Nationaler Bildungsbericht 2018: Und sonst so?

An der Universität Luxemburg wurden am 12. Dezember olle Kamellen verteilt. Von wem? Von der Uni und dem Bildungsministerium. Offiziell wurde der Nationale Bildungsbericht 2018 vorgestellt.

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Einer der Aufzüge im futuristischen „Learning Center“ auf Belval fährt nur ins erste Stockwerk. Und wieder runter. Blöd, wenn die Pressekonferenz zum Nationalen Bildungsbericht vom Script (Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques, des Ministeriums für Bildung, Kinder und Jugend) und dem Lucet (Luxembourg Centre for Educational Testing, Universität Luxemburg) im zweiten Geschoss stattfindet. Am anderen Ende des Gebäudes. Ein verwirrender Start, der zu allem was folgte, passte. Das, was vom 205-seitigen Bildungsbericht vorgestellt wurde, gleicht einem Aufzug zwischen zwei Etagen. Die Befunde führen zu Erkenntnissen, die Erkenntnisse zu Befunden, die Befunde und so weiter. Die Verantwortlichen hoffen derweil darauf, mit dem Bericht eine rege Diskussion im Bildungssektor und darüber hinaus anzustoßen.

Dass das seit Jahrzehnten unzureichend oder ineffizient passiert ist, das führt der Bildungsbericht selbst vor: Immer noch bestehen große Bildungsunterschiede, die auf sozioökonomische Faktoren zurückzuführen sind. Zwar wurde in den letzten Jahren viel in non-formale Bildung investiert, beispielsweise durch außerschulische Betreuungseinrichtungen, doch trägt dies bis dato nur bedingt Früchte. Diese Umstände seien „grundsätzlich veränderbar“, heißt es in der Pressemitteilung der Universität Luxemburg und des Bildungsministeriums. Grundsätzlich ist einiges möglich, ja. Nur schlägt die Realität der Grundsätzlichkeit oft ins Gesicht.

Bildungsunterschiede und Mehrsprachigkeit

Am eklatantesten äußern sich die Benachteiligungen unter den Schüler*innen beim Übergang von der Grund- zur Sekundarschule, wobei sich dies bereits zwischen Cycle 2 und Cycle 3 ankündigt. Antoine Fischbach vom Lucet verwies bei der Konferenz darauf, dass Schulkinder in Luxemburg allgemein zu Beginn der formalen Bildung in den Schlüsselkompetenzen (Hörverständnis auf Luxemburgisch, Mathematik, Schreibsprache) zu 95 Prozent ein fortgeschrittenes Leistungsniveau vorweisen. Eine gute Ausgangsbasis, die im weiteren Bildungsverlauf jedoch zusammenbricht. Der Sündenbock ist der Cycle 2.1. Das sagt Fischbach – und erzählt von nie da gewesenen Datensätzen, die diese Erkenntnisse zulassen. Seine Schlussfolgerung ist banal: „Wir müssen den Fokus in Zukunft auf den Cylce 2.1. legen.“ Warum das bisher nicht passiert ist? Dazu die Top-Antwort der Konferenz: Forschung braucht Zeit. Daten müssen erstmal generiert werden. Alle finden es unbefriedigend und frustrierend, aber das ist nun mal so. „Lösungen“, gesteht Fischbach, „haben wir momentan nicht.“

Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Mehrsprachigkeit im Schulsystem, das einen großen Platz im Bildungsbericht einnimmt. Der Wechsel der Unterrichtssprache zwischen Grund- und Sekundarschule, im Zusammenspiel mit den verschiedenen Erstsprachen, erschwert vielen Schüler*innen den Zugang zu Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Professorin Christine Schiltz stellte in dem Kontext Forschungsergebnisse vor, die offenbaren, dass die Fehlerquote bei komplexen und einfachen Rechenaufgaben auf Deutsch und Französisch bei Schüler*innen jeden Alters, deren erste Sprache Luxemburgisch ist, im Französischen deutlich höher ist. Darüber hinaus stellen Kinder und junge Erwachsene sich auditiv auf Französisch gestellte Rechenaufgaben öfter visuell vor, als das bei solchen der Fall ist, die auf Deutsch gestellt werden. Das lässt wiederum darauf schließen, dass das Konzept der wechselnden Unterrichtssprache von der Grund- zur Sekundarschule überdacht und evaluiert werden sollte.

Wer liest es?

Was man mit den Ergebnissen aus dem Bericht denn nun anfangen wolle, fragte eine Kollegin. „Wer muss das lesen, damit was passiert?“, schob sie der ersten Frage hinterher. Betretene Gesichter, ein leichtes, kaum deutbares Grinsen auf Thomas Lenz’ (Lucet) Gesicht. Luc Weis, Direktor vom Script, der stellvertretend für den frisch aufgebackenen und abwesenden Bildungsminister Claude Meisch sprach, gab sich diplomatisch. Der Bericht werde gelesen – von vielen, von den meisten Menschen aus dem Bildungssektor und von der interessierten Öffentlichkeit. Immerhin sei er integral online verfügbar. Die Ergebnisse würden mit Sicherheit auch Forscher*innen anstoßen, sich mit den Themen zu befassen, etwa in Master- oder Doktorarbeiten. Darüber hinaus werde im Bereich der Mehrsprachigkeit durch die Europaschulen bereits einiges geleistet, um den Problemen entgegenzuwirken. Das Script selbst hätte eine Programmkommission, die sich spezifisch mit Mathematik und Zweisprachigkeit in der Grundschule befasse und den Unterricht entsprechend optimieren wolle, beispielsweise durch die frühere Einbringung der französischen Sprache im Unterrichtsmaterial. Fazit: Es passiere was. Im Hintergrund. „Aus Zahlen ergeben sich keine Lösungen“, betont er, „aber Dialoge.“ Und das erfordert – natürlich – Zeit. Weis selbst erwähnte dann noch die langjährige „Eminenz-basierte“ Bildungsforschung, die der Bildungspolitik als Grundlage gedient habe. Heute sei die Forschung durch die Zusammenarbeit von Script und Lucet unabhängiger und neutral.

Erst im März 2017 war der Bildungsbericht in Auftrag gegeben worden, sodass den Autor*innen etwas mehr als ein Jahr blieb, um das Ganze zusammenzuschreiben. Eine Arbeit, die dem nationalen Bildungssystem den Spiegel vorhält. Schade, dass Bildungsminister Meisch nicht vor Ort war. Vielleicht war er im Aufzug zwischen zwei Etagen steckengeblieben. Es bleibt zu hoffen, dass der künftigen Bildungspolitik nicht dasselbe Schicksal blüht.


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