Landwirtschaft: Gentechnik gegen Klimakrise

Neue gentechnische Methoden könnten helfen, Pflanzen zu züchten, die besser mit den Auswirkungen der Klimakrise zurechtkommen. Diese Hoffnung des landwirtschaftlichen Sektors entfacht die Diskussion um Gentechnik auf dem Teller neu.

Sojabohnen kommen zwar besser mit Hitze zurecht, doch bei starker Trockenheit leiden auch sie. Sind GMO-Pflanzen die einzige Hoffnung, mit der Klimakrise zurechtzukommen? (Foto: CC-BY Bob Nichols/U.S: Department of Agriculture)

Die Ablehnung von grüner Gentechnik ist in Luxemburg politischer Konsens. Dieses Gefühl hatte man – trotz vereinzelter Wortmeldungen wie etwa vom ehemaligen Minister und Europaabgeordneten Robert Goebbels (LSAP) – lange Zeit. Doch ausgerechnet die Klimakrise könnte dafür sorgen, dass sich die Meinungen ändern. So forderte der Präsident der Bauernzentrale, Christian Wester, am 14. Juni im Interview auf RTL, dass die sogenannte „Genschere“ nicht unter die Gentechnik-Regelungen fallen solle. Dies, um schneller Fortschritte bei der Züchtung von trockenheitsresistenten Pflanzen machen zu können. Die anhaltende Dürre mache den Landwirt*innen Luxemburgs zu schaffen, und eine Besserung der Situation sei nicht in Sicht.

In der Tat ist nicht nur Luxemburg, sondern halb Europa aktuell von Dürre betroffen. Laut dem European Drought Observatory, das unter anderem Karten zur Bodentrockenheit bereitstellt, leiden aktuell 47,5 Prozent der Landflächen der EU unter Trockenheit. Luxemburg ist auf der Karte orange eingefärbt, was einer Warnung entspricht. Es gehört damit noch nicht zu den 10 Prozent, die am schlimmsten betroffen sind: Anlass, Alarm zu schlagen, sieht das Dürreobservatorium vor allem auf der iberischen Halbinsel, aber auch in vereinzelten Gebieten in Skandinavien. Für die Landwirtschaft bedeutet die Trockenheit vor allem Unsicherheit und mögliche Ernteausfälle. Könnten gentechnische angepasste Pflanzen, die weniger unter Hitze und Wassermangel leiden, die Lösung sein?

Möglicherweise ging Westers Wortmeldung im Trubel nach den Gemeindewahlen unter, denn die eigentlich zu erwartenden Gegenreaktionen von Gentechnik-Gegner*innen gab es nicht. Das dürfte sich demnächst ändern, denn die Debatte um die sogenannten „neuen gentechnischen Methoden“ (NGT, vom englischen „new genomic techniques“ – weitere Erklärungen im Kasten), unter die auch Westers „Genschere“ fällt, wird diesen Sommer auf EU-Niveau geführt. Ein Leak interner Dokumente der EU-Kommission legt nahe: Schon Anfang Juli will die Kommission einen Vorschlag veröffentlichen, wie die neuen gentechnischen Methoden behandelt werden sollen.

Gleichgestellt mit normalen Pflanzen

Geleakt wurden die Dokumente von „Arc 2020“, einer agro-ökologischen NGO, die vor allem auf EU-Ebene aktiv ist und ehemals die Bündnisarbeit vieler Naturschutzorganisationen zur gemeinsamen europäischen Agrarpolitik koordinierte. Es handelt sich um einen vorläufigen Textvorschlag der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie eine Impaktstudie des wissenschaftlichen Dienstes der EU-Kommission. Laut Arc 2020 wird der Text jetzt von den anderen Generaldirektionen begutachtet und soll am 7. Juli von der Kommission angenommen werden. Danach würde er den normalen legislativen Weg durch Rat und Parlament antreten.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die öffentliche Diskussion mit harten Bandagen geführt werden. Die Kommission hat laut den Dokumenten aus dem Leak nämlich vor, die Regeln für neue gentechnische Methoden gegenüber „klassischen“ GMOs (gentechnisch modifizierte Organismen) deutlich zu lockern. So sollen Pflanzen, die etwa mittels Genschere verändert wurden, unter bestimmten Bedingungen ganz normalen Pflanzen gleichgestellt werden.

Die Kommission schlägt mehrere Kategorien für Produkte von NGT vor. Die Kategorie 1 wären solche Pflanzen, die auch „natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ entstehen könnten. Daher soll es für sie keinerlei Auflagen wie etwa Tests oder Kennzeichnungen für Konsument*innen geben. Diese Kategorie 1 ist dadurch definiert, dass nicht mehr als 20 „genetische Veränderungen“ durchgeführt werden dürfen. Allerdings sollen herbizid-tolerante Pflanzen von den lockeren Regeln der Kategorie 1 ausgeschlossen sein: Sie bedürften einer Genehmigung. Pflanzen der NGT Kategorie 2, die also mehr genetischen Veränderungen ausgesetzt waren, müssten ebenfalls weiterhin eine Genehmigungsprozedur durchlaufen. Die soll allerdings weit weniger streng als unter den bisherigen GMO-Regeln sein. Hier ist eine Kennzeichnungspflicht vorgesehen.

Obwohl die NGT-Pflanzen laut den Plänen der EU-Kommission nicht mehr als GMOs gelten sollen, wären sie im Biolandbau nicht erlaubt. Das sei der Beweis dafür, dass lediglich versteckt werden soll, dass es sich um GMOs handelt, kritisierte die NGO „Corporate Europe Observatory“ (CEO), die den Leak von Arc 2020 verbreitet hat. Sie lässt kein gutes Haar an den Vorschlägen der Kommission: Konsument*innen und hätten keine Chance mehr zu erkennen, welche Produkte GMOs enthalten und welche nicht. Bio-Landwirt*innen könnten ihre Kulturen nicht vor Kontamination schützen, da keine Regeln zur Koexistenz vorgesehen sind. Die Zahl der 20 Erbgutveränderungen sei „willkürlich“ herausgesucht worden, so CEO: „Die bloße Anzahl der veränderten Nukleotide bedeutet nicht, dass sie sicher sind, und unbeabsichtigte Auswirkungen der Veränderung werden nicht überprüft“, heißt es in einer Pressemitteilung der NGO.

Zucht auf der Autobahn

Aktuell ist in der EU lediglich eine einzige GMO-Pflanze zugelassen, nämlich der MON810-Mais von Bayer (ehemals Monsanto), der so verändert ist, dass er selbstständig ein Pestizid produziert. Angebaut wird er vor allem in Spanien und Portugal, in 18 der 27 EU-Mitgliedsstaaten ist der Anbau verboten oder stark eingeschränkt. Zwar ist der Marktanteil der GMO-Nahrungsmittel in der EU kaum nennenswert, doch gibt es einen großen Markt für GMO-Futtermittel. 2016 importierte die EU 36 Millionen Tonnen Sojabohnenäquivalent, davon waren 30 Millionen gentechnisch verändert – 85 Prozent. Das zeigt auch: Wenn es halbwegs „versteckt“ passiert, ist die Ablehnung von GMO in Europa nicht so groß, wie man vielleicht denken könnte. Die neuen Regeln sind auch deswegen nötig, da sich durch die Spezifika der NGT – oft ist es tatsächlich schwer, den Unterschied zu natürlich mutierten Pflanzen auszumachen – juristische Unsicherheiten auftaten und immer neue Prozesse vor dem EuGH ausgefochten wurden.

Foto: PxHere

Christian Wester hofft auf baldige Klärung der Regeln: „Es wäre wichtig, dass die Politik sich bald entscheidet, wir können uns kein ewiges Hin und Her mehr leisten“, sagte er im Interview mit der woxx. Er ist dafür, die NGT wie die traditionelle Zucht zu behandeln. „Die Genschere ist ein gezielter Eingriff, der ohne Zufall abläuft. Es werden keine fremden Gene eingefügt. Man kann das vergleichen mit einer Bulldoge, die im Laufe der Zeit auch so gezüchtet wurde. Die Genschere wäre wie eine Autobahn für die Zucht, mit der diese Prozesse viel schneller als mit traditioneller Zucht ablaufen können!“

Im Gespräch mit der woxx betonte Wester jedoch, dass er die Genschere nicht für ein Allheilmittel hält. Immerhin bräuchte man in Zukunft nicht nur Pflanzen, die mit Trockenheit umgehen können, sondern im Falle von anhaltendem Regen und Überschwemmungen auch solche, die mit viel Wasser umgehen können. „Die eierlegende Wollmilchsau wird es aber kaum geben“, so Wester gegenüber der woxx, „Auch Pflanzen mit höheren Resistenzen gegen Krankheiten würden uns helfen.“

Schmecken GMOs im Wahlprogramm?

Und: Auch die Landwirtschaft müsse Klimaschutz betreiben und versuchen, mehr Kohlenstoff im Boden zu binden. Allerdings sei sie auch nicht alleine verantwortlich, so werde etwa der Methanausstoß von Rindern oft höher angegeben, als er wirklich sei. Er ist sich allerdings auch nicht sicher, wie einfach es wird, die Konsument*innen von Agrarprodukten, die mit NGT hergestellt wurden, zu überzeugen: „Einfach wird es sicher nicht. Aber traditionelle Zuchtmethoden, die teilweise mit Radioaktivität arbeiten, um Mutationen herbeizuführen, sind auch nicht leicht zu vermitteln.“

Eine Reaktion aus der Luxemburger Politik gab es bisher nicht. Auf eine Anfrage der woxx hat das Landwirtschaftsministerium zwar bestätigt, von dem Leak der geplanten EU-Gesetzgebung zu wissen, wollte diesen jedoch nicht kommentieren. „Wir müssen den offiziellen legislativen Vorschlag erst analysieren, um uns positionieren zu können. Unsere traditionelle kritische Haltung zu GMOs werden wir jedoch auf jeden Fall beibehalten.“ Um den Landwirt*innen bei der Bewältigung der Trockenheit zu helfen, gebe es mehrere Angebote des Ministeriums, hieß es auf Nachfrage der woxx. So übernimmt der Staat 65 Prozent der Kosten der Ernteausfallversicherung und betreibt den Wetterdienst AgriMeteo. Außerdem gibt es Forschungsprojekte, bei denen beispielsweise Versuche mit trockenheitsresistenten Sorten (aus traditioneller Züchtung) durchgeführt und die Resultate in Form einer Sortenliste veröffentlicht werden. Außerdem läuft seit Oktober 2022 das Projekt „Adapt“, das gemeinsam mit dem Fonds nationale de Recherche ini-
tiiert wurde: Hier soll konkret eine an die Klimakrise angepasste Landwirtschaft erprobt werden.

Ähnlich bedeckt hält sich auch die größte Oppositionspartei CSV. Die präsentierte am vergangenen Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz ihre Kritik an dem neuen Agrargesetz: Zu viele bürokratische Hürden, zu viele Einschränkungen für Betriebe, die wachsen wollen, nicht genug Fördergelder, so der Tenor der konservativen Oppositionspartei. Vorschläge, wie die Politik der Landwirtschaft bei Dürre oder anderem Extremwetter zur Seite stehen kann, finden sich in dem Forderungspapier jedoch keine. Und zur Frage der neuen Gentechnik wollte die CSV keine Position beziehen. „Die Gentechnik ist im Moment auf EU-Ebene geregelt. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Kommission denkt gerade darüber nach, die strengen Regeln zu lockern. Die Vorschläge sind aber noch nicht öffentlich, sodass wir nicht wissen, wo die Reise hingeht. Sobald wir die Texte haben, werden wir sie analysieren und Position beziehen“, so Dani Schumacher gegenüber der woxx. Wie aus dem oben erwähnten Fall des MON801-Maises klar wird: Die EU-Mitgliedsstaaten haben durchaus einen Spielraum, welche Pflanzen sie zulassen und welche nicht, weswegen GMOs in manchen Ländern komplett verboten sind, während der Anbau in anderen erlaubt ist.

Die klare Position der Bauernzentrale wird wohl für spannende Diskussionen im Wahlkampf sorgen. Immerhin müssen sich besonders jene Parteien, die sich als Verteidiger*innen der konventionellen Landwirtschaft sehen – allen voran die CSV – dann klar zum Thema Gentechnik positionieren. Da die Debatte um GMOs auf dem Teller oftmals sehr emotional geführt wird, ist kaum vorherzusehen, wie das den Wähler*innen schmecken wird.

Was sind neue gentechnische Methoden, Crispr/Cas und die Genschere?

Es gibt keine einheitliche wissenschaftliche Definition, welche Methoden unter „neue gentechnische Methoden“ fallen, da die Diskussion vor allem eine politische und juristische ist. Das bekannteste Werkzeug heißt „Crispr/Cas“ und wird auch als „Genschere“ bezeichnet. Crispr ist die Abkürzung für „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“. Es handelt sich um eine Familie von DNA-Stücken, die in Bakterien vorkommen und diesen als Schutz vor Viren dienen. Gemeinsam mit dem Cas9-Protein ist es möglich, spezifische DNA-Sequenzen auszuwählen und zu verändern. Im Gegensatz zu früheren Methoden der Gentechnik ist Crispr/Cas sehr viel genauer und erlaubt sehr spezifische Veränderungen, deswegen der Spitzname „Genschere“. Besonders für medizinische Anwendungen sind die Hoffnungen groß (woxx 1462). In Japan gibt es bereits mehrere Nahrungsmittel, die mit Crispr verändert wurden: 2021 kamen Tomaten auf den Markt, die fünfmal so viel von dem beruhigenden Neurotransmitter Gaba produzieren wie herkömmliche Tomaten, außerdem Fische, die doppelt so groß werden wie normale Exemplare ihrer Spezies.


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