Über 8.000 parlamentarische Anfragen gab es in der letzten Legislaturperiode. Die Chamber hat ein Dokument veröffentlicht, in dem sie alle gesammelt sind. Eine Analyse der woxx über das Frage-Antwort-Spiel der Abgeordneten.

Bei den Fragestunden im Parlament – wie hier am 12. März – können die Abgeordneten den Minister*innen nach Lust und Laune Löcher in den Bauch fragen. Die meisten parlamentarischen Anfragen werden jedoch schriftlich gestellt, in der letzten Legislaturperiode waren es deren über 8.000. (Foto: Chambre des Députés)
Für die Abgeordneten ist es wohl eins der wichtigsten Instrumente, für Regierungsmitglieder vermutlich oft ein Quell des Ärgernisses und für Journalist*innen oft ein gefundenes Fressen, um an Informationen zu kommen. Die parlamentarische Anfrage spielt im politischen Leben Luxemburgs durchaus eine wichtige Rolle. Vor allem für Oppositionspolitiker*innen ist es eine Möglichkeit, mit vergleichsweise kleinem Einsatz Medienaufmerksamkeit zu bekommen. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie viele Parteien die parlamentarischen Anfragen ihrer Abgeordneten bewerben: prominent auf ihren Websites, Social-Media-Kanälen und auch, je nach Thema, per Pressemitteilung.
Am 10. April veröffentlichte das Parlament auf dem Open Data Portal der Regierung (data.public.lu) ein Dokument mit sämtlichen parlamentarischen Anfragen der letzten Legislaturperiode, die von 2018 bis 2023 ging. Das ermöglichte es der woxx, eine Analyse der Anfragen durchzuführen, die ansonsten wohl kaum oder nur schwer möglich gewesen wäre.
8.024 parlamentarische Anfragen und Antworten darauf kennt das Dokument. Auf der Website der Chamber finden sich statistische Berichte über die Arbeiten der Parlamentssessionen, die ähnlich wie das Schuljahr im September beginnen und im Juli des darauffolgenden Jahres enden. Dort ist ebenfalls vermerkt, wie viele parlamentarische Anfragen gestellt und wie viele beantwortet wurden. Zählt man jene der fünf Sessionen der letzten Legislaturperiode zusammen, kommt man auf 8.385 parlamentarische Anfragen. Die Differenz erklärt sich vermutlich durch Anfragen, die gegen Ende der Legislaturperiode gestellt und nicht mehr beantwortet wurden, und Fragen, die als nicht zulässig erklärt und somit nie beantwortet wurden. So oder so lässt sich eine beachtliche Steigerung der Anzahl der parlamentarischen Anfragen feststellen: Zwischen 2013 und Oktober 2018 wurden insgesamt 4.085 Anfragen gestellt. Eine Verdoppelung also – doch wer ist für diese verantwortlich?
Das Bauchgefühl würde auf die Piratepartei hindeuten, immerhin sind deren Abgeordnete Sven Clement und Marc Goergen nach den Wahlen 2018 neu ins Parlament gekommen. Sie haben sich tatsächlich als sehr fleißige Fragesteller erwiesen: 1.506 parlamentarische Anfragen haben die beiden in ihren fünf ersten Jahren auf der Oppositionsbank gestellt. Diese gewaltige Menge an Fragen lag sicherlich auch daran, dass die Piratepartei mit der Website fro.lu der Bevölkerung die Möglichkeit gab, Ideen für parlamentarische Anfragen einzureichen. Allerdings stammten gemäß den Angaben der Website lediglich 90 der 1.506 Fragen von dem Portal. Laut woxx-Informationen gab es zumindest in den ersten Monaten nach dem Einzug ins Parlament auch parteiintern einen hohen Druck, möglichst viele Anfragen zu fabrizieren.
Wissbegierige CSV
Die Piratepartei ist jedoch nur an dritter Stelle, was die Anzahl der Fragen angeht. Den zweiten Platz machte die ADR mit 1.602 parlamentarischen Anfragen. Die meisten Fragen stellte in der Legislaturperiode 2018 bis 2023 die größte Oppositionspartei, die CSV, nämlich 2.241. Die Abgeordneten der drei damaligen Regierungsparteien hatten weniger Fragen: Bei der DP waren es 967, die LSAP-Abgeordneten stellten 863 Anfragen und bei Déi Gréng waren es lediglich 488. Schlusslicht stellten die Abgeordneten von Déi Lénk dar, die insgesamt 356 Fragen stellten. In der kurzen Zeit, in der Roy Reding als Mitglied seiner neugegründeten Partei „Liberté Fräiheet!“ aufgeführt wurde, stellte er eine einzige Frage.
Allerdings hat eine große Fraktion wie jene der CSV mit ihren 21 Abgeordneten auch mehr Kapazitäten und Ressourcen, um viele Fragen zu schreiben. Doch obwohl sie 35 Prozent der Sitze im Parlament belegte, stellte sie „nur“ rund 28 Prozent der Fragen. Das größte Negativsaldo lag bei Déi Gréng: Sie stellten nur 6 Prozent der Anfragen, obwohl sie 15 Prozent der Abgeordnetensitze errungen hatten. Bei Déi Lénk gab es einen leichten „Überschuss“, während dieser bei der ADR und der Piratepartei am höchsten war.
Im Durchschnitt stellte ein*e Abgeordnete*r 133,7 Fragen. Diese Betrachtungsweise ist jedoch ein wenig unfair, da der Parlamentspräsident keine parlamentarischen Anfragen stellt. Zählt man ihn nicht mit, sind es 136 Fragen, die jede*r Abgeordnete stellte. Dieser Wert ist allerdings sehr theoretisch, da einige Abgeordnete sehr fleißige Fragenschreiber*innen waren, während andere sich eher zurückhielten. Der Medianwert liegt bei 75 – die Hälfte der Abgeordneten hat mehr Fragen gestellt, die Hälfte weniger. Außerdem werden viele Fragen von mehreren Abgeordneten gestellt.
Insgesamt waren dies 1.474 Fragen, was mit etwas über 18 Prozent rund ein Fünftel aller gestellten Fragen ausmacht. Spitzenreiter*innen waren hier die Abgeordneten von Déi Lénk, die etwas mehr als 38 Prozent ihrer parlamentarischen Anfragen zu zweit stellten. Allerdings ist dieses Vorgehen nicht unbedingt auf politische Überzeugungen zurückzuführen, denn auch die CSV, Déi Gréng und die DP stellten etwas mehr als ein Viertel ihrer Fragen zu zweit oder mehreren. Bei den Parteien, die besonders viele Anfragen schrieben, wird der Ruhm nicht so gerne geteilt: Die Abgeordneten der Piratepartei stellten nur 3,6 Prozent ihrer Fragen gemeinsam, bei der ADR waren es immerhin fast 8 Prozent.
Wer fragte und wer musste antworten?
Die zehn fleißigsten Fragestel- ler*innen waren Marc Goergen (807), Sven Clement (778), Martine Hansen (632), Fernand Kartheiser (595), Jeff Engelen (587), Mars Di Bartolomeo (445), André Bauler (421), Laurent Mosar (398), Gusty Graas (340) und Marc Spautz (287) – gemeinsam waren sie für knapp 66 Prozent der parlamentarischen Anfragen (mit)verantwortlich. Da nicht alle Abgeordnete die ganze Mandatsperiode im Parlament saßen, erklärt sich ganz gut, warum manche von ihnen nur sehr wenige Fragen gestellt haben. Allerdings gibt es drei, von denen gar keine parlamentarischen Anfragen ausgingen. Als Parlamentspräsident hatte Fernand Etgen (DP) eine gute Ausrede, doch seine Parteikolleginnen Lydie Polfer und Simone Beissel scheinen, was parlamentarische Arbeit angeht, keine Fans des sonst von liberalen Parteien so großgeschriebenen Leistungsprinzips zu sein. Oder aber sie wissen einfach schon alles und haben deswegen keine Fragen.

(Grafik: woxx)
Die parlamentarischen Fragen sind immer an eine*n oder mehrere Minister*innen adressiert, die bekannterweise oft mehrere Ressorts haben. Am meisten Post bekam François Bausch, der mit 1.494 Fragen ganze 18,6 Prozent aller Fragen beantworten musste. Wenig überraschend für die Corona-Legislaturperiode war Paulette Lenert mit ähnlich vielen Fragen konfrontiert, nämlich 1.291, was 16 Prozent entspricht. Auch hier gilt: Wer nicht lange Minister*in war, konnte nicht so viele Fragen beantworten, weswegen Max Hahn mit lediglich 14 das Schlusslicht bildete. Trotz einer ganzen Amtsperiode von vielen Fragen verschont blieben die beiden DP-Minister Lex Delles (197) und Marc Hansen (197). Auch hier gilt wieder: Viele Fragen wurden von mehr als einer*einem Minister*in beantwortet.
Bemerkenswert ist, dass die Minister*innen von LSAP und Déi Gréng etwa gleich viele Fragen beantwortet haben: 4.563 gegenüber 4.175, also jeweils etwas mehr als die Hälfte aller Fragen. Die Minister*innen der DP betrafen jedoch nur 2.923 der parlamentarischen Anfragen, was etwa einem Drittel entspricht. Das lag jedoch vermutlich an den Ressorts, von denen einige für wesentlich mehr Fragen sorgten als andere. Die meisten Fragen musste das Gesundheitsministerium beantworten, mit 1.416 etwas mehr als das Mobilitätsministerium, das 1.228-mal eine Antwort an die Abgeordneten (mit)schreiben musste. Sehr gefragt waren auch das Umweltministerium, das Bildungsministerium und das Finanzministerium. Diese fünf Ministerien waren an 61 Prozent der Antworten beteiligt.
Am wenigsten gefragt waren das Tourismusministerium (50 Antworten), das Digitalisierungsministerium (60 Antworten) und das Wirtschaftsministerium (62 Antworten). Eine Frage wurde an sämtliche Regierungsmitglieder gestellt. Sie kam von den damaligen CSV-Abgeordneten Gilles Roth und Laurent Mosar und handelte vom Einfluss von Beratergesellschaften auf Regierungen. Die Antwort ist eher langweilig: Roth und Mosar wurden auf eine schon beantwortete parlamentarische Anfrage von Sven Clement verwiesen. Laut dem internen Reglement der Chamber gibt es übrigens ein Verbot, die gleiche Frage innerhalb eines Jahres zweimal zu stellen, außer es wechselt gerade die Legislaturperiode.
Zwischen 0 und 169 Tage
Die Minister*innen haben einen Monat Zeit zu antworten. Bei dringenden Anfragen gilt eine Frist von einer Woche. Darüber, ob eine Frage oder ihre Dringlichkeit anerkannt wird, entscheidet nur der*die Parlamentspräsident*in. Da es sich bei dem internen Regelwerk des Parlaments nicht um ein Gesetz handelt, ist es alleine der Respekt vor der Institution Chamber, der die Minister*innen dazu anhält, sich an das Zeitlimit zu halten. Im Durchschnitt vergehen 31 Tage, bis die Abgeordneten eine Antwort erhalten. Am längsten mussten in der letzten Legislaturperiode Mars Di Bartolomeo und Yves Cruchten auf eine Antwort von Sozialversicherungsminister Claude Haagen (alle drei LSAP) warten: geschlagene 169 Tage, also beinahe ein halbes Jahr. An zweiter Stelle kam mit 144 Tagen eine parlamentarische Anfrage von Fernand Kartheiser (ADR), die an Xavier Bettel, Taina Bofferding (LSAP) und Sam Tanson (Déi Gréng) gestellt war, mehrmals die Empfänger*innen wechselte und schlussendlich von Tanson gemeinsam mit François Bausch beantwortet wurde. Manchmal geht es auch ganz schnell: Einige Fragen wurden noch am gleichen Tag beantwortet. Allerdings ist anzumerken, dass die Daten zum Frage- und Antwortdatum händisch eingegeben wurden, wodurch notgedrungen einige Tippfehler entstanden – die woxx konnte die offensichtlichen ausbessern, jedoch nicht über 8.000 Einträge überprüfen.
Interessant ist auch ein Blick auf die verwendeten Sprachen. Diese wurden von der Chamber nicht händisch, sondern automatisiert erfasst, wie ein Mitarbeiter des Parlaments der woxx erklärte. Das führt dazu, dass die Sprache nicht immer korrekt erkannt wurde beziehungsweise zwei Sprachen erkannt wurden, obwohl nur eine verwendet wurde. Das passierte, soweit es für die woxx nachvollziehbar war, vor allem bei Fragen auf Luxemburgisch, bei denen zusätzlich noch Deutsch als Sprache erkannt wurde. Die meistgenutzte Sprache war Luxemburgisch, das in etwa 56 Prozent aller parlamentarischen Anfragen benutzt wurde. An zweiter Stelle kam Französisch mit knapp 40 Prozent. Deutsch nahm mit etwa 1,23 Prozent nur eine sehr untergeordnete Rolle ein. Es gab sogar mehr Fragen, die Luxemburgisch und Französisch vermischten (2,79 Prozent), wenn etwa längere Passagen aus Gesetzestexten zitiert wurden.
Die Daten, die das Parlament online gesetzt hat, sind nicht perfekt, doch sie können Journalist*innen und der interessierten Öffentlichkeit dazu dienen, „Bauchgefühle“ zu widerlegen und tiefgreifendere Analysen durchzuführen. So könnte man zum Beispiel herausfinden, welche Medien besonders oft und gerne von Abgeordneten zitiert werden, wenn sie ihre Fragen stellen; der woxx wurde diese „Ehre“ elfmal zuteil.