Ein rezenter Fall von Pädokriminalität wirft ein Schlaglicht auf ein juristisches System, das in punkto Opferschutz kläglich versagt. Im Zweifel für den Täter?

Léon Gloden vergangen Dienstag vor der Chamber. (Foto: Chambre des députés)
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, heißt es. Wie langsam, zeigt ein Fall von Pädokriminalität, der in den letzten Wochen durch die Medien gegangen ist. Sechs Jahre vergehen vom ersten Hinweis durch Europol im August 2019 bis am 27. März dieses Jahres das erste Urteil gegen einen Mann gesprochen wurde, der in der Theaterwelt kein Unbekannter ist. Traurige Berühmtheit erlangt der Fall auch durch die Selbstdarstellung, die ihm durch das Luxemburger Wort gewährt wurde. Hier wird eine Sichtweise offenbar, die frei von Empathie für die Opfer oder jeglichem Schuldbewusstsein ist. Obwohl er in den meisten Punkten geständig ist, geht er gegen das Urteil in Berufung. Das Strafmaß, 13 Jahre Haft, davon acht (!) auf Bewährung, erscheine ihm für seine Taten zu hoch. Seine Taten lassen sich in aller Kürze folgendermaßen zusammenfassen: Besitz, Produktion und Verbreitung tausender Bild- und Videodaten mit Darstellungen von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Eines der Opfer ist seine eigene Tochter.
In den sechs Jahren in denen die Mühlen von Polizei und Justiz bereits mahlen, herrschte laut Recherchen des Luxemburger Wort allerdings nur an 69 Tagen im Jahr 2023 ein Kontaktverbot zwischen Täter und Opfer. Seit dem ersten Hinweis waren damals schon dreieinhalb Jahre vergangen. Auch die Hausdurchsuchung lag knapp drei Jahre zurück, als der geständige Pädokriminelle schließlich verhaftet wird. Laut dem zuständigen stellvertretenden Staatsanwalt David Lentz sind dies Fristen, die „für alle zu lang “, wegen Personalmangel jedoch nicht zu ändern sind. Für eine Untersuchungshaft sieht der zuständige Richter 2023 keine Veranlassung, es wird lediglich ein Kontaktverbot ausgesprochen. Der Fall geht an den Service central d’assistance sociale (SCAS), der dieses Verbot nach nur wenigen Wochen lockert: Der Mann darf offiziell wieder unter einem Dach mit seinem Opfer leben – nicht nur für Charel Schmit, den Ombudsman für Kinder und Jugendliche, ein „unvorstellbarer“ Zustand. Auch für den Opferschutzverein „La voix des survivant(e)s“ (LVDS) sind die Schlussfolgerungen des SCAS „nicht nachzuvollziehen“. Immer wieder beschweren sich Menschen, die Gewalt erlebt haben, beim LVDS über das Vorgehen von Polizei, Justiz und SCAS. Lange Wartezeiten, undurchsichtige Beurteilungskriterien, mangelndes Wissen und (re-)traumatisierende Befragungen: Opferschutz? Fehlanzeige.
Lange Wartezeiten, undurchsichtige Beurteilungs- kriterien, mangelndes Wissen und (re-)traumatisierende Befragungen: Opferschutz? Fehlanzeige.

(© Ryan Stefan/Unsplash)
Staatsanwalt Lentz hingegen beharrt: Man müsse den Entscheidungen des SCAS vertrauen. Sie seien immerhin die „Spezialisten“ und für derartige Fälle geschult. Die Frage ist nur, nach welchen Kriterien? Eine Frage, die vergangenen Dienstag auch vor der Chamber, auf Nachfrage von Dan Biancala (LSAP) hin, diskutiert wurde. Justizministerin Elisabeth Marque (CSV) verwies zwar in ihrer Antwort, zu laufenden Verfahren keine Aussagen machen zu können, stellte jedoch in Aussicht, dass die Vorgehensweisen in der kommenden Justizkommission mit Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft auf der Agenda stünden. Wenn diesem medialen Echo etwas Positives abzugewinnen ist, dann, dass endlich die maroden Stellen des Systems etwas sichtbarer werden. LVDS hatte bereits im Oktober letzten Jahres einen Gesetzesentwurf mit ganzen 52 Maßnahmen für eine Verbesserung des Opferschutzes vorgestellt, darunter die Schulung aller betroffenen Fachkräfte, inklusive Polizist*innen, Jurist*innen und Mitarbeitende des SCAS.
Mangelndes oder fehlerhaftes Wissen ist eines der Probleme, die das ganze System durchziehen. Im aktuellen Fall entlarven sich gleich mehrere Akteure selbst. So verteidigt Lentz die lange Wartezeit teilweise damit, dass man anfangs davon ausgegangen sei, der Angeklagte sehe sich nur „Schweinereien“ im Internet an und vergreife sich nicht „an anderen Sachen hier in Luxemburg“ – diese Wortwahl, die pädokriminelles Material verharmlost, Opfer entmenschlicht und die Tatsache verkennt, dass allein der Besitz eines solchen Materials ein ausschlaggebender Risikofaktor ist, potenziert durch die Tatsache, dass der Angeklagte mit Minderjährigen zusammenlebt, spricht für sich. Auch Léon Gloden (CSV), politisch verantwortlich für die Polizei, disqualifiziert sich in einer Antwort auf eine andere Anfrage vor der Chamber vergangenen Dienstag, in der es um das Phänomen „Pädo-Hunting“ geht. „Pädophilie muss mit allen legalen Mitteln bekämpft werden“, so der Innenminister. Damit offenbart er eine gefährlichere Wissenslücke. Die meisten pädophilen Menschen werden nicht zu Täter*innen. Sie benötigen eine gezielte, therapeutische Begleitung. Andersherum gilt allerdings: Mehr als die Hälfte der Fälle von Pädokriminalität werden von Menschen, meistens Männern, begangen, die nicht pädophil sind. Damit liegt der potenzielle Täterkreis nicht nur bei den ein bis drei Prozent, die an dieser Störung leiden, sondern ist weitaus größer. Nicht nur deshalb gilt: Opferschutz geht uns alle an.