Im Wahlkampf wirkt es, als könnte keine Partei die andere riechen. Schaut man auf die Abstimmungsergebnisse des Parlaments, entdeckt man eine ungeahnte Einigkeit.
Im Oktober wird in Luxemburg ein neues Parlament gewählt. Natürlich hängt die Regierungsbildung mit der Wahl zusammen, in erster Linie bestimmen die Bürger*innen jedoch die Zusammensetzung der legislativen Gewalt im Großherzogtum. In den Wahlprogrammen lesen sich vor allem Zukunftsvisionen: Projekte, die realisiert werden sollen, Prioritäten für das nächste Budget, Ideen, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll. Um die Arbeit der Abgeordneten zu bewerten, lohnt sich ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre. Ist die Opposition immer im Konflikt mit der Regierung? Gibt es einen Konsens der vier großen Parteien? Gibt es Abweichler*innen auf den Hinterbänken, die das parlamentarische Kräftespiel ins Wanken bringen? Die woxx hat das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier*innen der letzten zwei Legislaturperioden analysiert.
In einer parlamentarischen Demokratie ist Transparenz über das, was im Parlament passiert, das oberste Gebot. Sollte man zumindest meinen. In Luxemburg sieht das allerdings ein klein wenig anders aus. Die Website der Chamber überzeugt weder ästhetisch noch technisch. Oft hat man als Nutzer*in den Eindruck, Informationen würden absichtlich versteckt und der Zugang zu ihnen in möglichst komplizierten Menüs verborgen.
Für jedes Gesetz(esprojekt) gibt es eine Übersichtsseite, die Links auf alle damit zusammenhängenden Dokumente bietet: Der ursprüngliche Entwurf, die Begutachtungen verschiedener Kammern, Interessengruppen und des Staatsrats, die Änderungen der Kommissionen, die der Text durchlaufen hat, Videostreams der Debatte im Parlament und eben auch die Abstimmungsergebnisse aus dem Plenarsaal.
Abstimmungsergebnisse: Von unleserlich bis fehlend
Während die meisten Dokumente als digitaler Text zur Verfügung stehen, handelt es sich bei den Abstimmungsergebnissen um eingescannte Dokumente, inklusive Unterschrift des Chamberpräsidenten. Der „Vote électronique“, also die Abstimmung via Computer, ist eigentlich Standard, dennoch ist beinahe jedes dieser Dokumente handschriftlich ergänzt. Mal sind die Stimmübertragungen falsch eingetragen, mal sind Parlamentarier*innen fälschlicherweise als abwesend erfasst, manchmal ist es auch ein „Oui“, das nachträglich per Hand in ein „Non“ oder ein „Abstention“ umgewandelt werden muss. Wie leserlich die Resultate sind, hängt also davon ab, wie aufmerksam die Abgeordneten bei der Abstimmung waren und wie schön die Handschrift jener Person ist, die die Resultate korrigieren muss.
Die woxx hat sich alle Abstimmungsergebnisse der letzten Legislaturperiode und der Jahre 2011 bis 2013 angesehen und sie in eine Tabelle übertragen, um die Resultate der Recherche auswerten zu können. Dabei mussten wir feststellen, dass die „Bulletins de vote“ bei einigen Gesetzen fehlen. Vor allem aus dem Jahr 2011 sind sehr viele dieser Dokumente nicht vorhanden. Dass das Abstimmungsergebnis positiv war, wissen wir, sonst wäre aus dem Vorschlag kein Gesetz geworden. Insofern stellt sich nur die Frage, ob die Opposition auch dafür war. Das herauszufinden ist auch ohne „Bulletin de vote“ möglich: Zum Glück gibt es das „Chambersbliedchen“, in dem nicht nur der Wortlaut der Debatten im Plenum abgedruckt ist, sondern auch das Abstimmungsverhalten publiziert wird.
In einer idealen Welt könnte man sich auf der Website des Parlaments vermutlich mit weniger Aufwand ansehen, wie jeweils abgestimmt wurde. Sind die Positionen verschiedener Parteien zu gewissen Themen zwar oft bekannt, so ist es dennoch nicht unwichtig, das tatsächliche Abstimmungsverhalten überprüfen zu können.
Schaut man sich jedes „Bulletin de vote“ der momentanen Legislaturperiode an, gibt die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle ein und zählt dann, wie oft die verschiedenen Oppositionsparteien den Gesetzesvorhaben der rot-blau-grünen Koalition zugestimmt haben, tut sich dann doch ein eher erstaunliches Bild auf: Die politische Landschaft ist zum Großteil gar nicht so gespalten, wie sie oft tut. Zumindest sehen die nackten Zahlen anders aus.
Überwältigend übereinstimmend
Knapp 44 Prozent der Gesetze der Legislaturperiode wurden einstimmig beschlossen. Nicht ganz die Hälfte, aber vermutlich mehr, als die meisten Wähler*innen denken würden. Die Vorstellung, dass die Opposition immer geschlossen gegen die Regierungsparteien stimmen würde, stimmt allerdings auch nicht: Dies war nur in knapp neun Prozent der Abstimmungen der Fall.
Die größte Verbündete der progressiven Koalition war – und das mag manche angesichts der schmollenden Rhetorik überraschen – die CSV. 85 Prozent der von LSAP, DP und Grünen eingebrachten Gesetzesvorhaben haben die Konservativen im Parlament mitgetragen. Die ADR kommt mit 70 Prozent auf den zweiten Platz, während Déi Lénk 60 Prozent der Gesetzesprojekte der Regierungskoalition absegnete.
Die Linken waren es auch, die am häufigsten alleine gegen den Rest des Parlaments stimmten: 21 Prozent der Gesetzesvorhaben wurden von 58 Abgeordneten gutgeheißen, während Déi Lénk dagegen stimmten oder sich enthielten. Die manchmal von Mitgliedern der ADR vorgebrachte Theorie, eine Fortführung der Rot-Blau-Grünen Koalition unter Duldung der Linken würde bereits vorbereitet, lässt sich also zumindest am Abstimmungsverhalten der kleinsten Oppositionspartei nicht ablesen.
Die ADR hat ein wenig öfter „Nein“ zu Gesetzen gesagt als Déi Lénk, die wiederum wesentlich häufiger das Instrument der Enthaltung benutzten. Obwohl sich CSV und ADR in ihren Äußerungen öfters begegnen, ist es äußerst selten, dass sie in einem „Rechtsblock“ gegen die Regierung und Déi Lénk stimmen: bei lediglich 19 Abstimmungen war dies der Fall.
Diese Zahlen sind vermutlich für viele überraschend – es drängt sich gleich die Frage auf, wie die Situation in der Legislaturperiode davor aussah. Im Schnitt befürworteten auch damals die vier großen Parteien zu über 85 Prozent jedes Gesetzesprojekt – obwohl Déi Gréng und DP sich damals auf der Oppositionsbank befanden. Allerdings lehnte der Vertreter von Déi Lénk mehr Gesetze ab und die ADR (deren Abstimmungsverhalten aufgrund der Abspaltungen von Jean Colombera und Jacques-Yves Henckes schwer zu quantifizieren ist) war wesentlich öfter auf der Seite der CSV-LSAP Regierung.
Fraktionsdisziplin und politische Pinkelpausen
Grundsätzlich scheint es jedoch wirklich eine 80-Prozent-„Mitte der Gesellschaft“ in Luxemburg zu geben: mindestens 80 Prozent der Abgeordneten sind für mindestens 80 Prozent der Gesetzesvorhaben. Abgestimmt werden kann allerdings immer nur über ein Angebot – und das bestimmt in den allermeisten Fällen die regierende Koalition. Die nackten Zahlen zeigen nicht die ganze Wahrheit: Um jedes „Ja“, „Nein“ oder jede Enthaltung einordnen zu können, müsste man sich die jeweilige Begründung in der Plenumsdebatte ansehen.
Unsere Auswertung zeigt auch, was wir bereits ahnten: Das parlamentarische Leben in Luxemburg ist eher langweilig. Es gibt wenig Fälle, in denen die Fraktionsdisziplin gebrochen wird, um ihre knappe Mehrheit musste die Koalition eigentlich nie bangen. Manche Abgeordneten auf der Oppositionsbank erlauben sich eine abweichende Haltung, zum Beispiel vier CSV-Mitglieder bei der Erneuerung des Abtreibungsgesetzes.
Oft wenden Parlamentarier*innen einen Trick an, um nicht öffentlich gegen ein Projekt stimmen zu müssen: Sie bleiben der Abstimmung einfach fern (oder verlassen den Saal). Im Nachhinein ist es – vor allem für Laien – nicht mehr nachvollziehbar, ob ein*e Abgeordnete*r einfach krank war oder aus politischen Gründen nicht teilgenommen hat. Der Fraktionszwang hemmt also, neben einer schlecht gestalteten Website und unleserlichen Handschriften, auch die Transparenz.