Lebendtiertransporte: Nutztiere auf dem „Highway to Hell“

Am Montag publizierte der Europäische Rechnungshof eine Analyse zum Tierwohl bei Lebendtiertransporten. Während EU-Institutionen eine Optimierung anpeilen, hat die Luxemburger EU-Abgeordnete Tilly Metz radikalere Vorstellungen.

Mehrere EU-Institutionen bezeugen in ihren Analysen, dass Lebendtiertransporte wie dieser die Nutztiere stressen und oft im Widerspruch zu Tierschutzstandards stehen. (Copyright: STS Schweizer Tierschutz, CC BY 2.0)

Im Licht der Fleischtheke macht sich das Steak gut, doch der Weg zum Endprodukt ist mit Tierleid verbunden. Die Analyse „Lebendtiertransporte in der EU: Herausforderungen und Chancen“ des Europäischen Rechnungshofes, die Anfang der Woche an die Presse ging, belegt, dass es sich dabei nicht um die Meinung aufgebrachter Veganer*innen und Vegetarier*innen handelt, sondern um Fakten: Obwohl Nutztiere unter langen Transportwegen leiden, werden jedes Jahr Milliarden von ihnen für die Aufzucht, Mast oder Schlachtung durch die Welt befördert, manche von ihnen mehrmals im Laufe ihres Lebens.

Zwischen 2017 und 2021 wurden 86 Prozent der grenzübergreifenden Tiertransporte innerhalb der EU durchgeführt, rund 14 Prozent waren Exporte aus der EU, der Rest Importe aus Drittländern. 2022 verbot Luxemburg als erster EU-Staat Lebendtiertransporte in Drittländer, exportierte in diesem Zeitraum am meisten nach Belgien, die Niederlande und Deutschland; beim Import verhält es sich ähnlich. Das Landwirtschaftsministerium teilte der woxx auf Nachfrage mit, die Tiertransporte im Inland seien in der Regel kurz, auch überschritten Exporte selten acht Stunden. Die luxemburgische Veterinär- und Lebensmittelverwaltung sei zuständig für die Kontrolle der Tiertransporte ins Ausland und führe diese vor der Abfahrt jeder Beförderung durch.

Auf EU-Ebene sieht das anders aus: Ein Drittel der Beförderungen dauert mehr als acht Stunden, die geltenden Tierschutzstandards der EU werden nicht immer eingehalten, „weshalb sich die Frage stellt, ob diese Standards angemessen sind“, wie der Rechnungshof in seiner Pressemitteilung zur Analyse schreibt. Eine rhetorische Frage, denn seit letztem Jahr liegen fünf wissenschaftliche Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Esfa) vor, in Auftrag gegeben von der Europäischen Kommission, die auf den mangelnden Tierschutz beim Transport verweisen.

Allgemein empfiehlt die Esfa darin mehr Platz, die Absenkung von Maximaltemperaturen und kürzere Transportzeiten. Die Forderungen der Esfa sollen der Europäischen Kommission bei der aktuell laufenden Überarbeitung der Tierschutzvorschriften dienen, derzeit gelten noch Standards von 2005. Bisher liege auch der Schwerpunkt der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU nicht auf dem Tierschutz beim Transport, so der Rechnungshof in seiner Analyse. Die Änderungsvorschläge der Kommission werden in der zweiten Jahreshälfte erwartet.

Transportunternehmen wählen längere Strecken, um Mitgliedsstaaten mit einer strikteren Umsetzung der EU-Vorschriften oder härteren Sanktionen zu meiden.

Im Zuge des „European Green Deal“, der die Klimaneutralität des europäischen Kontinents bis 2050 zum Endziel hat, und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ zur Umstrukturierung der Lebensmittelindustrie, kam Bewegung in das Dossier. Im Juni 2020 setzte das Europäische Parlament den Untersuchungsausschuss „Anit“ ein, um Verstöße gegen die EU-Vorschriften im Zusammenhang mit dem Tierschutz beim Transport zu prüfen. Die luxemburgische EU-Abgeordnete Tilly Metz (déi Gréng) präsidiert den Ausschuss, der 2021 seinen Bericht veröffentlichte. Der Anit kam zu einem ähnlichen Schluss wie die Esfa: Die derzeitigen EU-Vorschriften werden den Bedürfnissen der Tiere nicht gerecht.

Der Ausschuss sprach sich in der Folge für eine Transportdauer von maximal acht beziehungsweise von vier Stunden für Tiere, die im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft sind, aus. Kälber unter vier Wochen sollten gar nicht oder nur bis zu 50 Kilometer transportiert werden. Der Anit setzt sich in seinem Bericht zudem für Überwachungstechnologie bei Tiertransporten; die Beschränkung von Exporten in Drittländer, die europäischen Tierschutzstandards gerecht werden, und für die Beförderung der Endprodukte statt der lebenden Nutztiere ein. Das Parlament verabschiedete die Empfehlungen im Januar letzten Jahres mit einer Mehrheit von 557 Ja-Stimmen.

Das ist in dem Sinne paradox, dass sich trotz offensichtlichem Interesse der EU-Abgeordneten für das Thema nicht alle Mitgliedsstaaten an die geltenden Reglungen halten. Letzteres geht neben dem Bericht der Anit auch aus der Analyse des Rechnungshofs hervor, die offenbart: Transportunternehmen wählen längere Strecken, um Mitgliedsstaaten mit einer strikteren Umsetzung der EU-Vorschriften oder härteren Sanktionen zu meiden. Für Fleischerzeuger*innen sei es teilweise sogar von Vorteil, gegen die Vorschriften zu verstoßen, „etwa wenn nicht transportfähige Tiere transportiert würden, da die EU-Länder in der Regel keine abschreckenden Strafen verhängten.“ Der Rechnungshof nennt das Beispiel, bei dem für den eigentlich untersagten Transport eines Bullen mit gebrochenem Bein ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro verhängt wurde, während die Einnahme für das Schlachtgut diese Summe mit bis zu 1.500 Euro Gewinn weit übertraf.

Die Forderung einer Harmonisierung der Sanktionen liegt schon lange auf dem Tisch: Die EU-Kommission beabsichtigte diese zuletzt 2012 in einem Bericht über den Tierschutz beim Transport. „Lebendtiertransporte fallen in den Kompetenzbereich der EU, die Sanktionen müssen strenger und einheitlicher werden“, findet auch die Europaabgeordnete Tilly Metz im Gespräch mit der woxx. „Tierleid ist ein kollektives Versagen.“ Eine Umfrage des Anit zu den Strafen bei der Missachtung der Reglungen zu Lebendtiertransporten, an der sich acht Mitgliedsstaaten beteiligten, ermöglicht einen Vergleich: Während in Deutschland Strafen in Höhe von bis zu 25.000 Euro drohen, beträgt die Höchststrafe in Italien oder Rumänien 6.000 Euro (Stand: 2020/2021).

Der Rechnungshof macht wirtschaftliche Faktoren generell als treibende Kraft hinter den Lebendtiertransporten aus. Die Nutztierhaltung sei nicht überall gleichermaßen ausgeprägt, die Betriebe konzen-
trierten sich zunehmend auf einen Produktionsschritt. Um Geld zu sparen würden die Landwirt*innen und Fleischproduzent*innen die Kostenunterschiede in den Mitgliedsstaaten, beispielsweise für die Schlachtung, ausschöpfen. Das ginge mit längeren Transportwegen einher, die im Umkehrschluss dem Tierwohl schaden. Könnte eine europaweite Vereinheitlichung der Schlachtpreise diesen Teufelskreis brechen? Tilly Metz hält das für schwer umsetzbar und spricht vom Rattenschwanz, den eine entsprechende Verordnung nach sich ziehen würde: „Die Gehälter in den Schlachthäusern in Europa sind unterschiedlich; genau wie die Unterhaltskosten für die Infrastrukturen, die beispielsweise in Deutschland anders ausgerüstet sind, als etwa in Rumänien.“

Allgemein fehle es an Daten zu den Schlachthäusern, wie auch die Analyse des Rechnungshofs belegt. „Ich habe heute keine Übersicht darüber, wie viele Schlachthäuser oder mobile Schlachtdienste es derzeit in Europa gibt“, gesteht Metz. Bei der Pressekonferenz des Rechnungshofs gab es hierfür eine banale Erklärung: Die Datenerhebung sei für EU-Staaten nicht verpflichtend. Aus der Analyse lässt sich ableiten, dass es außerdem keine öffentlich zugängliche Datenbank zu Tierhaltungs- beziehungsweise Schlachtkosten pro Mitgliedsstaat gibt. In Luxemburg publiziert der Service d’économie rurale die Preise online auf dem Landwirtschaftsportal.

Grundsätzlich beobachtet der Rechnungshof einen Trend hin zu weniger, dafür aber größeren Schlachthöfen. Alternativen, die lange Tiertransporte verringern könnten, seien neben der Beförderung von Fleischprodukten statt lebender Tiere auch die Wiedereröffnung lokaler Schlachthöfe und mobiler Dienste zu diesem Zweck. Das Landwirtschaftsministerium gab an, in Luxemburg sei kein Ausbau der zwei bestehenden Schlachthöfe nötig; mobile Schlachtdienste gebe es hierzulande noch nicht.

Der Witz bei der Sache ist, dass der Rechnungshof ausgerechnet eine EU-Vorschrift als Grund für den Rückgang der nun eingeforderten lokalen Schlachtdienste ausmacht: Am Fallbeispiel Polen illustrieren die Prüfer*innen, dass das Inkrafttreten des EU-Hygienepakets 2006 den Prozess hin zu größeren und weit entfernten Schlachthöfen beschleunigt hat. „Viele kleine Schlachthöfe hatten Schwierigkeiten, die nach neuen Rechtsvorschriften geltenden strengeren Hygieneauflagen einzuhalten und dabei wirtschaftlich tragfähig zu bleiben“, heißt es in der Analyse. Größere Unternehmen seien im Vorteil, doch müssten sie gleichzeitig ein hohes Produktionsniveau aufrechterhalten, weil sie mit niedrigen Gewinnspannen arbeiten würden – das führt zurück zum Ausgangsproblem: Damit die Betriebe rentabel sind braucht es „eine ausreichend hohe Anzahl an Tieren aus einem größeren geografischen Gebiet“, ergo längere Lebendtiertransporte.

Foto: Amélie Lachapelle

„Heute ist es leichter auf einer Konferenz über Sexualpraktiken zu reden, als über das, was auf unseren Tellern landet“

Am Ende hält der Rechnungshof die Endkonsument*innen für einen Teil der Lösung. Während Tilly Metz dem teilweise zustimmt, indem sie auf den Einfluss von europäischen Bürger*inneninitiativen wie „End the Cage Age“ im Jahr 2020 erinnert – die Tierschützer*innen bewirkten eine EU-politische Debatte über den Ausstieg aus der Käfighaltung von Legehennen, – geht es dem Rechnungshof mehr um das Kaufverhalten. Nach einer Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2022 zur Lebensmittelsicherheit sollen Verbraucher*innen bereit sein, einen höheren Preis zu zahlen, wenn das Fleisch auf ihrem Teller unter guten Tierschutzbedingungen produziert wurde.

Ein Blick auf die Prozentzahlen relativiert diese optimistische Einschätzung: Nur für 15 Prozent der Befragten spielt der Tierschutz beim Lebensmitteleinkauf eine Rolle, über die Hälfte ist mehr an den Kosten und 46 Prozent am geografischen Ursprung der Produkte interessiert. Eine weitere Umfrage, die in der Analyse zitiert wird, zeichnet ein ähnliches Bild im Hinblick auf den Wissenshunger: 40 Prozent der Teilnehmer*innen waren an Informationen zu den Schlachtbedingungen und der Fütterung der Tiere interessiert, die Transportdauer sowie die Beförderungsbedingungen kümmerten lediglich 16 Prozent.

Verbraucher*innen sind nach einer Studie der EU-Kommission zur Tierwohlkennzeichnung auch nur dann bereit, mehr für Tierprodukte zu zahlen, wenn sie über die Haltungsbedingungen informiert wurden und der Ansicht sind, das Produkt sei von hoher Qualität. Die Einführung eines europaweiten Labels, das für die Einhaltung von Tierschutz-Standards steht, ist im Gespräch.

Der Fleischpreis könnte eine andere Stellschraube im Sinne des Tierwohls sein, meint der Rechnungshof: „Die politischen Entscheidungsträger der EU könnten in Erwägung ziehen, das Tierleiden in die Transportkosten einzupreisen und bei den Fleischpreisen zu berücksichtigen.“ Das Landwirtschaftsministerium nennt die Umsetzbarkeit dieser Maßnahme eine Frage der Konkurrenz: „Das funktioniert nur, wenn die Reglung weltweit angewandt wird.“ Die Konsument*innen könnten in jedem Fall sicher sein, dass Fleischprodukte aus Luxemburg in Einklang mit dem Tierschutz produziert worden seien. Theoretisch mag das stimmen, immerhin verfügt Luxemburg über ein solides Tierschutzgesetz. Rezente Zahlen zu den Verstößen gegen ebendieses zeigen jedoch, dass sich seit 2018 ein Großteil der Fälle auf Nutztiere bezogen – und zwar 65 Prozent. Die woxx berichtete in der Ausgabe 1730 ausführlich darüber.

Inwiefern höhere Fleischpreise die Lebensmittelversorgung finanziell benachteiligter Haushalte einschränkt, davon ist in der Analyse keine Rede. „Niemand hat ein Grundrecht auf Billigfleisch“, reagiert Tilly Metz diesbezüglich. „Im Gegenzug haben alle ein Recht auf eine gesunde, vollwertige Ernährung, deren Produktion stärker gefördert und deren Verkauf preiswerter werden muss.“ Für Metz ist es wichtig, dass die Bevölkerung ausreichend über die Hintergründe ihrer Ernährungsweise informiert wird. Dabei ginge es nicht darum, allen eine vegetarische oder vegane Ernährung aufzudrücken, sondern die Menschen für bestimmte Themen zu sensibilisieren, um ihnen eine fundierte Kaufentscheidung zu ermöglichen.

Wer die ganzen Berichte, Analysen und Studien zum Tierwohl bei Transporten liest; sich die ethischen, arbeitsrechtlichen und strukturellen Pro-
bleme der Fleischindustrie vor Augen führt, kommt dennoch nicht umhin die Zukunft und Nachhaltigkeit des gesamten Wirtschaftszweigs zu hinterfragen. In der Analyse des Rechnungshofs steht diese Überlegung nirgendwo explizit; Tilly Metz bestätigt, dass solche Infragestellungen auf politischer Ebene selten auf offene Ohren stoße.

Bei der Ausarbeitung der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ sei zum Beispiel darüber nachgedacht worden, die Werbung für Fleischprodukte zu untersagen – erfolglos. „Es macht mich krank, dass es sogar tabu ist, eine Ernährungsumstellung zu thematisieren. Heute ist es leichter auf einer Konferenz über Sexualpraktiken zu reden, als über das, was auf unseren Tellern landet“, sagt Metz. „Das Leid von Milliarden von Tieren ist das Symptom eines kranken Systems.“ Für sie ist ein Umdenken im Hinblick auf Essgewohnheiten unumgänglich, doch dafür brauche es eine kohärente Politik und mutige Politiker*innen, die großen Agrarindustrien die Stirn böten.

2021 exportierte Luxemburg 514.167 Nutztiere, der Großteil ging nach Belgien, die Niederlande und nach Deutschland. 
(Quelle: Europäischer Rechnungshof)


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