Overtourism
: Zur Entlastung in 
die Blauen Berge


Manche Städte können die Touristenmassen kaum noch aufnehmen. Es gibt sogar Anwohnerproteste. Wie können überlastete Destinationen gegensteuern?

Überfüllter Strand in Mar del Plata, Argentinien. (Foto: Wikimedia/Loco085/PD)

Gedränge an den Badestränden, überfüllte Innenstädte, lange Warteschlangen vor den Museen, schlaflose Nächte für Anwohner wegen des ständigen Lärms – all diese unerfreulichen Symptome sind unter dem Begriff Overtourism zusammengefasst. Overtourism bedeutet, der Fremdenverkehr geht weit über die Kapazitäten der Destination hinaus. Kurz: Es ist einfach zu viel.

Spritztour in die Ferne

Weitere Kennzeichen sind steigende Immobilienpreise und zu hoher Ressourcenverbrauch. Dazu gehört eine durch den Tourismus verstärkte Wasserknappheit in trockenen Gegenden. Zwar hat es ähnliche Phänomene vor 30 oder 40 Jahren auch schon gegeben, in letzter Zeit ist die Aufmerksamkeit für das Thema aber wieder größer geworden. Sicherlich auch, weil es in einigen Destinationen gewaltig rumort. In Barcelona und auf Mallorca demonstrierten Anwohner gegen die Auswüchse des Massentourismus vor ihrer Haustür. Die Stadtregierung Barcelonas erließ daraufhin einen einjährigen Baustopp für Hotels und Ferienunterkünfte in der Innenstadt. Und in Palma de Mallorca ist nun das Vermieten privaten Wohnraums über Vermittler wie Airbnb verboten – eine Maßnahme gegen den Preiswucher.

Was ist da los? Hat der Tourismus ein grundsätzliches Problem? Es gibt eine „spürbare Belastung“, stellt Christian Laesser fest, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St. Gallen. Er sieht vier Gründe für den aktuellen Overtourism. Erstens die wachsende Touristenzahl. In China und Indien steigen jährlich 40 bis 50 Millionen Menschen in die Mittelklasse auf – und können sich damit Reisen leisten. Europa bewegt sich auf gleichbleibend hohem Niveau. Zweitens die Billigflieger. Low Cost Airlines sorgen für eine „Kommodifizierung des Fliegens“. Das heißt, Fliegen wird zur Allerweltsware, für jeden erschwinglich. Früher, so Laesser, sei man mit dem Bus nach Barcelona gefahren, heute fliege man an einem Tag dorthin und am nächsten wieder zurück. Die Billigflieger steuern zudem neue Destinationen an und öffnen so neue Märkte.

Dritter Grund: der Peer-to-Peer-Markt. Vermittler privater Unterkünfte – AirBnb, Homeaway, Wimdu – schaffen neue Nachfrage. Der vierte Aspekt betrifft besonders Küstenstädte. Die Kreuzfahrtindustrie wächst und wächst, es gibt immer mehr Angebote. Für die Destinationen, wo die Schiffe vor Anker gehen, eine große Herausforderung. Laesser: „Da kommen 4.000 Leute auf einmal in die Stadt. Das entspricht der Aufnahmekapazität von 50 mittelgroßen Hotels.“

Manche Kreuzfahrtdestinationen ziehen die Notbremse. Auf der Kykladeninsel Santorin dürfen nur noch 8.000 Kreuzfahrttouristen täglich an Land gehen. In der Vergangenheit sind es an manchen Tagen knapp 20.000 gewesen, die von Schiffen strömten. Viel zu viel für die kleine Insel, auf der immer mehr Fläche zubetoniert wird, weil der Tourismus den Platz benötigt. Die kroatische Hafenstadt Dubrovnik, ebenfalls Kreuzfahrtziel, ächzt unter ähnlichem Andrang. Man will dort künftig maximal 4.000 Tagesbesucher ins Altstadtzentrum lassen. Noch weniger als die Welttourismusorganisation empfohlen hatte. Auch in Venedig versucht man die Touristenmassen halbwegs in den Griff zu bekommen. Dort wurden Drehkreuze aufgestellt, die den Zugang unter anderem zum Markusplatz regulieren.

Das klingt alles recht dramatisch. Zumal immer mehr Menschen unterwegs sind. Waren es im Jahr 2016 schon 1,3 Milliarden, die ins Ausland reisten, so soll diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf 1,8 Milliarden steigen. „Man muss beim Problem Overtourism jedoch die Relationen beachten“, betont Laesser. „Es ist ja nicht so, dass die Städte als Ganzes überlastet sind, sondern nur einzelne Punkte.“ Er empfiehlt ein durchdachtes Destinationsmanagement, das den Touristenstrom „sanft“ steuert.

Besucherstrom sanft umlenken

Eine Möglichkeit: die Besucher durch Informationen umleiten. „Das ist der erste Schritt. Statt massiv einzugreifen schafft man Entlastungspunkte.“ Sydney etwa lenkt Touristen aus der Stadt zu den umliegenden Attraktionen um. Dazu zählen die Blue Mountains und Hunter Valley. „Tagsüber sind die Gäste dann weg und abends wieder in den Hotels in der Stadt“, so Laesser. Diese Strategie funktioniert aber nur, wenn das Umland entsprechende Attraktionen bietet.

Zutrittsbeschränkungen sind auch ein probates Mittel. „Allerdings sollten sie an ein Reservationssystem gekoppelt sein“, erklärt Laesser. Wie bei der Alhambra im andalusischen Granada, die jährlich über 2 Millionen Touristen besuchen. Urlauber müssen das Ticket im Voraus bestellen. Es gilt für einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Tag. Der Zeitpunkt des Besuchs lässt sich auch an den Eintrittspreis koppeln. Im Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai macht man es so. Hier kostet die Fahrt zum 124. und 125. Stock bei Sonnenauf- und -untergang, den beliebtesten Zeiten, mehr als am Vor- oder Nachmittag, wenn nicht so viele Leute hinauf wollen. So verteilt sich der Besucherstrom über den finanziellen Anreiz besser.


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