Das Kollektiv onlinetheater.live lädt zum digitalen und interaktiven Theaterstück HYPHE ein. Die Zuschauer*innen erwarten Schimmelpilzsporen, radikale Ehrlichkeit und ein Spielerlebnis.

Der Name des Theaterstücks HYPHE ist auf die Hyphen zurückzuführen: verzweigte, einreihige Fäden von Pilzen, deren Zellen durch sogenannte Septen unterteilt werden können. (CC BY Emmanuel Boutet SA 2.5)
„Lasst uns gemeinsam real sein, lasst uns einander anonym unsere tiefsten Geheimnisse entlocken, lasst uns radikal ehrlich sein. Meine Geschichten hören nicht auf, wo deine Geschichten anfangen. Sie bilden Knotenpunkte und ergeben ein Geflecht, in dem alles mit allem verbunden ist, winden sich wie Pilzmyzelien durchs Erdreich und sprengen die Ketten der Normierung. Eure Wahrheiten speisen eure Verbindungen“, schreibt das Kollektiv onlinetheater.live auf seiner Website zur neuen Inszenierung HYPHE. „Ihr werdet ein einziger großer Organismus. Aber nur, wenn ihr radikal ehrlich kommuniziert, könnt ihr überleben. Pilze können nicht lügen. Pilze überleben durch ihre unverstellte Kommunikation, in der alle alles wissen. Immer. Werdet Pilze, versteckt euch nicht mehr hinter der vermeintlichen Normalität, sondern blüht auf in schimmernder schimmliger Transparenz!“ Der Text leuchtet einem neongrün auf schwarzem Hintergrund entgegen. Daneben flackert eine Animation, die an menschliche Nervenverbindungen erinnert, vermutlich aber den Aufbau eines Pilzes unter dem Mikroskop zeigt. In der Mitte prangt der Titel der Inszenierung: HYPHE. Alles ist kryptisch, wirkt düster und mysteriös.
Der Schauspieler und Mitbegründer des Kollektivs, Saladin Dellers, brachte im April Licht ins Dunkel: In einem Interview mit „Der Bund Bern“ sprach er Klartext über HYPHE – ganz ohne Pilze und Schimmel. „Die Idee war, eine Produktion zu machen, die fast rein interaktiv ist. Diesmal werden die Zuschauerinnen und Zuschauer also zu Spielern, die untereinander kommunizieren und Fragen beantworten müssen, die immer persönlicher werden“, beschreibt er das Stück. „Nur wer dabei ehrlich ist, überlebt. Man kommt sich dadurch so nahe, wie es das digitale Netzwerk zulässt.“ HYPHE ist kein Stück, bei dem sich das Publikum entspannt zurücklehnt und sich bespaßen lässt. Das Spiel findet live statt. Der Macher, verrät Dellers im Interview, tritt auf und greift immer wieder in das Geschehen ein, das die Zuschauer*innen teilweise selbst generieren.
Die Einbindung des Publikums hat bei den Inszenierungen des deutsch-schweizerischen Kollektivs, das 2017 gegründet wurde, Tradition. Die digitalen Theaterstücke sind hier kein Plan B wegen Corona, sondern das Herz des Konzepts. Das Kollektiv hat schon vor der temporären Schließung der Kulturinstitutionen Online-Stücke inszeniert, unter anderem interpretierte es Goethes „Werther“ als digitales Kammerspiel. Das Stück spielte vor einer Webcam. Das Publikum sah sowohl das Kamerabild als auch den Bildschirm des Protagonisten, der sie mit auf seine Reise durchs Internet nahm. In der Produktion „Follower“ – Dellers bezeichnet sie im Interview mit „Der Bund Bern“ als moderne Version von „Bonnie und Clyde“ – konnte das Publikum den Figuren auf ihrem Roadtrip durch Bern per Chat Anweisungen geben. In dem Stück „CAM- SHOW“, das über die Live-Pornoplattform „Chaturbate“ übertragen wurde, interagierten die Zuschauer*innen ebenfalls per Chat mit dem Darsteller.
Die Theatermacher*innen wollen nach Eigenangabe die digitale Lebensrealität mit einem Gegenwartstheater besetzen. Sie übertragen ihre Stücke und Performances über Livestreams, auf sozialen Netzwerken und eigenen Websites. „Mit dem Ziel, unsere digitale Öffentlichkeit aktiv mitzugestalten, bedienen wir uns an der kreativen, emanzipatorischen und schöpferischen Kraft des Theaters“, schreibt das Kollektiv auf seiner Homepage, „und suchen nach neuen, eigenständigen Formen, die unseren hybriden Zeiten gerecht werden.“
Tickets für HYPHE gibt es auf onlinetheater.live und hype.live. Die Zahl der Teilnehmer*innen ist auf 50 begrenzt. Die heutige Aufführung ist ausverkauft. Die nächste Inszenierung findet am 16. Mai statt – zum Redaktionsschluss waren noch Karten zu haben –, die letzte Inszenierung gibt es am 24. Mai.