Laurie Penny in Luxemburg: „Ich bemühe mich, eine Bitch zu sein“

Am vergangenen Montag gastierte die britische Journalistin, Bloggerin und Schriftstellerin Laurie Penny in der Abtei Neumünster, um ihr neuestes Buch „Bitch Doctrine: Essays for Dissenting Adults“ zu besprechen.

Rund 100 Leute, hauptsächlich junge Frauen, waren in die Abtei Neumünster gekommen, um Laurie Penny (rechts) sprechen zu hören.

Laurie Penny dürfte für nicht wenige junge Frauen die Person sein, die sie erstmals für feministische Belange begeistern konnte. Sie schreibt über Alltagsprobleme und zeigt klug, wie diese auf patriarchale Strukturen zurückzuführen sind. Für Penny handelt es sich bei Themen wie Feminismus und Gender nicht um von allem losgelöste theoretische Abstraktionen. Ganz im Gegenteil sieht sie gesellschaftliche Verhältnisse als wesentlich von diesen beiden Aspekten geprägt. Wenn sie über Politik schreibt, dann stets auch über diskriminierte Bevölkerungsgruppen, und wenn sie über letztere schreibt, dann ist das immer auch politisch. Ihren Aktivismus lebt sie durch und durch: Jedes Wort, das sie zu Papier bringt, ist ein Versuch, Missstände zu benennen und zu hinterfragen. „Über die Welt nachzudenken, über sie zu sprechen und zu schreiben, heißt, Einfluss auf sie zu nehmen“, schreibt sie im einleitenden Kapitel ihres neuen Buchs „Bitch Doctrine: Essays for Dissenting Adults“.

Nun war sie am vergangenen Montag in Luxemburg, um „Bitch Doctrine“ vorzustellen. Wer an jenem Abend den Weg in die Abtei Neumünster gefunden hatte, konnte sich anregender Diskussionen zwischen Penny und der „Lëtzebuerger Land“-Journalistin Ines Kurschat erfreuen. Der Schlagabtausch zeigte ein ums andere Mal, dass es den einen Feminismus nicht gibt. Ansichten darüber, wie mehr Geschlechtergleichheit im Speziellen und soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen zu erreichen wäre, gehen teilweise weit auseinander.

So kam etwa die Frage auf, ob man überhaupt von einer feministischen Bewegung sprechen könne, angesichts ihrer Aufsplitterung. „Viele Trans*personen, Lesben und Schwule streiten und beschuldigen sich gegenseitig. Der geschlossene Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und die kapitalistische Machine rückt dadurch in den Hintergrund“, schilderte Kurschat ihren Eindruck. Eine irrige Vorstellung, so Penny, kontroverse Debatten seien wesentlicher Bestandteil feministischer Politiken. Außerdem brauche man sich nur die Vielzahl an Errungenschaften der letzten 300 Jahre anzusehen, um festzustellen, dass Meinungskämpfe weit mehr als bloß destruktive Zeitverschwendung seien. „Ich glaube, es ist nur Wunschdenken mancher Anti-Feministen, dass wir uns gegenseitig bis zur Irrelevanz bekriegen werden. Wir sind offensichtlich in der Lage beides zu tun – debattieren und Fortschritte erzielen.“

Das Private ist politisch

Penny, die in Oxford und Harvard englische Literaturwissenschaften studiert hat, arbeitet momentan als Journalistin und Schriftstellerin in London. Als 2010 ihr erstes Buch „Meat Market: Female Flesh under Capitalism“ erschien, wurde sie schnell zu einer der angesagtesten Stimmen des jungen Feminismus. In diesem Werk setzte sie die Themen, die sie auch heute noch beschäftigen: schädliche Schönheitsideale, Geschlechterbinarität, Queerness, in der Hauptsache von Frauen geleistete, unbezahlte Pflege- und Emotionsarbeit. Die Verknüpfung mit einer Kritik am Neoliberalismus ist dabei allgegenwärtig: Die Kapitalisierung von Körpern, von Sex, von zwischenmenschlichen Beziehungen insgesamt.

(Foto: © Wikimedia Commons)

Penny scheut sich nicht davor, auch über sich selbst zu schreiben: ihre eigenen Erfahrungen in einer zutiefst misogynen Gesellschaft, das Leben mit einer Essstörung. Penny weiß, dass das Private immer auch politisch ist. In ihren Essays und Büchern thematisiert sie oft, wie Individualisierung und Wettbewerb Menschen dazu bewegen, ihre Sorgen und Probleme als selbstverschuldet statt als Resultat struktureller Ungerechtigkeiten zu erkennen. „Der Kapitalismus hat die verfügbaren Arbeitskräfte stets nach Hautfarbe und Geschlecht getrennt und dafür gesorgt, dass wir in Krisenzeiten nicht die Maschine in Brand setzen, sondern einander“, schreibt sie in „Bitch Doctrine“.

In ihrem Buch kommt Penny nicht umhin, über Donald Trump zu schreiben, der in gewisser Weise paradigmatisch für eine toxische Männlichkeit steht. Diese sei dabei, die Welt zu zerstören. Sie werde, auch in linken Kreisen, oft damit konfrontiert, dass angesichts dessen ausschließlich über Klassenkonflikte gesprochen werden müsse; Identitätspolitiken sollten beiseite gelassen werden. Jedoch handle es sich, so die Feministin, bei jeder Politik um Identitätspolitik, manche Identitäten würden nur stärker politisiert als andere. „Wenn die dir versprechen, dir ‚dein Land zurückzugeben’, ist das nicht auch Identitätspolitik?“, schreibt sie in „Bitch Doctrine“. Trump sei in der Hauptsache von weißen Arbeitern gewählt worden, aus der Angst heraus, dass ihnen etwas weggenommen werde. Sie sähen, so Penny, die Übeltäter jedoch an der falschen Stelle, nämlich bei Frauen, Schwarzen und Queers.

Ines Kurschat fragte auch nach, ob im zeitgenössischen Feminismus wirtschaftliche Machtverhältnisse vernachlässigt würden. „Es ist nicht möglich, ausführlich über Feminismus und Sexismus zu sprechen, ohne zugleich auch über Ökonomie, Race, globalen Kapitalismus und die Weise, wie diese Dinge miteinander zusammenhängen, nachzudenken“, meinte Penny hierzu. Sie selbst kenne nur sehr wenige junge Feministinnen, die sich nicht für wirtschaftliche Belange interessieren. Es gebe in der Tat eine Politik, die versuche, aus jeder ökonomischen Problematik eine der Identität zu machen. Bei jener Politik handele es sich jedoch um Faschismus, nicht Feminismus.

Rape Culture

Wenn Penny von Rape Culture spricht, dann meint sie damit nicht nur eine Kultur, in der Vergewaltigungen begangen werden, sondern auch die Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft damit umgegangen wird. Wenn Frauen zum Beispiel vorgeworfen wird, aufgrund ihres Aussehens selbst an Übergriffen Schuld zu tragen. „Rape Culture ist eine Kultur, die es erlaubt, dass Vergewaltigungen unbestraft bleiben“, bringt es Penny auf den Punkt.

Hierzu kam in der anschließenden Diskussion auch die Weinstein-Affäre zur Sprache. „Ich glaube es verändert sich gerade etwas“, so Pennys Einschätzung. Das lasse sich daran erkennen, dass immer mehr Frauen Anschuldigungen gegen ihre Belästiger und Vergewaltiger vorbringen und kollektiv eine Veränderung fordern würden. Kurschats Einwurf, ein Hashtag könne nichts Grundlegendes bewirken, solange die Beschuldigten nicht zur Rechenschaft gezogen würden, wollte Penny nur bedingt gelten lassen. Tatsächlich sei es so, dass auch bei diesem Skandal Frauen wiederum den Großteil der emotionalen Arbeit erledigen. Es sei essentiell, dass auch Männer einen Teil dieser Last tragen und miteinander darüber reden. „Das ist nicht notwendigerweise ein feministischer Akt, das heißt einfach nur, dass man kein Arschloch ist“, so Penny.

Die potenzielle Tragweite eines kollektiven Aufschreis in den sozialen Netzwerken schätzt sie jedoch anders ein als Kurschat. Jede gesellschaftliche Veränderung, die jemals stattgefunden habe, sei nur durch aktive Partizipation möglich geworden, pointierte Laurie Penny, was auf dem Spiel stehe. „Wenn wir uns zurücklehnen und uns sagen, ‚ich weiß nicht, ob das funktionieren wird‘, dann wird es das sicherlich nicht.“

Gegen Ende der Veranstaltung beklagte jemand aus dem Publikum, sich als Mann in der feministischen Bewegung nicht willkommen zu fühlen. Penny machte deutlich, dass es nicht darum gehe, Männer aus der feministischen Bewegung auszuschließen. Es solle nur keine Priorität darstellen, Feminismus für Männer akzeptabel zu machen. „Zu sagen, ‚ihr habt hier nicht das Sagen’ oder ‚das hier ist nicht in erster Linie für euch’, ist nicht dasselbe als zu sagen ‚ihr seit hier nicht willkommen’“. Manche Männer, so Penny, täten sich schwer daran, diesen Unterschied zu erkennen.

Die Autorin räumte ein, dass ihre Geduld Männern gegenüber nachgelassen habe. „Mein Impuls, immer verständnisvoll zu sein, es Männern so einfach wie möglich zu machen, ihre Sichtweise anzuhören – das alles hat für mich bisher nicht besonders gut funktioniert, weder auf persönlicher, noch politischer Ebene. Deshalb bemühe ich mich jetzt aktiv darum, eine ‚Bitch‘ zu sein.“ Diese Prioritätenverschiebung dürfte wesentlich zur Wahl des Titels ihres neuen Buchs beigetragen haben. Um als Bitch bezeichnet zu werden, bedürfe es, Penny zufolge, nämlich nicht besonders viel: „Alles, was man tun muss, um als Bitch bezeichnet zu werden, ist, nicht die Gefühle von Männern den eigenen voranzustellen. In diesem Fall ist es mir recht, als Bitch bezeichnet zu werden, um das erreichen zu können, was ich erreichen will.“

Laurie Pennys Analysen sind keineswegs neu. Im Gegensatz zu Ines Kurschats teils recht pessimistischen Einschätzungen, mögen manche ihrer Positionen fast schon idealistisch anmuten. Doch genau das macht auch ihren Charme aus: Es ist ein Optimismus, der das Potenzial hat, zum Nachdenken und Handeln anzuregen. Die feministische Revolution mag viel Kraft und Geduld erfordern. Doch Penny macht vor, dass sich dies mit einem Quäntchen Selbstironie und Humor schon wesentlich leichter bewältigen lässt.


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