Gleich zwei Künstler*innen aus Luxemburg präsentieren neue Kataloge: Sandra Lieners publiziert ihre erste Retrospektive, Victor Tricar teilt erstmals seine Poesie. Die woxx hat sich eingelesen.
Sandra Lieners: The Book
Ist es gewagt mit Anfang Dreißig seine erste Retrospektive zu veröffentlichen? Die luxemburgische Künstlerin Sandra Lieners hat den Schritt jedenfalls gewagt und präsentiert dieses Wochenende ihr erstes Buch „The Book“. Der Katalog umfasst Abbildungen ihrer Werke aus den letzten zehn Jahren, bis auf wenige Ausnahmen – unauffindbare Gemälde oder Auftragsarbeiten – soll es sich dabei um eine komplette Sammlung handeln. „The Book“ ist aber nicht nur ein Bildband, mit dem Lieners ihre Arbeit dokumentiert. Zwischen die Bilder mischen sich englisch- und französischsprachige Texte von Galerist*innen und Kurator*innen, die Lieners Werk kontextualisieren, interpretieren und seine Hintergründe erläutern. Zu den Autor*innen zählen unter anderem Maëlle Ebelle, Direktorin der Galerie Ceysson & Bénétière, und Hans Fellner, Inhaber der Galerie Fellner Contemporary. Ihre und weitere Textbeiträge verschaffen dem Buch einen erheblichen Mehrwert, machen aus der Lektüre eine Art Ausstellungsbesuch auf Papier. So gibt es beispielsweise Erläuterungen zum seriellen Charakter von Lieners Arbeiten, aber auch kurze Einblicke in ihre Position zur Digitalisierung als Gegenspielerin der Malerei oder ihre Haltung zur Repräsentation von Frauen in der Kunstgeschichte. Letztere thematisiert Lieners in ihrer Serie „Women painting women“: gewollt unscharfe Porträts von Frauenfiguren. Lieners hat sich dabei an Frauenporträts von Künstlerinnen inspiriert, die in der Kulturgeschichte ignoriert wurden. Namen werden im Katalog nicht genannt, aber wer sich ein wenig mit Kunstgeschichte auskennt, weiß, dass die Liste verkannter Künstlerinnen in allen Genres lang ist. „I became aware of the way in which my art history references mainly consisted of male painters. If we want to reflect a more diverse and realistic image of what has been done in art, we must do more in-depth research“, kommentiert Lieners die Umstände im Interview mit der Kuratorin Fanny Weinquin auf den letzten Seiten von „The Book“. Als weibliche Malerin bewertet Lieners die Dekonstruktion der Kunstgeschichte als ein wichtiges Unterfangen. Am kommenden Samstag, dem 29. April ab 12 Uhr, stellt Lieners ihr Buch in der Galerie Ceysson & Bénétière (Wandhaff) vor. Neben der Buchvorstellung, findet zu dem Anlass auch ein französischsprachiges Rundtischgespräch über die Wichtigkeit der Dokumentation und Archivierung künstlerischer Arbeiten statt. Die Kulturjournalistin France Clarinval (Lëtzebuerger Land) moderiert die Debatte – eingeladen sind, abgesehen von Sandra Lieners, die Restauratorin Danielle Köller-Willems sowie die Kuratorinnen Fanny Weinquin und Emmanuelle Potier. Wer sich über eine Widmung freut, kann sich auch den 8. Juni, 18 Uhr, im Kalender markieren: An dem Tag ist die Vernissage von Lieners Einzelausstellung in der Galerie Fellner Contemporary in Anwesenheit der Künstlerin, Signierstunde inklusive. Das Werk kann per Mail (lienerssandra@gmail.com) bestellt werden, sowohl als Standard- als auch in limitierter Spezialausgabe mit handgemachten Elementen. Ab dem 12. Juni gibt es das Buch dann auch im Buchhandel.
Victor Tricar: GOD EGO DOG
In der Regel lassen bildende Künstle- r*innen ihre Skulpturen, Installationen oder Gemälde für sich sprechen, doch nicht so Victor Tricar: In seinem Katalog „GOD EGO DOG“, den er Anfang Mai im Selbstverlag veröffentlicht, stellt der Künstler seiner Malerei Grafiken und Poesie entgegen. In einem Interview auf seinem Youtube-Kanal verrät Tricar, unter anderem Grafiker, dass kein Verlag sich auf dieses Spiel einlassen wollte. Es habe ihnen entweder an Text oder an Bildern gefehlt. Tricar hielt jedoch an seinem Konzept fest und diese Sturheit macht sich durchaus bezahlt. Das Buch ermöglicht interessante Überlegungen zur Übersetzbarkeit verschiedener Kunstgattungen: Wie lässt sich Malerei in Grafik übertragen? Inwiefern unterscheiden sich Bildsprache und Wortschrift derselben Person? Die Fragen kommen auf, weil Tricar seine Malerei präsentiert, um sie zugleich in grafische Elemente wie etwa Farbkästen oder Linien zu zerlegen. Dieser Kontrast zwischen Grafik und Malerei regt den Spieltrieb bei der Lektüre an: Für Leser*innen ist es reizvoll die Grafiken in den Malereien wiederzufinden. Das ist zum Teil eine große Herausforderung, da Tricars Werke mit Symbolen, Farben, Text und anderen Motiven überladen sind. Die Betrachter*innen tauchen ein in eine Welt voller farbiger Tierfiguren und Masken, in einen mystischen bis märchenhaften Kosmos. Während das Zusammenspiel zwischen den Grafiken und der Malerei gelingt, geht die Übersetzung der Bildmotive in Sprache nicht auf. Tricars Malerei ist aufregend und vielschichtig, seine Poesie im Vergleich eher einfallslos. Der Künstler bedient sich traditioneller Rhythmen, Formulierungen und Satzstrukturen, appelliert immer wieder an „Dieu“ und Geliebte. Glaubensbekundungen und Herzschmerz sind seit jeher Gegenstand der Poesie und dürfen es selbstverständlich auch bleiben – nur wäre von einem Künstler wie Tricar eine mutigere Form der Poesie zu erwarten gewesen. Es hilft zudem nicht, dass einzelne Verse problematische Interpretationen zulassen, zum Beispiel wenn der Künstler über junge Frauen in Miniröcken dichtet, die „sortirent à plaire à quelques hommes“. Ähnliches gilt für Gedichte, in denen Menschen nicht westlicher Kulturkreise auftauchen. So heißt es in „Mon ami“, das Herkunftsland des Freundes sei ein „bébé-pays“, seine Sprache ein „zigouigouis merveilleux (…) des reines et des sorciers“. Nur die kürzesten Textbeiträge vermögen einem ein Lächeln abzuringen, etwa wenn Tricar gesteht: „Si je savais chanter, jʼarrêterais immédiatement de parler.“ Wer Interesse an „GOD EGO DOG“ hat, kann dieses zur Zeit über die Website des Künstlers bestellen. Später soll es außerdem in verschiedenen kulturellen Institutionen zum Verkauf stehen.