Kongo: Vor dem Staatszerfall?

Allein 4,25 Millionen Binnenflüchtlinge: In der Demokratischen Republik Kongo spielt sich eine der aktuell schlimmsten humanitären Krisen ab, der sich am Freitag eine Konferenz in Genf widmet. Doch die Regierung des betroffenen Landes behauptet, es gebe kein Problem.

Hilfe von denen, die selbst aus einer armen Weltregion kommen: In Goma im Norden der kongolesischen Provinz Kivu überreicht der Kommandant der UN-Stabilisierungstruppen im Kongo (Monusco) erste medizinische Hilfsgüter aus einer Spendenkampagne des UN-Truppenkontingents aus Bangladesch. (Foto: MONUSCO/ Myriam Asmani)

Die Situation ist so katastrophal, dass sie laut der Vereinten Nationen nur mit jener in Syrien, im Jemen und dem Irak vergleichbar ist: Die Rede ist von der Demokratischen Republik Kongo, wo die politische Krise sich zugleich als Flüchtlingsdrama, Hungerkatastrophe und Zerfall jeglicher Sicherheit und Ordnung ausdrückt.

Die aktuelle Dynamik nahm 2016 ihren Anfang und blieb seitdem ungebrochen, die politische Konstellation im Land ist geprägt durch Präsident Joseph Kabilas Kampf um den Machterhalt. Laut Verfassung dürfte er gar nicht mehr im Amt sein, da sein Mandat auf zwei Legislaturperioden beschränkt ist. Im Dezember 2016 wäre eigentlich Schluss gewesen.

Doch Kabila hat seitdem alle möglichen Tricks angewandt, um seine Amtszeit zu verlängern. Demnach wird die Gewalt, die sich auf die Provinzen Kasai, Tanganyika and Süd-Kivu konzentriert, von verschiedenen Nachrichtendiensten und NGO’s wie Human Rights Watch mit Joseph Kabilas „Strategie des Chaos“ in Verbindung gebracht. Präsidentschaftswahlen und damit das Ende von Kabilas Regime sollen verhindert werden. Bereits im August 2016 waren in Kasi ungefähr 5.000 Menschen getötet worden, in Gefechten, an denen sowohl kongolesische Sicherheitskräfte als auch von der Regierung gestützte Milizen und lokale Sicherheitskräfte beteiligt waren.

Viele der Gewaltausbrüche stellen sich bei näherer Betrachtung weniger als bewaffnete Konflikte, denn als geplante Massaker dar. So rückte seit vergangenen Dezember auch die vorher relativ friedliche Provinz Ituri im Nordosten des Kongo in den Mittelpunkt des Geschehens. Während die Regierung der Demokratischen Republik von interethnischen Auseinandersetzungen spricht, berichteten Überlebende vom planvollen Vorgehen professioneller Killer. Zahlreiche Dörfer seien überfallen worden, um deren Einwohner*innen möglichst brutal und effizient „abzuschlachten“: Von Enthauptungen, Vergewaltigungen und anderen Gewalttaten war in Zeug*innenaussagen die Rede. Dokumentiert sind mindestens 250 Tote; 200.000 Personen flohen daraufhin allein aus dieser Region.

Laut dem UN-Menschenrechtsbüro im Kongo wurden 2017 mindestens 1.180 Menschen außergerichtlich durch Mitarbeiter staatlicher Behörden exekutiert, womit die Opferzahl jene der durch andere bewaffnete Gruppen zu Tode gekommener Menschen bei weitem übersteigt. Mehr als 300 Menschen sind seit 2015 zudem bei friedlichen Protesten gegen Kabilas Regierung getötet worden.

Hilfeaufrufe eine „Dämonisierungskampagne“

Angesichts dessen befinden sich derzeit 4,25 Millionen Menschen innerhalb der Demokratischen Republik Kongo auf der Flucht; weitere 750.000 Menschen suchen in Uganda und anderen afrikanischen Staaten nach Schutz. Die Flüchtlingskrise im Land wird durch einen dramatischen Mangel an Nahrungsmittel noch verschlimmert. 13 Millionen Menschen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen, zwei Millionen Kinder sind durch Mangelernährung akut bedroht: Eines von zehn Kindern erreicht das Alter von fünf Jahren nicht, vierzig Prozent der Kinder sind in ihrem Wachstum gestört.

Gemeinsam mit den Vereinten Nationen und den Niederlanden veranstaltet die Europäische Union daher am kommenden Freitag in Genf eine „Humanitäre Konferenz“, bei der es nicht zuletzt um das Sammeln von Spenden gehen soll. 1,7 Milliarden US-Dollar sollen eingetrieben werden, was angesichts des Ausmaßes des Elends nach einer bescheidenen Summe klingt. Im vergangenen Jahr hatte man 813 Millionen Dollar veranschlagt, kaum mehr als die Hälfte davon war allerdings zusammengekommen. Viele der Menschen, die dringend Hilfe benötigten, haben kaum je etwas von der Unterstützung gesehen.

Dabei könnte es auch weiterhin bleiben. Denn mit der Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat ein eigentlich unverzichtbarer Konferenzgast seine Teilnahme abgesagt. Es gebe im Kongo keine humanitäre Krise, so die Begründung. Freddy Kita, stellvertretender Minister für internationale Zusammenarbeit der kongolesischen Regierung, bezeichnete Spendenappelle mit Blick auf die geplante Konferenz gegenüber der „New York Times“ gar als „Dämonisierungskampagne“. Sollte es bei dieser Haltung bleiben, wären die Folgen unabsehbar, weil die Kooperation der kongolesischen Seite für eine erfolgreiche Hilfeleistung auf lokaler Ebene unerlässlich ist.

Doch im Kampf um Machterhalt scheint Joseph Kabila, der offiziell daran festhält, dass Ende Dezember 2018 nun tatsächlich sein Nachfolger gewählt werden soll, zu nahezu jedem Ausmaß an Gewalt, Chaos und wirtschaftlicher wie politischer Destabilisierung bereit. Sogar die mit solchen Bewertungen zurückhaltenden Vereinten Nationen sprechen bereits von einem Zusammenbruch politischer Autorität in dem Land. Damit hat die kongolesische Misere jedes Potenzial, im Verlauf dieses Jahres zu einer humanitären Katastrophe zu werden, vor der man auch auf internationaler Ebene nicht länger die Augen verschließen kann. Das funktioniert leider meist erst dann, wenn die Flüchtlinge vor der eigenen Haustür stehen.


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