Tierschutz: Die Kuh vom Eis holen

Im März legten das Landwirtschafts- und das Justizministerium Zahlen zu den Verstößen gegen das Tierschutzgesetz vor. Der Großteil der Vergehen betrafen die Nutztierhaltung. Während Aktivist*innen sich sorgen, halten Verbände sich mit vorschnellen Urteilen zurück. Was spielt sich hinter den Luxemburger Stalltüren ab?

Auch Rinder soll das Tierschutzgesetz von 2018 vor Missbrauch schützen, doch Tierschützer*innen berichten vom Graben zwischen Theorie und Praxis. (Foto : Pixabay)

Eine abgemagerte Milchkuh liegt leblos auf dreckigem Boden, um sie herum Metallvorrichtungen und Heuhaufen. Die luxemburgische Tierschutzorganisation Amiavy hat das Foto im Frühjahr 2022 auf den sozialen Medien hochgeladen. Bei der Kuh handelte es sich um das Tier eines Landwirts im Süden Luxemburgs, der seinen Verpflichtungen als Nutztierhalter nicht mehr nachkam, hieß es in einem Begleittext. Der Hof wurde inzwischen geräumt, aber die Tierschützer*innen sind überzeugt, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.

Rezente Zahlen des Landwirtschafts- und des Justizministeriums zum Tierschutzgesetz, dessen überarbeitete Version 2018 in Kraft tat, belegen diese Annahme zum Teil. Mitte März antworteten die Ministerien auf einen parlamentarische Anfrage des ADR-Abgeordneten Jeff Engelen, der eine erste Bilanz des Tierschutzgesetzes einforderte. Demnach wurden der Veterinärinspektion seit dem Inkrafttreten des Gesetzes 272 Verstöße gemeldet, davon betrafen 65 Prozent Nutztiere. Dabei ging es hauptsächlich um die Unterbringung und Fütterung der Tiere sowie um die Hofpflege.

Was nach einem hohen Prozentsatz ausschaut, wird später in der Frage relativiert: Die Staatsanwaltschaft eröffnete am Ende acht Dossiers, die den gravierenden Missbrauch von Nutztieren zum Gegenstand hatten. Informationen über den weiteren Verlauf der Verfahren blieben derweil trotz Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft bis zum Redaktionsschluss aus. Bekannt ist hingegen, dass im Zuge der Ermittlungen in den letzten fünf Jahren unter anderem 76 Rinder auf Verordnung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurden, weil akute Lebensgefahr für die Tiere bestand. 13.674 kranke oder stark verletzte Rinder und Schweine wurden seit 2018 eingeschläfert; insgesamt gab es in diesem Zeitraum in Luxemburg 770.605 Rinder und 343.216 Schweine.

Momentan führen landesweit täglich sechs Inspektor*innen Kontrollen durch. Davon kümmert sich nur eine Person in Vollzeit um das Tierwohl.

Eine Auffangstation für die beschlagnahmten Nutztiere gibt es derzeit in Luxemburg nicht. Bisher hätte die Veterinärinspektion in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft immer eine Lösung gefunden, so das Landwirtschaftsministerium gegenüber der woxx. Die Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg (Biovereenegung) verweist auf die Prozeduren im Regelfall: Gewöhnlich plane ein Betrieb, der die Tierhaltung aufgibt, diesen Prozess mittel- bis langfristig, was mit dem Verkauf und einer reduzierten Aufzucht einhergehe. „Das läuft meist kontrolliert ab und es bedarf keiner besonderen Strukturen“, schlussfolgert die Vereinigung.

Andere Töne schlagen jedoch die Tierschützer*innen von Amiavy in einem öffentlichen Schreiben an, das nur wenige Tage vor der Publikation der Zahlen des Landwirtschafts- und Justizministeriums an die Presse ging. In der Mail, die vor allem auf die missliche Lage des privaten Tierschutzes und der überlaufenden Tierheime erinnerte, ist von einem Mangel geeigneter Infrastrukturen für große Nutztiere in Not die Rede. Der eingangs erwähnte Milchbetrieb wird als Fallbeispiel angeführt: „Es gibt mehr als einen dieser Milchbetriebe, in denen Bauer und Tier Hilfe benötigen, weil der Mensch überfordert ist.“ Es brauche außerdem mehr Personal, um Kontrollen auf den Höfen durchzuführen.

In der Tat ist die Zahl der Veteri-närinspektor*innen niedrig, wie aus der parlamentarischen Anfrage hervorgeht. Momentan führen landesweit täglich sechs Inspektor*innen Kontrollen durch. Davon kümmert sich nur eine Person in Vollzeit um den Tierschutz, wozu neben den Kontrollen vor Ort auch administrative Aufgaben sowie die Prüfung der Einhaltung der Bestimmungen zu Versuchstieren gehört. Gegner*innen der Tierschlachtung dürfte sauer aufstoßen, dass im Gegenzug in den zwei verbliebenen Schlachthäusern täglich drei Inspektor*innen in Vollzeit vertreten sind, um das Tierwohl vor der Tötung zu garantieren.

Reicht das Personal also aus, um die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes zeitnah und mit dem nötigen Ernst zu überprüfen? Die woxx stellte dem Landwirtschaftsministerium diese Frage bereits letztes Jahr, als luxemburgische Tierschützer*innen wegen langer Wartelisten in Auffangstationen und steigenden Abgaben von Haustieren Alarm schlugen. Damals hieß es, es sei noch nie aufgrund von Personalmangel zu einer Verzögerung bei dringenden Kontrollen gekommen, doch verlange die Wahrung des Tierschutzes den Beamt*innen immer mehr Zeit ab. In der rezenten parlamentarischen Anfrage wird es konkreter: Die Veterinär- und Lebensmittelinspektion stelle noch dieses Jahr eine weitere Person ein, die sich exklusiv um den Tierschutz kümmere.

In der Vergangenheit waren es größtenteils Privatpersonen, die den Autoritäten einen Verdacht auf Tiermissbrauch signalisierten. Die landwirtschaftlichen Betriebe werden jedoch auch regelmäßig nach Zufalls-prinzip und „choix forcé“ kontrolliert. Letzteres trifft zu, wenn mehrere Faktoren vorliegen, wie etwa eine erhöhte Sterberate oder die Anwendung einer extensiven Tierzucht. Diese Form der Zucht ist grob zusammengefasst ein System der Tierproduktion, das sich durch eine großflächige Landnutzung mit geringem Viehbesatz auszeichnet und im Gegensatz zur Massentierhaltung steht. 2022 erhielten elf landwirtschaftliche Betriebe aus diesen Gründen Besuch von der Veterinärinspektion, bei vier davon kam es aufgrund von Verstößen zur Kürzung staatlicher Gelder, wie das Landwirtschaftsministerium der woxx auf Nachfrage mitteilte.

„Die Beratungsmodule werden von der Regierung festgelegt. Aktuell existiert kein spezifisches Modul zum Tierschutz, auch wenn derzeit über die Möglichkeit diskutiert wird, künftig ein entsprechendes Modul einzuführen.“

Diese Sanktionen hängen mit der „Cross Compliance“ zusammen, wonach die Gewährung staatlicher Beihilfen für Landwirtschaftsbetriebe an bestimmte Auflagen gebunden ist. Dies ging mit der Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik im Juni 2003 einher. Der Tierschutz gilt als eine der Grundanforderungen zum Erhalt der Gelder. Bei Verstößen können die Beihilfen um bis zu 20 Prozent reduziert werden, je nach Ausmaß und Dauer des Verstoßes. Die gestraften Hofhalter*innen haben ein Jahr, um die Missstände zu beheben; bei Nichthandeln verdreifachen sich die Kürzungen danach jährlich, bis schließlich alle Beihilfen wegfallen.

„Kontrollen sind wichtig, aber darüber hinaus legen wir großen Wert auf Aufklärung, Beratung und Sensibilisierung der Besitzer“, betont das Landwirtschaftsministerium weiter. Wer sich auf der Website der luxemburgischen Landwirtschaftskammer, der offiziellen Vertretung der Landwirt*innen, Winzer*innen und Gärtner*innen, umschaut sucht diesbezüglich allerdings vergeblich nach Angeboten. Von der woxx darauf angesprochen entgegnet die Landwirtschaftskammer: „Die Beratungsmodule werden von der Regierung festgelegt. Aktuell existiert kein spezifisches Modul zum Tierschutz, auch wenn derzeit über die Möglichkeit diskutiert wird, künftig ein entsprechendes Modul einzuführen.“

Bei der Biovereenegung, die eng mit dem luxemburgischen Institut fir biologesch Landwirtschaft an Agrarkultur (Ibla) zusammenarbeitet, sieht das anders aus. „Da wir für Luxemburg die Zusatzzertifizierungen für Bio Lëtzebuerg und Demeter ausstellen, befinden wir uns mit den Mitgliedsbetrieben im Austausch“, schreibt Daniela Noesen, Direktorin der Biovereenegung, der woxx. „Zusammen mit der Ibla-Bioberatung können wir den Betrieben, falls nötig, bei Fragen zur Tierhaltung und Gesundheit weiterhelfen. Je nach Bedarf und Nachfrage können Seminare und Weiterbildungen organisiert werden.“ Meistens liefe die Kontaktaufnahme direkt über die Ibla-Bioberoodung. Wichtig sei die Beratung auch, wenn es um den Neu- oder Umbau von Ställen oder um alternative Behandlungsmethoden von Krankheiten oder das Weidenmanagement bei Parasiten gehe.

Copyright: Clarissa Schwarz

„Die Diskussion über den Stellenwert des Tieres in der Landwirtschaft wird im Biolandbau schon lange geführt, besonders in Form der artgerechten Tierhaltung“, so Noesen. „Die Kriterien sind in der EU-Bioverordnung festgehalten: Sie beziehen sich unter anderem auf das passende Futtermittel, Einschränkungen bei den Zuchtmethoden oder beim Einsatz von Medikamenten und Hormonen. Auch sind bestimmte Praktiken wie das Kupieren von Schwänzen oder Schnäbeln in der Biolandwirtschaft untersagt.“ In Luxemburg gibt es letzten Erhebungen nach 164 Bioverarbeitungsbetriebe sowie 157 Bioproduzent*innen, davon sind 91 Landwirt*innen.

„Kommt es zu unangemessen Haltungsbedingungen, handelt es sich aber häufig um Landwirte in Schwierigkeiten, denen es an den nötigen Kompetenzen mangelt.“

Allgemein hätte der Tierschutz in der Landwirtschaft einen hohen Stellenwert, sagt Noesen. Zum Einen, weil der Erfolg des Betriebs von der Gesundheit der Nutztiere abhänge, zum Anderen, weil die Öffentlichkeit sich dafür interessiere und wissen wolle, wo die Lebensmittel produziert würden. „Besonders dem Biobauer, der sich der artgerechten Haltung des Mitgeschöpfs Tier verpflichtet und in dessen Betrieb das Tier deswegen einen wichtigen Stellenwert einnimmt, liegt das Tierwohl am Herzen.“ Noesen warnt dann auch davor, aufgrund der Zahlen in der parlamentarischen Anfrage pauschale Schlüsse zur Nutztierhaltung zu ziehen. „Ich will nicht sagen, dass es im Nutztierbereich keine Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gibt und es ist richtig, dass entsprechende Vorfälle aufgedeckt und nachverfolgt werden“, unterstreicht sie. Die Gesellschaft sei gleichzeitig aber weit von der Landwirtschaft und ihrer Funktionsweise entfernt. Deswegen seien Tage der offenen Tür seitens der Betriebe umso wichtiger, damit sich die Menschen die Umstände hinter den Hofpforten anschauen könnten.

Auch der Landwirtschaftskammer fällt es schwer, die Zahlen der Ministerien zu bewerten. „Es gibt über tausend Landwirtschaftsbetriebe, die Nutztiere halten. Einige der aktiven Landwirte werden intensiv von Veterinären begleitet, aber es gibt auch welche, die ihren Betrieb nebenberuflich führen; einige davon verfügen möglicherweise nur über ein paar Kühe oder andere Nutztiere und werden überhaupt nicht erfasst“, präzisiert die Kammer. Haustierhalter*innen blieben in der Regel noch öfter unter dem Radar. „Die vorliegenden Zahlen sollten daher näher erläutert und spezifiziert werden, um die Ursachen der festgestellten Probleme genauer zu ermitteln“, meint die Landwirtschaftskammer.

Vonseiten der Tierschützer*innen scheint hingegen klar, dass es dennoch einige Landwirtschaftsbetriebe gibt, deren Betreiber*innen überfordert sind und die dortigen Tiere in schlechten Konditionen leben. Die Landwirtschaftskammer bestreitet dies im Schriftverkehr mit der woxx nicht direkt, auch wenn sie sich zunächst Noesens Aussage anschließt, dass die meisten Landwirt*innen schon allein aus wirtschaftlichen Gründen am Wohl ihrer Tiere interessiert sind. „Kommt es zu unangemessen Haltungsbedingungen, handelt es sich aber häufig um Landwirte in Schwierigkeiten, denen es an den nötigen Kompetenzen mangelt. Meistens arbeiten sie nur in Teilzeit oder weniger in der Landwirtschaft und gehen hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nach“, räumt die Kammer ein. „Es kann auch vorkommen, selbst wenn es Ausnahmen sind, dass die Behandlungskosten für ein krankes oder verletztes Tier die ökonomischen Ressourcen der Landwirte übersteigen. Ein Hoftier ist kein Haustier, sondern ein Kostenpunkt.“ In der Regel sei der Anspruch an Hoftiere zudem nicht, das natürliche Lebensende zu erreichen, und sie erhielten deshalb eine andere medizinische Behandlung, als Haustiere.

Die Landwirtschaftskammer verweist unabhängig davon auf ihre Forderungen im Rahmen des neuen Agrargesetzes, das nach scharfer Kritik aus dem Sektor und mehreren Einwänden des Staatsrates Anfang des Jahres zur Überarbeitung an die zuständige Kommission zurückgereicht wurde. Im Hinblick auf das Tierwohl setzt die Landwirtschaftskammer sich nämlich dafür ein, dass Landwirt*innen entweder über eine Weiterbildung zum Thema oder über Grundkenntnisse dazu verfügen müssen. „Die Forderung wird von verschiedenen politischen Akteuren mit dem Argument abgelehnt, dass der Zugang zum Beruf möglichst offen sein sollte“, verrät die Landwirtschaftskammer. „Diese Denkweise kann durchaus die unangemessene Tierpflege und Wissenslücken im Bereich des Tierwohls zur Konsequenz haben.“


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