Neuwahlen in Italien: Rechts gegen extrem rechts

Nach dem Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi konkurrieren vor den für September geplanten Neuwahlen vor allem rechte mit rechtsextremen Parteien.

Als Premierminister Italiens zurückgetreten: Mario Draghi (links) bei Präsident Sergio Mattarella, der daraufhin am 21. Juli das Parlament aufgelöst hat. (Foto: EPA-EFE)

Italiens Einheitsregierung ist geplatzt. Der mit allerlei Superlativen bedachte, vermeintlich beste, international angesehenste Ministerpräsident ist zurückgetreten. „Schande“ titelte die Tageszeitung „La Stampa“, „Verrat an Italien“ warf „La Repubblica“ den drei Parteien der Regierungskoalition vor, die Mario Draghi vergangene Woche im Senat ihr Vertrauen nicht mehr aussprechen wollten.

Doch sowohl der „Movimento 5 Stelle“ (M5S) als auch die beiden rechten Parteien, Matteo Salvinis „Lega“ und Silvio Berlusconis „Forza Italia“ (FI), weisen die Anschuldigungen der liberalen Tagespresse von sich. Vielmehr bezichtigen sich die politischen Lager gegenseitig oder machen für das Scheitern der Regierung allein den Ministerpräsidenten verantwortlich. Draghi sei wohl einfach müde gewesen und habe die Gelegenheit genutzt, um abzutreten, meinte Silvio Berlusconi. Der 85-Jährige war zwischen 1994 und 2011 dreimal Ministerpräsident und ist des Amts bekanntlich niemals müde geworden; nach einer Covid-19-Infektion im Frühjahr vergangenen Jahres hatte er sich länger zurückgezogen, seit vergangener Woche ist er aber wieder als Wahlkämpfer in den Medien unübersehbar.

Ausgelöst hatte die Regierungskrise bereits in der vorvergangenen Woche der „Movimento 5 Stelle“ (M5S), der seine sozialpolitischen Anliegen in der Einheitsregierung nicht hinreichend berücksichtigt fand. In einer offenen parlamentarischen Debatte sollte der programmatische Streit ausgetragen werden und die Regierungskoalition noch einmal zu einem Kompromiss zusammenfinden. Stattdessen verhärteten sich in der Aussprache die politischen Fronten.

Doch es war Berlusconi, der dem Ministerpräsidenten eine Gelegenheit zum Rücktritt bot: Überraschend wies er seine Partei „Forza Italia“ an, sich der Forderung der „Lega“ nach einem Ausschluss des M5S aus der Einheitsregierung anzuschließen. Draghi ließ sich jedoch nicht zu einer Kabinettsumbildung drängen. Daraufhin verweigerten neben dem M5S auch die beiden rechten Parteien ihre Teilnahme an der Vertrauensabstimmung.

Zwar konnte Draghi das Votum trotzdem für sich entscheiden, doch zog er aus der Tatsache, dass drei Parteien seiner Regierung sich der Abstimmung enthalten hatten, die politischen Konsequenzen und reichte am Donnerstagvormittag vergangener Woche seinen Rücktritt ein. Staatspräsident Sergio Mattarella ordnete für den 25. September Neuwahlen an.

Die Linke taugt kaum noch zu mehr als zu einem propagandistischen Schreckgespenst der Rechten.

Erst vor 17 Monaten, Mitte Februar 2021, war Draghi, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, in das Amt des Ministerpräsidenten bestellt worden, um als überparteilicher „Technokrat“ den Einfluss der „Populisten“ zurückzudrängen. Draghi sollte Italien durch die pandemische Notlage führen und die politische Stabilität des Landes garantieren. Anfangs schien der Plan aufzugehen: Er ließ einen General der italienischen Armee, Francesco Figliuolo, eine Impfkampagne gegen Covid-19 organisieren, die sich als erfolgreich erwies, und bürgte bei der Europäischen Kommission mit seinem Namen für die Einhaltung eines umfassenden „Nationalen Plans für Erholung und Widerstandsfähigkeit“ (Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza, PNRR). Werden die darin enthaltenen Reform- und Investitionsvorhaben verwirklicht, soll Italien in den kommenden Jahren mehr als 191 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds erhalten.

Noch Mitte Juni wurde das Foto, das Draghi gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz im Nachtzug nach Kiew zeigt, als Beweis dafür bejubelt, dass Italien seine außenpolitische Reputation wiedererlangt habe. Doch gleichzeitig zerbrach in Rom die Regierung. Nach den Kommunalwahlen Ende Juni sahen sich insbesondere die beiden relativen Wahlverlierer, der M5S und die „Lega“, genötigt, ihr parteipolitisches Profil zu schärfen. Mit diesem populistischen Aufruhr wollte Draghi nichts zu tun haben. Bei seinem Auftritt im Senat forderte er die bedingungslose Bereitschaft aller an der Regierung beteiligten Parteien, seinem Programm zu folgen. Der M5S, die „Lega“ und FI verweigerten sich. Draghi musste gehen.

Jetzt steht Italien ein kurzer Wahlkampf bevor: rechts gegen extrem rechts. Alle Umfragen weisen die von Giorgia Meloni geführten „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens, FdI) mit circa 23 Prozent der Stimmen als stärkste Partei aus. Da sich die aus der Tradition des neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) hervorgegangenen Fratelli nicht an der Einheitsregierung beteiligten, konnte Meloni in den vergangenen Monaten vom Nimbus der radikalen Oppositionspartei profitieren. Salvinis „Lega“ werden derzeit 14 Prozent, der Forza Italia zehn Prozent der Stimmen prognostiziert. Dem traditionellen Dreierbündnis der italienischen Rechten scheint der Wahlsieg im Herbst schon gewiss. Doch haben sich die internen Kräfteverhältnisse deutlich verschoben: Das Bündnis wird nicht mehr von Wirtschaftsliberalen, sondern von Souveränisten bestimmt. Führte lange Salvini in der Wählergunst, ist jetzt Meloni obenauf. In ihrer nationalchauvinistischen, EU-kritischen, illiberal-autoritären Grundausrichtung sind sich beide einig.

Der sozialdemokratische „Partito Democratico“ (PD) hat Draghis Regierungspolitik bis zuletzt unterstützt und baut darauf seine Wahlkampfstrategie auf: Draghi-Treue gegen Verräter, Demokraten gegen Souveränisten; oder in der am Wochenende verbreiteten personalisierten Form: „Wir oder Meloni“. In den Umfragen liegt der PD lediglich auf dem Niveau von FI. Der PD bedürfte also einer breiten Koalition, um sich gegen die extreme Rechte behaupten zu können.

Mit der betonten Verteidigung der Regierung Draghis schielt der PD auf enttäuschte Anhänger der FI, die sich von Salvinis und Melonis souveränistischem Kurs abgrenzen wollen, und auf eine Reihe von konservativen und rechtsliberalen Kleinparteien, vornehmlich Abspaltungen des PD, jüngst auch des M5S, die sich als „Mitte“ begreifen und davon träumen, Draghi nach der Wahl ins Amt des Ministerpräsidenten zurückzuholen. Als Preis für ihre Unterstützung fordern diese Parteien vom PD eine strikte Abgrenzung vom M5S und von allen Gruppierungen links des PD.

Doch darf bezweifelt werden, ob sich der Aufstieg der extremen Rechten allein mit gemäßigt rechten Kräften wird aufhalten lassen. Enrico Letta, der Vorsitzende des PD, hat lange mit dem M5S-Vorsitzenden Giuseppe Conte an einem „breiten Bündnis“ gearbeitet. Nachdem Conte nun aber die Regierungskrise provoziert und damit das Ende der Regierung Draghi eingeleitet hat, schließt der PD kurzfristig jede Zusammenarbeit mit dem M5S aus. Allerdings zerlegt sich der M5S ohnehin gerade selbst: Zahlreiche Abgeordnete haben die Bewegung in unterschiedliche politische Richtungen verlassen, und viele bekannte Abgeordnete des M5S werden aufgrund der selbstauferlegten Beschränkung auf zwei Mandatszeiten im Herbst wohl nicht wieder kandidieren.

Die Linke taugt kaum noch zu mehr als zu einem propagandistischen Schreckgespenst der Rechten. Sie ist in eine Vielzahl von Kleinstparteien zersplittert, von denen jede einzelne an der Drei-Prozent-Sperrklausel scheitern würde. Wahlbündnisse sind für Linke daher zwingend notwendig, wenn sie noch eine parlamentarische Repräsentation anstreben. Mit „Sinistra Italiana“ (Italienische Linke, SI) und „Europa Verde“ (Grünes Europa, EV) haben sich jüngst zwei Gruppierungen im Namen „sozialer und umweltpolitischer Gerechtigkeit“ zu einer Wählerliste zusammengeschlossen. Ihr Neunpunkteprogramm enthält Forderungen nach Sofortmaßnahmen, die der fortschreitenden Verarmung weiter Teile der Bevölkerung entgegenwirken sollen: kurzfristige Deckelung der Energiepreise, kostenloser Nahverkehr und ein Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde.

Dennoch erreicht die linke Liste in Umfragen bisher keine fünf Prozent. Das Desinteresse könnte darin begründet sein, dass die Linken sich seit Jahren eher in Diskussionen über die Bedingungen verlieren, unter denen sie ein Mitte-links-Bündnis mit dem PD einzugehen bereit wären, anstatt konsequent mit einem eigenen Programm zur Wahl anzutreten. Ein Verbot prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die Ausweitung des Bürgerlohns und die Durchsetzung eines neuen Einbürgerungsrechts wird wohl nie den Zuspruch der „Mitte“ erfahren, könnte aber mehrere Generationen von Wählerinnen und Wählern ansprechen, die endlich mehr wollen, als wahlweise Berlusconi, Salvini oder Meloni zu verhindern. Die Linke hat es versäumt, eine Alternative links des PD zu schaffen. Bis September bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.

Catrin Dingler arbeitet als freie Journalistin und Sozialwissenschaftlerin zwischen Stuttgart und Rom.

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