Freie Tribüne: Casus belli Schloss Eisenborn oder wie Denkmalschutz (und Naturschutz) auf Luxemburgisch geht

Anhand eines „Avis public“ gab die Gemeinde Junglinster kürzlich bekannt, dass bei ihr ein Antrag für den Abriss der Scheune des ehemaligen Klosters in Eisenborn eingereicht worden sei, und gab der Bevölkerung Gelegenheit, sich, binnen Wochenfrist, hierzu zu äußern. Viele, so auch die Verfasserin dieses Schreibens, mögen sich zunächst gefragt haben, wieso die Gemeinde so viel Aufhebens um den Abriss einer Scheune macht. Schließlich werden hierzulande, tagtäglich architektonische Baudenkmäler zerstört, ohne dass die Bevölkerung je zu Rate gezogen wird. Was also rechtfertigt eine solche Aufmerksamkeit?

Illustration: Wikimedia

Vor einigen Jahren veröffentlichte der Lokalhistoriker René Link einen Band mit dem umständlichen Titel „Un corps de biens connu sous le nom de château d’Eysembourg“, dessen Untertitel „De la seigneurie au village d’Eisenborn: une ferme, un château, un cloître“ (Lëtzebuerger Bicherfrënn, 2013), nicht nur die Geschichte des Gebäudekomplexes bereits resümiert, sondern auch dessen Stellung in der Ortschaft wiedergibt. René Link lehrt uns, dass das Gebäude, das heute noch, in Anlehnung an seine Glanzzeit im 19. Jahrhundert als Schloss Eisenborn bezeichnet wird, spätestens seit dem späten 18. Jahrhundert, so lange jedenfalls, wie sich seine Geschichte anhand von alten Karten, Katasterauszügen und Eigentumstiteln nachvollziehen lässt, das Herzstück eines bedeutsamen landwirtschaftlichen Anwesens bildete: In einer Zeit, so Link, wo die große Mehrheit der Dorfbevölkerung weniger als zehn Hektar Land besaß, verfügte die Familie de Seyl, die den Hof bis ins späte 19. Jahrhundert bewirtschaftete, über mehr als 50 Hektar. Jean-Baptiste de Seyl, der erste Besitzer, den René Link namentlich ausfindig machen konnte, besaß, neben seinem Anwesen in Eisenborn, auch Ländereien in den umliegenden Gemeinden, sowie südlich von Luxemburg-Stadt.

Auf der sogenannten Ferrariskarte (1770 – 78), welche als älteste kartographische Aufzeichnung unseres Landes gilt, erscheint das Anwesen bereits in seinen heutigen Dimensionen: Ein Längsbau am Ufer der Weißen Ernz, welcher über eine Mauer mit einem schräg gegenüber liegenden Gebäude verbunden ist. Wenig später, nämlich 1801, erscheint direkt gegenüber ein weiteres Gebäude. Da die Ferrariskarte nicht den Anspruch einer kartographischen Genauigkeit besitzt, kann man davon ausgehen, dass es sich um ein und dasselbe Gebäude handelte. Auf neueren Aufzeichnungen, aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, ist es verschwunden.

Foto: Karin Waringo

Wenden wir uns nun aber der Geschichte des Gebäudes zu: Nach dem Tod der Witwe Jean-Baptiste de Seyls, Marie Gudule de Seyl-Boudler, die bereits den Titel eines „Seigneur“ trug, ging das Anwesen zunächst an ihre unmittelbare Nachkommen über und wurde dann bis 1899 innerhalb der Familie De Seyl weitervererbt. Aus den Erbschaftstiteln, sowie aus den Verkaufsunterlagen, die René Link in seinem Band zusammengestellt hat, entnehmen wir wichtige Anhaltspunkte zu den einzelnen Bauteilen und zum Wandel des Gebäudekomplexes von einem Herrenhof zum Schloss. Besonders stutzig macht hierbei die Erwähnung, ab 1806, einer „vieille maison de ferme“ im Zusatz zur „maison, grange, bergerie, écuries“, sowie der Ländereien. Handelt es sich hierbei etwa um besagte Scheune, die heute abgerissen werden soll?

1899 erstand der Unternehmer Joseph Heintz, besser bekannt unter dem Namen Heintz-van Landewyck das Anwesen, um es nur kurze Zeit später an die Schwestern der Congrégation de Notre Dame, die das Internat Sainte Sophie betrieben, zu verkaufen. In der Anzeige, die Heintz im Sommer 1902, im Luxemburger Wort erschienen ließ, wird das Anwesen unter der Bezeichnung „Schloss Lachapelle“ als „Hof- und Herrschaftsgut“ beschrieben. Neben einem herrschaftlichen Wohnhaus, dessen 15 Zimmer soeben „restauriert“ wurden, umfasst es ‚großartige Ställe und Scheunen, geräumig genug zur Unterbringung von 50-60 Stück Hornvieh“, sowie einen Park mit Weiher, mehrere Gärten und Ackerland.

Foto: Karin Waringo

Wie bereits weiter oben beschrieben, dürften ein Teil der Ställe im Nebengebäude seitlich links vom Hauptgebäude untergebracht gewesen sein. Hilfreich ist daher ein Grundriss aus dem Jahre 1924, der, von links nach rechts, die Bezeichnungen, Schuppen, Stall, Schweineställe, Pferdestall, Scheune, Wohnhaus enthält. Tatsächlich führten auch die Schwestern der Congrégation Notre-Dame, die hier ihren Landsitz hatten, den landwirtschaftlichen Betrieb weiter.

1992 übernahm dann der Fonds du Logement das Gebäude. Zunächst wurden hier Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien untergebracht, doch seit 2000 steht das Gebäude leer. Die Fenster im Erdgeschoss wurden zugemauert, die oberen Fenster abgestützt. Zwischen 2010 und 2012 erfolgten erste Arbeiten, die jedoch wieder abgebrochen wurden. Vor ein paar Jahren wurden Löcher in die hintere Fassade geschlagen, angeblich, um die Pfetten, die die beiden Seiten des Dachgeschosses miteinander verbinden, zu erneuern.

Aus den Plänen, mal dreißig, mal sieben, dann wieder 14 Sozialwohnungen entstehen zu lassen, wurde nichts.

Dreißig Jahre nach dem Kauf, für den der luxemburgische Staat damals 32 Millionen alte Franken hinlegte, ist es endlich soweit: 2023 sollen die Arbeiten beginnen. Doch dafür muss zunächst einmal ein Teil des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes abgerissen werden, eben jener Teil, von dem wir weiter oben gesehen haben, dass er nicht zur Unterbringung von sogenanntem Nutzvieh diente, sondern auch zur Lagerung und Verarbeitung von Lebensmitteln und als Unterkunft für das Personal, und der, so unsere Hypothese, möglicherweise sogar den eigentlichen Kern des ehemaligen Landguts bildet.

Im Mai 1975 brannte der Dachstuhl des Nebengebäudes ab: Das Foto, das damals im Luxemburger Wort erschien, ergänzt eine ältere Postkartenansicht der Rückwand, auf der zwei verzierte Dachgauben zu erkennen sind, ein Versuch, eine architektonische Einheit mit der Fassade des Hauptgebäudes herzustellen.

Illustration: Collection privée

Zusammen mit dem Abrissantrag reichte der Fonds du Logement als Bauträger ein Schreiben der Kulturministerin Sam Tanson von Anfang Februar bei der Gemeinde Junglinster ein, mit dem sie das Gebäude zum Abriss freigibt. Allerdings stellt sie eine Reihe von Bedingungen: Neben einer Stabilisierung des Hauptgebäudes, von dem sie offensichtlich befürchtet, dass es von den Abrissarbeiten in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, müssen die steinernen Gewände der Fenster und Tore inventarisiert und aufbewahrt werden. Sie sollen offensichtlich im geplanten Neubau Wiederverwendung finden. Mit weiteren bearbeiteten Steinelementen, die sich wohl im Inneren des Gebäudes, das die Ministerin, als „Grange“, Scheune, bezeichnet, befinden, soll in gleicher Art und Weise verfahren werden. Sogar die Mauersteine sollen zwecks späterer Nutzung aufgehoben werden.

Die Ministerin weist aber auch auf die „Bepflanzungen“ hin. Schließlich ist nicht nur das Schloss, sondern auch die Parkanlage denkmalgeschützt. Ein alter Ahorn, der sich just dort befindet, wo ein Parkplatz vorgesehen ist, müsse geschützt und erhalten werden. Außerdem müsse man eine Verdichtung des Bodens der künftigen Gartenflächen verhindern. Abschließend mahnt die Ministerin, dass die provisorischen Pläne, die ihr vorgelegt wurden, noch an vielen Stellen zu präzisieren und zu überarbeiten seien, bevor sie ihre endgültige Zustimmung zu dem Bauvorhaben geben könne.

Obwohl die Beschreibung des Gebäudeteils, das nun zum Abriss freigegeben ist, mehr als oberflächlich ist, – eine bauliche Bestandsaufnahme, wie sie in der Denkmalpflege üblich ist, ist offensichtlich nicht erfolgt – , enthält sie hinreichende Anhaltspunkte, die seine Bezeichnung als Scheune in Frage stellt: Offensichtlich haben wir es hier mit einer steinernen Konstruktion zu tun, auf deren Herstellung äußerste Sorgfalt verwendet wurde, was sie nicht nur, vom Standpunkt der Sozial- und Kulturgeschichte, sondern auch vom Standpunkt der Baugeschichte, unter anderem, in ihrer Verkörperung alter Handwerkskunst, zum erhaltenswerten Objekt macht. Sie scheint auch das Interesse und die Begierden einer Unterabteilung des Ministeriums, des frischgebackenen Instituts für archäologische Forschung, INRA, geweckt zu haben: In der Tat sollen Ausgrabungsarbeiten hier erfolgen. Nach neuesten Informationen sind sie bereits erfolgt.

Luftbild von Eisenborn – Dokumentation / Fonds du logement

Der Verweis auf die archäologische Bedeutung des Standorts scheint unsere Hypothese zu untermauern, wonach es sich bei der sogenannten Scheune um den eigentlichen Kernbau handelt, der später, nachdem es sein Besitzer zu größerem Wohlstand gebracht hatte, durch ein repräsentatives Herrenhaus ersetzt und ergänzt wurde, sodass er fortan nur mehr als Wirtschaftsgebäude und zur Unterbringung des Personals diente.

Doch ist es weder die bauliche Beschaffenheit eines Gebäudes, noch seine Funktion, die über seine Erhaltenswürdigkeit entscheidet. Im neuen Denkmalschutzgesetz wird eine Liste von Kriterien aufgeführt, die ein Gebäude erfüllen muss, um für einen nationalen Schutz in Betracht zu kommen. Keiner davon besagt, dass ein bestimmter Gebäudetyp für den Schutz nicht in Frage kommt; im Gegenteil: Seine klar erkennbare Funktion und ursprüngliche Bestimmung bilden ein Kriterium für eine Unterschutzstellung! Weder die verwendeten Baumaterialien, noch das handwerkliche Geschick seiner ErbauerInnen sind Ausschlusskriterien.

Schließlich ist all dies heute nicht von Belang, da der gesamte Gebäudekomplex, einschließlich seines Parks und Weihers 2009 unter nationalen Denkmalschutz gestellt wurde. Die zuständige Kommission, die sich damals auf Betreiben der Staatssekretärin für Kultur, Bildung und Forschung, in der Sache äußerte, begründete ihre Entscheidung zwar nicht, doch ihr Votum war eindeutig: Es gab weder Gegenstimmen, noch Enthaltungen. Es gab auch keine Einschränkungen.

Demnach muss man schließen, dass es der Fonds du logement war, der seine Planungen, ungeachtet des Schutzstatus des Gebäudes vorantrieb und von der Gemeinde die notwendigen Genehmigungen erwirkte. Nachdem die Arbeiten 2013 offensichtlich gestoppt wurden, da die Pläne nicht im Einklang mit dem damals geltenden PAG waren, änderte die Gemeinde ihren PAG: Im neuen PAG ist das gesamte „Schloss“ nur mehr „gabarit-geschützt“ und kann somit abgerissen werden!

Illustration: Fonds du logement

Personen, die Gelegenheit hatten, das Gebäude zu besichtigen, berichten, dass es vollkommen leer sei. Dabei kann man getrost davon ausgehen, dass sich das Anwesen bei seinem Verkauf durch die Schwestern und Ankauf durch den luxemburgischen Staat in einem einwandfreien Zustand befand. Eines der wenigen Bilder aus dem Inneren des Hauptgebäudes, das im Band von René Link veröffentlicht ist, zeigt Deckenornamente und Holzvertäfelungen. Wo sind sie hingekommen? Wie steht es um den Park, der, neben einem Weiher, auch diverse Statuen und eine „Mutter-Gottes-Grotte“ beherbergte? Kürzlich sind hier Dutzende, zum Teil mehr als hundertjährige Bäume abgeholzt worden. Auch seitlich vom Gebäude und längsseits der Straße wurden Bäume abgeholzt. Wer hat diese Arbeiten in Auftrag gegeben und wer hat sie genehmigt? Schließlich ist der einen Hektar große Park, dessen Ursprung ins 19. Jahrhundert zurückgeht, als hier ein sogenannter englischer Garten eingerichtet wurde, nicht nur denkmalgeschützt: Er liegt auch inmitten einer Grünzone!

Luxemburg hat, wie wir inzwischen alle wissen, ein Wohnraumproblem. Vor allem fehlt es an bezahlbarem Wohnraum und Mietwohnungen. Mit über 50 Hektar Land gehört der Fonds du Logement, neben dem luxemburgischen Staat, zu den fünf größten Grundeigentümern, die sich 361 Hektar Land teilen. Muss der Fonds, der im Übrigen, gleich nebenan, weitere Gebäude und Grundstücke besitzt, ausgerechnet an dieser Stelle, wo bereits ein Gebäude steht, noch dazu eins mit einer langen Geschichte, einen Neubau errichten, der sich in nichts von einem x-beliebigen Neubau unterscheidet, wie sie mittlerweile überall hierzulande errichtet werden? Fehlt es dem Fonds du Logement an Kreativität oder an Einfühlungsvermögen, um ein denkmalgeschütztes Gebäude im Respekt der alten Bausubstanz und des „Genius loci“ umzuwidmen? Ist diese überstürzte Abrissreaktion nach mehr als zwanzig Jahren Stillstand gerechtfertigt?

Plan d’aménagement particulier „quartier existant“ von Eisenborn – Quelle: Commune de Junglinster

Aber auch das Verhalten anderer Akteure ist fragwürdig: Wie kann es sein, dass ein Gebäude, das national geschützt ist, im PAG plötzlich nur mehr „gabarit-geschützt“ ist? Wie kommt das nationale Denkmalschutzamt dazu, einen Teil eines denkmalgeschützten Gebäudes als wertlose alte Scheune zu bezeichnen, die demnach abgerissen werden kann, nachdem man einzelne ihrer Elemente sorgfältig beiseite gebracht hat? Wie kommt eine Ministerin dazu, aufgrund von provisorischen Bauplänen, eine ebenso provisorische Zustimmung zu dessen Abriss auszustellen, die der Gemeinde anschließend als Freibrief für die Erteilung einer Abrissgenehmigung dient?

Bezüglich des Parks heißt es, dass er öffentlich zugänglich werden soll, wobei jedoch sein unterer Teil offensichtlich in Parkplätze und Kleingärten für die BewohnerInnen des ehemaligen Schlosses umgewandelt wird. Was passiert mit seinem Weiher und den alten Steinskulpturen? Wo sind hier die Pläne und, vor allem, die Begründung und Genehmigung für die Abholzaktion?

Denkmalschutz ist ein ewiges Streitthema, weil er einen mit einem Eingriff in ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht, dem Recht auf Eigentum, verbunden ist, und weil der Erhalt alter Bausubstanz oftmals im Gegensatz zu den Verwertungsinteressen privater Träger steht. Hier aber ist der Bauträger eine öffentliche Einrichtung, von der man annehmen könnte, dass es ihr nicht, in erster Linie um Profitmaximierung geht und sie somit auch in der Lage ist, die Schaffung von Wohnraum und den Erhalt alter Bausubstanz miteinander zu verbinden. Nur so, nämlich, ließe sich die Übertragung denkmalgeschützter Gebäude an den Fonds rechtfertigen. Schließlich hat es sich Luxemburg, mit der Unterzeichnung internationaler Abkommen, wie dem Abkommen von Granada zur Aufgabe gemacht, Baudenkmäler per Gesetz zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass sie weder entstellt, noch zerstört werden, was auch bedeutet, dass ihre Nutzung im Einklang mit ihrem Erhalt ist. Mit der Unterzeichnung der Habitat-Verordnung hat sich Luxemburg auch verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Lebensraum von Pflanzen und Tieren erhalten bleibt.

Nachtrag: In der Empfangsbescheinigung der Gemeinde Junglinster auf unseren Einspruch gegen den Abriss heißt es übrigens richtig, „démolition partielle du château d’Eisenborn.“


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