Meinung: Zur Rolle der „alternativen Linken“ in der aktuellen Rezession

Ökologische und keynesianische Wiederaufbauprogramme? Wenn sie das System wiederherstellen, sind sie inakzeptabel, findet der Déi-Lénk-Aktivist Alain Sertic.

Chile 2020. (lm)

Auch die alternative Linke wird durch die von der Corona-Pandemie gezündeten Rezession vor eine neue Realität gestellt. Hatte man sich gerade erst mit einer notwendigen Entschleunigung der Wirtschaft angefreundet, so wurde man nun aus heiterem Himmel mit dem Zurückschalten der industriellen Produktion konfrontiert. Zwei Monate später folgten dann milliardenschwere Konjunkturprogramme, um genau diese Industrien wieder anzukurbeln. Die Stabilitätskriterien der EU, der Fiskalpakt und die Schuldenbremsen wurden im Handumdrehen über Bord geworfen, und die weltweiten „Rettungspakete“ übersteigen das Volumen der Bankenrettung von 2008 und alles, was es bisher in dieser Art gegeben hat.

Schon ab Ende 2018 ging u. a. in Deutschland die Industrieproduktion zurück und lag im Juni 2019 um 5,2 % unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Der Zeitraum seit dem Bankenkrach von 2008/09 hat die Unfähigkeit des Systems zu einem strukturellen  Kurswechsel eindeutig bewiesen. Zwölf Jahre danach stehen wir erneut vor den gleichen Problemen, nur die Dimensionen sind um vieles größer geworden. Man war auf der gleichen Schiene ganz einfach auf Kredit weitergefahren – die Folgen sind eine massive weltweite Verschuldungen aller Akteure (Staaten, Konzerne, Haushalte), eine erneute industrielle Überproduktion, Verdrängungs- und Handelskriege und eine noch hemmungslosere Umweltzerstörung, die eine planetare Klimakatastrophe heraufbeschwört.

Triumph und Ohnmacht des „Keynesianismus“

Genau wie vor zwölf Jahren soll nun weltweit mit noch mehr Finanzspritzen aus Steuergeldern und billigen Krediten in Höhe von hunderten Milliarden dieses auf Profit und Verdrängungswettbewerb aufgebaute System erneut in Schwung gebracht werden. Es gäbe keine Alternative dazu, wird uns gesagt, ansonsten drohe der Bankrott und massive Arbeitslosigkeit. Wurde uns vor einigen Monaten noch erzählt, dass man kein Geld hätte für den ökologischen Umbau der Wirtschaft und einen Schuldenerlass für Griechenland oder die dritte Welt, scheint vorerst die Kapitalbeschaffung auf Pump oder vom Staat für die Konzerne kein Problem mehr zu sein.  Die Anhänger von Keynes in der Linken, die in Krisenzeiten mit öffentlichen Aufträgen, staatlichen Krediten und Arbeitsbeschaffungsprogrammen den Kapitalismus retten wollen, könnten sich eigentlich freuen.  Alle Regierungen in Europa tun das Gleiche.

Das Problem ist nur, was bei kleineren konjunkturellen Krisen half, wird bei diesem globalen „Crash“ nicht mehr wirken, weil allgemein keine neuen Absatzmärkte existieren. Im aktuellen Fall werden die Konzerne dieses Kapital nicht zum ökologischen Umbau, sondern zur Erhöhung ihrer Produktivität, also zur Anfeuerung  des Konkurrenzkampfes verwenden. Das Problem wird nicht gelöst sondern nur auf eine höhere Ebene verlagert. Erst einmal kurzfristig den Kapitalismus retten, um ihn dann nachher (vielleicht) zu verbessern und zu zähmen? Eine solche politische Strategie würde für die alternative Linke in einem politischen Desaster enden.

Die Systemfrage drängt auf die Tagesordnung

Der springende Punkt bei dieser Krise ist ganz einfach, dass das „Nachher“ nicht die Weiterführung des „Vorher“ sein kann. Ohne einen radikalen Paradigmenwechsel werden die Probleme letztlich nur verstärkt. In dieser Situation muss die radikale Linke die Systemfrage stellen und mit praktischen Forderungen und Vorschlägen eine Alternative zum Kapitalismus propagieren. Die liberale Profitwirtschaft führt die Menschheit alle paar Jahre und in immer kürzeren Abständen in ein immer globaleres Chaos. Der Drang nach „Wachstum um jeden Preis“, wird als einziges Mittel aus der Krise gepriesen, dabei ist er ja gerade die Ursache der globalen Krise. Es ist ein Teufelskreis, der nur bewusst politisch durchbrochen werden kann.

Jede Krise ist aber auch immer eine Chance für die Infragestellung dieses Systems. Die Begrenzungen des auf globalen Profit ausgerichteten Systems müssen durchbrochen werden. Das erste Prinzip muss lauten: – Wir zahlen nicht für eure Krise und  haften nicht für eure Schulden! Kein Schulterschluss, keine Teilnahme an nationalen Wideraufbauplänen des Kapitalismus!

  • Ohne soziale Mobilisierung der Lohnabhängigen in Europa wird es keine wirksame soziale Verteidigung der sozialen Errungenschaften  geben und schon gar keine Durchsetzung von offensiven Forderungen, die den Rahmen der Marktwirtschaft in Frage stellen.
  • Gegen den kommenden Anstieg der Arbeitslosigkeit müssen unbedingt spürbare Arbeitszeitsenkungen durchgesetzt werden.
  • Bankrotte Firmen in strategisch wichtigen Sektoren der Ökonomie müssen verstaatlicht werden. Ebenso ist eine Verstaatlichung des Bank- und Kreditwesens unumgänglich, um weitere Finanzspekulation zu verhindern.
  • Diese Krise muss genutzt werden, um einen ökologischen Umbau der Wirtschaft einzufordern und zu beginnen. Dazu gehört eine Begrenzung des Flugverkehrs, eine Wende in der Verkehrspolitik, generell weg vom Individualverkehr, hin zum Kollektivtransport.
  • Schluss mit der militärischen Rüstung und Forschung! Darum, massive Reduzierung der Militärhaushalte.
  • Die Erhöhung der Hungerrenten und Löhne in Europa wäre das beste Konjunkturprogramm für Handel und Wirtschaft.
  • Die Schulden der „Dritten Welt“ müssen gestrichen werden und unter ökologischen Auflagen sollen neue Investitionen erfolgen.

Es muss uns klar werden, dass, gelänge es dem Kapitalismus, die jetzige Krise in seinem Interesse zu überstehen, uns dann eine noch viel schlimmere Periode von sozialer Ungleichheit, von Zerstörung der Umwelt und Interventionskriegen bevorstehen würde. So wenig ein Zurück in die 1960er Jahre möglich ist, so wenig wird es ein Zurück in die Zeit vor 2008 oder vor 2020 geben. Das Kapital hat keinen anderen Ausweg als den des Neoliberalismus und kann nur geschlossen die Flucht nach vorne antreten. Der Preis für die dafür notwendige Restauration der Profitrate würde den arbeitenden Teil der Menschheit, aber auch die Umwelt teuer zu stehen kommen.

Ökosozialismus versus „Green New Deal“

Diese beiden Bezeichnungen stehen als Sammelbegriffe für 2 unterschiedliche Konzepte:

  • Der „Green New Deal“ (GND) ist eindeutig ein Programm zur Umstellung der kapitalistischen Wirtschaft auf ökologische Produktion durch ein staatlich finanziertes Investitionsprogramm, bei dem die DNA des Systems, nämlich der Zwang zu Wachstum und Profit, also die kapitalistische Akkumulation, nicht in Frage gestellt werden. Der GND ist und bleibt ein Reparaturprogramm des neoliberalen Kapitalismus, das letztendlich nicht klappen kann.
  • Dem gegenüber steht der Ökosozialismus für die Erkenntnis, dass nachhaltige Klima- und Sozialpolitik unvereinbar sind mit den grundlegenden Mechanismen der Geldherrschaft. Einen grünen, klimagerechten Kapitalismus kann es nie geben. Das Wachstum der profitorientierten Wirtschaft bedeutet folglich immer mehr Ressourcenverbrauch und mehr Zerstörung der Umwelt. Die Mechanismen, die uns in diese Krise geführt haben, taugen nicht als Mittel, um uns aus ihr heraus zu führen.

Es muss also eine grundlegende und radikale Abkehr von den Prinzipien der bisherigen Produktionsweise erfolgen. Dazu bedarf es einer radikalen Senkung des Energie- und Rohstoffverbrauchs, die fossilen Energieträger (Kohle, Öl und Gas) müssen im Boden bleiben. Der individuelle Autoverkehr muss konsequent gesenkt werden. Eine Rekonversion der  Autoindustrie ist unabdingbar. Verkehrs- und Transportwege müssen verkürzt werden, die Produktion muss „entschleunigt“ werden. Die Arbeit muss auf alle gerecht verteilt werden, und so weiter…  Alleine diese unvollständige Auflistung von nur einigen Zielsetzungen verdeutlicht sofort die Unvereinbarkeit mit den herrschenden Eigentumsverhältnissen. Wollen wir die Gesellschaft ernsthaft verändern, muss also die Machtfrage gestellt werden. Eine umfassende Demokratisierung von wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen muss zur Grundlage eines klimagerechten und sozialen Umbaus der Wirtschaft werden. Diese Krise wird wohl zur Schicksalsfrage der europäischen Linken werden.

 


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