Zum Interview „Parentage naturel: Couches lavables et nouveaux rituels“, das in der woxx 1413 abgedruckt war, ist uns folgende Stellungnahme zugegangen:
Schon vor 45 Jahren hat die Frauenbewegung für die Zulassung von wirksamen und unschädlichen Verhütungsmitteln gekämpft und für das Recht der Frau, selber zu entscheiden, ob sie Kinder will oder nicht. Jetzt wird wieder der natürliche Weg der Verhütung gepriesen, und die Pfaffen reiben sich die Hände! Zahlreiche unerwünschte Kinder sind trotz – oder wegen – der Knaus-Ogino-Methode (auch Kalendermethode genannt, Anm. d. Red.) zur Welt gekommen.
Mutter Natur, Einbuddeln der Plazenta, Ritualisierung der Schwangerschaft – haben wir es hier mit einer neuen Religion zu tun? Schwangerschaftsabbrüche sind mit dieser neuen Natürlichkeit nicht zu vereinbaren, das ist klar! Das Thema kommt in besagtem Interview deshalb gar nicht erst zur Sprache. Doch wer diese Art von Mütterlichkeit propagiert, der lässt mal wieder die Erzeuger außen vor und konstruiert ein Bild von Frau und Mutter, das nur die alten Rollenklischees verfestigt. Jetzt schon ziehen sie mit ihren Blagen durch die Straßen und die Supermärkte und tragen ein imaginäres Schild vor der Brust: Ich bin Mutter, Platz da!
Doch diese neue Religion ist nur eines von vielen Anzeichen eines gewaltigen Rückschritts in Sachen Gleichstellung der Geschlechter – und zwar aller Geschlechter, nicht nur der Männer und der Frauen. Wen wundert’s heute, wenn im EU-Parlament ein polnischer Abgeordneter die Frauen als minderwertig bezeichnen kann und in Russland häusliche Gewalt wieder salonfähig wird?
Die Selbstbestimmung der Frau ist untrennbar mit dem Verfügungsrecht über ihren eigenen Körper verbunden. Zu diesem gehört auch die sexuelle Selbstbestimmung und die Entscheidung darüber, wie und wann und wie viele Kinder gewollt sind. Aber erst die finanzielle Unabhängigkeit ist ein Garant dafür, dass diese theoretische Selbstbestimmung auch verwirklicht werden kann.
Die so hochgelobte „natürliche Mutterschaft“ können sich allenfalls wohlhabende Frauen leisten, die ihr Brot nicht mit ihren Händen – oder ihrem Kopf – und unter schlechten Arbeitsbedingungen verdienen müssen. Die sozialen Errungenschaften, die im letzten Jahrhundert für die arbeitenden Mütter erkämpft wurden – Schwangerschaftsurlaub, Elternzeit, Stillpausen, Anrechnung der Babyjahre in der Pensionslaufbahn – sind mit dieser Ideologie weg vom Tisch. Selbstverwirklichung durch Mütterlichkeit, zurück zur Natur, da braucht es keine soziale Absicherung. Oder aber der Lohn für Hausarbeit und ähnliches wird als Nächstes auf der Forderungsliste stehen. Diese Anliegen sind nicht die der Plattform JIF, unter deren Siegel der Artikel abgedruckt wurde!
Th. Gorza
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