Miniserie „All You Need“: Was es heißen kann, schwul zu sein

„All You Need“ ist die erste Serie im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die ausschließlich von schwulen Männern handelt. Es ist ein durchwachsenes Debüt, das Mehrfachdiskriminierung und Bodyshaming thematisiert.

Die Drama-Komödie im Serienformat „All You Need“ dreht sich vor allem um sie: Die schwulen Freunde Vince (links) und Levo (rechts). (Fotos: ARD Degeto/Andrea Hansen)

Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen hat seine erste Miniserie über schwule Männer: Sie heißt „All You Need“, spielt in Berlin und kommt von der ARD. Im Mittelpunkt: Zwei Freunde, ihre Liebesbeziehungen und Schwulsein in Berlin.

Gleich in der ersten Folge fällt im Zusammenhang mit schwulem Dating das Stichwort „Dickpic“ (Penisbild), wenig später hat der Hauptcharakter Vince (Benito Bause) auf einer Clubtoilette Oralsex mit einem Fremden. Schon setzt der Drehbuchautor und Regisseur Benjamin Gutsche zwei Häkchen auf der langen Liste der Vorurteile gegenüber Schwulen: Freizügigkeit und ein Hang zu unverbindlichem Sex.

Gutsche versucht gar nicht erst, diese und andere Klischees zu dekonstruieren, sondern führt stattdessen Gegenbeispiele – monogame Schwule – ein. Für die vielen Klischees erntete Gutsche unter anderem Kritik vom Journalisten Stefan Mesch. Der lobt jedoch im gleichen Atemzug, dass „schwules Leid und schwule Traumata“ in der Miniserie nicht im Vordergrund stünden. Das dürfte Gutsche gefallen, denn er sagte im Gespräch mit der Zeitung „Der Tagesspiegel“: „Die Sexualität einer Figur ist mit Sicherheit ein wichtiger Aspekt, aber letztendlich auch nur ein Aspekt von vielen, die einen Menschen ausmachen.“

Das darzustellen ist Gutsche allerdings misslungen und auch Meschs Kommentar ist schwer nachvollziehbar: „Schwules Leid“ ist zentrales Thema der Miniserie. Für gewöhnlich ist das kein Kompliment, weil das oft die karikaturistische Abbildung queerer Charaktere bedeutet. Im Fall von „All You Need“ ist das anders: Ohne den Fokus auf die sexuelle Orientierung der Figuren, wäre die Miniserie eine klassische Seifenopfer der ARD, nur eben mit schwulen Männern in den Hauptrollen.

Vince ist gebürtiger Berliner, Schwarz und Medizinstudent. Er erfährt Mehrfachdiskriminierung: Aus Angst vor Angriffen vermeidet er es, auf offener Straße mit seinem Partner Händchen zu halten; gleichzeitig wird er wegen seiner Hautfarbe für einen Migranten und Kriminellen gehalten. Während Vince still unter dem Hass leidet, zeigt Robbie (Frédéric Brossier) homofeindlichen Menschen den Mittelfinger. Er verträgt weder Homofeindlichkeit noch Machtmissbrauch. Im Kampf dagegen setzt er auch mal seine Fäuste ein. In der Serie tritt er als durchtrainierter Ex-Fitnesscoach auf, der unter Minderwertigkeitskomplexen leidet. In der Vergangenheit wurde er in der Szene diskriminiert: Männer lehnten ihn aufgrund seines hohen Gewichts ab. Über Bodyshaming in der Schwulenszene wird seit einigen Jahren diskutiert. Umso spannender, dass die Serie das Thema anreißt.

Tom (Mads Hjulmand) hat sich mit 40 und nach heterosexueller Ehe als schwul geoutet. Zwar hat er sich zu einer Beziehung mit einem Mann durchgerungen, doch wischt er seine Schuhe immer noch auf der Fußmatte ab, auf der sein eigener und der Name seiner Ex-Frau prangen. Levo (Arash Marandi) ist zwar mit sich im Reinen, muss sich aber mit der Queerfeindlichkeit seines Vaters auseinandersetzen. Den spielt der offen schwule Schauspieler Matthias Freihof. Erst kürzlich beteiligte der sich an der Aktion #ActOut: Queere Schauspieler*innen kritisierten unter anderem, dass sie nach ihrem Coming-out nicht mehr für Rollen heterosexueller Charaktere berücksichtigt wurden. Die Hauptdarsteller in „All You Need“ sind nach Medienangaben hingegen bekennende Heteros.

Die Miniserie ist im Vergleich zu anderen LGBTIQA+ Serien nicht bahnbrechend. Vor allem, weil sie andere marginalisierte Personengruppen außen vor lässt. Trotzdem gelingt es Gutsche im Schnellverlauf – es gibt fünf Folgen unter 30 Minuten – wichtige Konflikte innerhalb der Szene und der Gesellschaft anzusprechen. Besonders Zuschauer*innen, die noch nie mit Begriffen wie Mehrfachdiskriminierung in Berührung gekommen sind, bietet die Miniserie einen ersten Einblick.

In das reguläre Fernsehprogramm der ARD hat die Miniserie es nicht geschafft. „All You Need“ läuft in der ARD-Mediathek sowie am 16. und 17. Mai kurz vor Mitternacht auf dem Zusatzsender „One“. Obwohl die ARD eine zweite Staffel in Auftrag gegeben hat, scheint der Sender vorsichtig an die Sache heranzugehen. Damit ist „All You Need“ nur bedingt ein Vorbote für mehr Diversität im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Bis zum 7. November in der ARD-Mediathek. Am 16. und 17. Mai um 23 Uhr auf One.

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