letztlich auch ein mangelndes Integrationsangebot dürften jedoch ein guter Nährboden für eine Radikalisierung sein.
Der Umgang mit ukrainischen Geflüchteten in der EU hat gezeigt, dass es auch anders geht: Große Hilfsbereitschaft, Arbeitserlaubnis, Sprachkurse – und plötzlich hat eine sehr große Zahl von Geflüchteten verhältnismäßig wenig Probleme, sich zu integrieren. Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage gefallen lassen, warum wir hier so offensichtlich mit zweierlei Maß messen. Die Antwort ist allerdings eher unangenehm, denn dafür müsste man sich mit Rassismus auseinandersetzen.
Das würde vielleicht auch helfen, die unterschiedlichen medialen und politischen Reaktionen auf ähnliche Taten einzuordnen. Nach der Amokfahrt im Dezember 2020 in Trier hat niemand ein „Autoverbot“ verlangt, zudem wurde deutschen Männern über 50 nicht pauschal vorgeworfen, sie seien potenzielle Terroristen. Auch die regelmäßig stattfindenden Waffenfunde bei Rechtsextremen, „Reichsbürgern“ und Neonazis sorgen nicht für große politische Reaktionen.
Diese Unterscheide zeigen, dass die Gefahr von rechts als viel weniger bedrohlich wahrgenommen wird als jene des Islamismus. Da Rechtsextreme immer wieder Wahlgewinne einfahren, wird diese Gefahr nicht kleiner, nur gesellschaftlich akzeptierter. Das heißt aber nicht, dass der Islamismus unterschätzt werden darf: In beiden Fällen müsste die Gefahr der Radikalisierung ernst genommen und mit den richtigen Mitteln bekämpft werden.