Die EU-Kommission will gentechnisch veränderte Pflanzen auf Europas Felder bringen. Sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen argumentieren so, dass eine rationale Debatte schwierig ist.

Rosenkohl ist durch Züchtung weniger bitter geworden. Aber würden Sie ihn essen, wenn er geneditiert wäre? (Foto:Damir Mijailovic/Pexels)
Rosenkohl ist heute weniger bitter als in den 1990er-Jahren. Das liegt nicht etwa daran, dass sich unsere Geschmacksknospen kollektiv verändert hätten, sondern an einem Erfolg der Zucht. Züchter*innen haben gezielt nach Sorten gesucht, die weniger bitter sind und diese Eigenschaft in moderne, ertragreiche Sorten eingekreuzt. Doch was wäre, wenn dies nicht per Züchtung, sondern mittels moderner Biotechnologie passieren würde? Genau das – weniger bitteres Gemüse – ist eins der Versprechen, mit dem die EU-Kommission ihre neue Regelung für Gentechnik verkaufen will.
Würden Sie eher geneditierten oder lieber genmanipulierten Rosenkohl essen? Die Sprache, die für bestimmte Technologien verwendet oder vermieden wird, bestimmt, wie wir darüber nachdenken und mit welchen Emotionen wir ihnen begegnen. So ist das englische „genetically modified organisms“ (GMOs) wesentlich neutraler als der deutsche Begriff der „genmanipulierten Organismen“. In Europa ist der Ruf von GMOs schlecht. Das erklärt, warum die EU-Kommission es in ihrem Vorschlag vermeidet, diesen Begriff zu verwenden – genauso wie viele Befürworter*innen von mehr Gentechnik in der Landwirtschaft. Sie reden von „Gen-Editierung“ und von „neuen genetischen Techniken“ (NGTs) statt von Genmanipulation und GMOs.
Wer manipuliert hier wen?
Bereits am 15. Juni war ein Entwurf der Regulierung von einer ökologischen NGO geleakt worden (die woxx berichtete in Ausgabe 1742). Am 5. Juli veröffentlichte die Kommission die finale Fassung ihres Vorschlags. Der wird nun den normalen legislativen Weg in der EU gehen und muss sowohl vom Parlament als auch vom Minister*innenrat angenommen werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auf diesem langen und steinigen Weg einige Änderungen an dem Ursprungstext vorgenommen werden.
Es gibt nicht viele große Änderungen gegenüber dem geleakten Entwurf. Weil durch mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofes die Gesetzeslage zunehmend undurchsichtig geworden sei, müsse eine spezielle Regulierung für NGTs her, so die Kommission. Die teilt NGTs in zwei Kategorien ein.
Die erste Kategorie beinhaltet Pflanzen, die zwar gentechnisch verändert worden sind, deren Veränderungen jedoch auch auf natürlichem Weg oder durch traditionelle Zucht hätten entstehen können. Das schließt Verfahren, bei denen Gene von nicht-kreuzbaren Spezies eingefügt werden – etwa das Gen eines Bakteriums, das ein Insektizid produziert in eine Pflanze – aus. Es dürfen auch nur 20 Nukleotide (Bausteine der DNA) verändert werden, allerdings gibt es bei der Entfernung von Nukleotiden keine Begrenzung. Pflanzen und Samen der ersten Kategorie müssen laut dem Vorschlag der Kommission künftig kein spezielles Zulassungsverfahren durchlaufen, sondern lediglich in einem öffentlich einsehbaren Register eingetragen werden. Konsument*innen könnten so gentechnisch veränderte Lebensmittel essen, ohne es je zu erfahren. Im Gegensatz zum geleakten Entwurf gibt es im veröffentlichten Vorschlag der Kommission keine strengeren Regeln für Pflanzen, die gegen Herbizide tolerant sind.
In die zweite Kategorie sollen alle mit NGT veränderten Pflanzen eingeordnet werden, die diese Kriterien nicht erfüllen. Sie müssen ein spezielles Genehmigungsverfahren durchlaufen, bei dem eine Risikoanalyse durchgeführt wird. Dieses Verfahren soll dem aktuellen Verfahren für GMOs entsprechen. Zusätzlich zu dieser Kategorisierung soll es künftig auch Hilfen für Biotechnologie-Firmen geben, um Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften wie etwa höherer Ertrag, Resistenz gegen Schädlinge, bessere Anpassung an die Bedingungen der Klimakrise oder bessere Nährstoff- eigenschaften zu entwickeln. Explizit ausgeschlossen für den Erhalt von Förderungen ist einzig die Toleranz gegen Herbizide.
Große Hoffnungen
Teilweise wirken die Versuche der Kommission, NGT-Pflanzen als etwas anderes als GMOs zu definieren, absurd. So hat sie eine Sammlung häufig gestellter Fragen veröffentlicht, in der sie auf die Frage „Werden GMOs dereguliert?“ mit „Ganz und gar nicht. Die neuen Vorschriften betreffen nur NGTs, die sich von GMOs unterscheiden.“ Das Dokument, das den Vorschlag der Kommission enthält, hat den klingenden Dateinamen „gmo_biotech_ngt_proposal.pdf “. Auch die Regelung, dass NGTs nicht in der Biolandwirtschaft zugelassen sind, wirkt paradox: Wenn es keine GMOs wären, könnten sie ja einfach zugelassen werden.
Für die Luxemburger EU-Abgeordnete Tilly Metz (Déi Gréng) war bereits vor Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags klar, dass sie dagegen sei. Am 4. Juli bat sie gemeinsam mit ihrem niederländischen Kollegen Bas Eickhout zur Pressekonferenz, auf der sie eine Studie vorstellte, die die europäischen Grünen in Auftrag gegeben hatten. „Wir wollten den sozioökonomischen Einfluss einer solcher Deregulierung betrachten. Und die Resultate sind klar: Höhere Kosten für Saatgut, weniger Auswahl bei den Sorten und vor allem viel mehr Pestizide und Herbizide in der Landwirtschaft!“, so Metz. Die NGTs seien gar nicht so präzise, wie die Industrie behaupte, daher gebe es Gefahren für Lebensmittelsicherheit und Umwelt. „Es sind falsche Versprechen von Wunderlösungen. Pflanzen, die resistent gegen Dürre sein sollen, werden seit Jahrzehnten versprochen, geliefert hat die Industrie jedoch nie.“
Die vorgestellte Studie schlägt in eine ähnliche Kerbe: Global gesehen werden vor allem GMO-Pflanzen angebaut, die selbst Pestizide produzieren oder die resistent gegen Herbizide sind. Das führe im Gegenzug zu resistenten Unkräutern und Insekten. Außerdem sind die Auswahlmöglichkeiten der Landwirt*innen in den Ländern, in denen GMO-Samen erlaubt sind, begrenzt. Das Argument ist zum Großteil also: GMOs sind schlecht, weil sie eine noch stärkere Industrialisierung der Landwirtschaft erlauben – mit stark negativen ökologischen und sozialen Folgen. Zudem, so die Befürchtungen aus der Studie, könnten Patente auf Samen dazu führen, dass traditionelle Züchter*innen und kleinere landwirtschaftliche Betriebe ihre Aktivitäten ganz aufgeben müssen. Durch die Gefahr ungewollter Einkreuzungen wäre es für Bio-Landwirt*innen quasi unmöglich, ihre Felder in der Nähe von GMO-Feldern zu haben.
Starke Befürchtungen
Dem gegenüber stehen die Versprechen von Industrie und EU-Kommission: Weniger bitteres Gemüse, Kartoffeln, die gegen Schädlinge resistent sind, Bananen, die nicht so schnell Druckstellen bekommen und trockenheitsresistenter Mais. Tatsächlich gibt es nicht wenig Forschung an Pflanzen, die mittels NGT mit verschiedensten positiven Eigenschaften ausgestattet werden. Die Befürchtungen und Hoffnungen könnten nicht weiter auseinanderliegen.
Das Luxemburger Landwirtschaftsministerium, das der woxx vor zwei Wochen noch schrieb, es behalte seine traditionelle, skeptische Haltung bezüglich GMOs vermutlich bei, scheint seine Meinung geändert zu haben. „Das Landwirtschaftsministerium (MAVDR) nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission den Green Deal als Paket betrachtet und dass dieser Vorschlag dazu beitragen wird, die Ziele für den ökologischen Übergang des Agrar- und Lebensmittelsystems zu erreichen“, so ein Sprecher des Ministeriums gegenüber der woxx. Die Expert*innen des Ministeriums würden den Vorschlag und die Folgenabschätzung der Kommission derzeit genau analysieren. Dabei würde besonders auf das Vorsorgeprinzip, die Information der Landwirt*innen und Verbraucher*innen durch „angemessene Kennzeichnung“ und die „Aufrechterhaltung des Züchterrechtssystems durch Vermeidung von Patenten auf NGTs“ geachtet. Die Diskussionen im Minister*innenrat seien für Herbst dieses Jahres geplant. Davor könnte ein heißer, diskussionsreicher Sommer liegen.