Patente: Der Fall der „erfundenen“ Pflanzen

von | 17.10.2024

Internationale Konzerne stellen immer mehr Patentanträge auf die Züchtung von Pflanzensorten. Das Bündnis ‚Keine Patente auf Saatgut!‛ warnt vor einer zunehmenden Privatisierung und der Bedrohung, die Patente für traditionelle Züchter*innen darstellen.

Keine Patente auf Saatgut! warnt: Kleine Züchter*innen und Landwirt*innen in Europa werden abhängiger von großen Konzernen – gleich dem Modell in Ländern wie den USA. (Copyright: Tom Fisk/Pexels)

Das europäische Patentamt (EPA) gibt es gleich am Anfang der Anhörung vergangenen Dienstagmorgen zu: Das Patent EP3380618 der deutschen Firma ‚Kleinwanzlebener Saatzucht‛ (KWS) betrifft konventionelle Pflanzen. Damit sollte der Fall eindeutig sein, denn das EU-Recht verbietet Patente auf die konventionelle Pflanzenzucht. Die KWS beanspruchte mit der Anmeldung eines Patents auf ein kühltolerantes Merkmal im Jahr 2016 trotzdem die Züchtung kühltoleranter Maissorten ‒ sowohl gentechnisch veränderter als auch traditionell gezüchteter Pflanzen. Gerade solche Patentanträge nehmen in den letzten Jahren zu.

Laut einer im Oktober veröffentlichten Recherche des Bündnis ‚Keine Patente auf Saatgut!‛ hat sich zwischen 2020 und 2024 die Anzahl der Patente, die auch konventionell gezüchtete Pflanzen betreffen, verdoppelt. Bereits hunderte dieser Patente hat das Europäische Patentamt vergeben, insgesamt handelt es sich um mehr als 1300 in Europa gezüchtete Pflanzensorten. Zwischen Sorten, die auf natürliche Weise, etwa durch Sonnenlicht, mutiert sind und denen aus neuer Gentechnik (NGT) zu unterscheiden ist dabei schwer, Konzerne nutzen oft rechtliche Schlupflöcher aus, um auch traditionelle Züchtungsprozesse zu patentieren. Es folgen Einsprüche und immer öfter kommt es zu juristischen Prozessen.

So auch für den Fall EP3380618: Am 14. März 2023 legte Keine Patente auf Saatgut! Einspruch ein. Das Patent schließe altbekannte Eigenschaften aus konventioneller Zucht mit ein, kritisiert das dem Schutz der Sortenvielfalt verschriebene Bündnis, dem europäische Organisationen wie die ‚Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft‛ angehören. Die öffentliche Anhörung im EPA begann am 15. Oktober: Zwei Patentanwält*innen der Firma KWS stellten sich Christoph Then, Gründer von Keine Patente auf Saatgut! und Grietje Raaphorst-Travaille, eine traditionelle Züchterin aus den Niederlanden, entgegen. Die Anhörung verlief sachlich, die Vetreter*innen der Firma KWS erläuterten ihre Position nur knapp.

Aus ihrer Sicht ist klar: Die KWS beruft sich darauf, dass das Patent vor dem 1. Juli 2017 angemeldet wurde. Das Datum, schlicht als „Stichtag“ bekannt, ist wichtig: Denn in dem Sommer beschließt der Verwaltungsrat des EPA, keine weiteren Patente auf Pflanzen und Tiere aus „biologischer“, sprich konventioneller, Zucht zu vergeben. Die neue Regel 28 (2) der Ausführungsordnung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) präzisiert somit, dass die Züchtung von Pflanzen mit Kreuzung und Selektion nicht patentierbar ist. Bereits existierendes EU-Recht, das solche Patente schon verbietet, sollte damit gestärkt werden. Da das Patent vonseiten der KWS auf das kühltolerante Merkmal in Maissorten jedoch vor dessen Einführung angemeldet wurde, so einer der Patentanwälte, gelte Regel 28 (2) nicht.

Schlupflöcher

Keine Patente auf Saatgut! lehnt dieses Argument ab. Immer wieder wiederholt Then während der Anhörung, dass der Einspruch des Bündnisses auf einer anderen juristischen Grundlage basiert: „Unser Einspruch wird in einen falschen Kontext gesetzt; wir berufen uns auf Artikel 53 b)“, so der studierte Veterinärmediziner. Dieser Artikel wurde bereits Jahrzehnte vor KWS’ Patentanmeldung im Jahr 1995 in das EPÜ eingeführt. Er stellt die Grundlage des EU-Verbots von Patenten auf Pflanzensorten und konventionelle Pflanzenzucht dar. „Mit diesem Patent [von der KWS] wird die eigentliche Intention von Artikel 53 b) komplett unterlaufen“, wirft Then der KWS an diesem Dienstagmorgen vor.

Über 1300 konventionell gezüchtete Pflanzensorten sind von Patentierungen auf bestimmte Eigenschaften oder Prozesse betroffen. Eine Recherche von Keine Patente auf Saatgut! zeigt: Während die Anzahl der Patente in den letzten Jahren nur mäßig gestiegen ist (rote Linie), hat sich die Anzahl der von den Patenten betroffenen Pflanzensorten fast verdoppelt (blaue Linie). (Copyright: Keine Patente auf Saatgut!)

Allerdings beinhaltet dieses Verbot auch eine Ausnahme: Gentechnische Verfahren werden im Patentrecht anders behandelt als konventionelle Zucht und sind deshalb patentierbar. Darunter fällt auch die Mutagenese, die eine Veränderung erlaubt ohne dass genetisches Material eingefügt wird. Bei diesem Verfahren werden Mutationen im Erbgut der Pflanzensamen mithilfe von Strahlung oder Chemikalien angeregt, um eine gewünschte Eigenschaft, etwa Kälteresistenz, zu schaffen (woxx 1722). Im Gegensatz dazu benötigen konventionelle Züchter*innen immer eine größere genetische Vielfalt, um Pflanzensorten mithilfe von Kreuzung und Selektion genetisch zu verändern.

Trotzdem dürfe diese Ausnahme nicht auf das Patent der KWS zutreffen, so die Gegenseite. Die mithilfe neuer Gentechnik (NGT) produzierte Eigenschaft der Maissorte könnte nämlich auch durch Zufall entstanden sein – eine „Zufallsmutagenese“, die sich in natürlich vorkommenden Pflanzenpopulationen wiederfindet. Im Fall des Patents EP3380618 „befindet sich das entscheidende Merkmal der Kühltoleranz schon vorher in den Ausgangslinien“, erläutert Then während der Anhörung. Erlaube das EPA das Patent, patentiere es im Grunde den Prozess und das Ergebnis eines Zufalls. In einer späteren Analyse ist es nicht möglich, eine zufällig mutierte Eigenschaft von einer gezielten Veränderung zu unterscheiden.

Das „trojanische Pferd“

Die Zufallsmutagenese erlaubt Konzernen, eine „technische Erfindung“ vorzutäuschen, um bestimmte Merkmale patentieren zu lassen. „Schon vor Jahrzehnten waren Pflanzen aus Zufallsmutagenese ohne Patente in den europäischen Markt eingeführt und in der konventionellen Zucht genutzt worden. Doch jetzt werden diese Arten auf einmal zu technischen Erfindungen erklärt“, so das Bündnis Keine Patente auf Saatgut! in einem am 14. Oktober veröffentlichten Bericht. Die Taktik wird als „trojanisches Pferd“ beschrieben. Demnach werden Patente erteilt, die sich nicht nur auf das gentechnisch veränderte Material beschränken, sondern auch konventionell gezüchtete Pflanzen und deren Saatgut betreffen.

(© Colin-Smith,-CC-BY-SA-2.0,-via-Wikimedia-Commons)

Auf EU-Ebene ist die Überlappung zwischen den Züchtungsprozessen bekannt. Im Januar 2024 stimmte der Umweltausschuss des europäischen Parlaments einem Vorschlag der EU-Kommission zu, der genetisch modifizierte Organismen (GMO) in zwei Kategorien einteilt: Genveränderte Pflanzen, die auch durch traditionelle Zucht oder auf natürlichem Weg hätten entstehen können, gehören laut der neuen EU-Rechtsvorschrift zu der ersten Kategorie und sollen nicht spezifisch als GMO, die in die zweite Kategorie eingestuft werden, gekennzeichnet werden (woxx 1772). Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit betrachtet NGT-Pflanzen der ersten Kategorie als „gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen“. Als Erfindungen können sie trotzdem patentiert werden.

Die von Keine Patente auf Saatgut! befürchtete Methode des „trojanischen Pferdes“ findet zunehmend Anklang – vor allem, weil sie erlaubt, die Regel 28 (2) zu Gunsten der Patentinhaber*innen zu nutzen. Wenn das Ziel des EPA-Verwaltungsrates war, die konventionelle Zucht mit der Regel 28 (2) stärker zu schützen, ging der Schuss nach hinten los: Das dazugehörige erläuternde Interpretationsdokument stellt das Verfahren der Zufallsmutagenese verwirrenderweise mit dem der „traditionellen“ Gentechnik gleich. Damit widerspricht das Europäische Patentamt EU-Verordnungen, die NGT verändertes Material mit konventioneller Züchtung gleichstellt mit dem Ergebnis, dass die Pflanzen weiterhin patentierbar bleiben. Die Rechtsgrundlage wird damit zunehmend unklar. Von den 300 Patentanträgen im Jahre 2023 betreffen 22 solche Genvarianten und Eigenschaften, die bereits vorher in Pflanzen aus konventioneller Zucht entdeckt worden waren, so der Bericht des Bündnisses. Die Gefahr dabei sei, dass Patente „die Kontrolle der biologischen Grundlagen der konventionellen Züchtung erlauben“, schreibt Keine Patente auf Saatgut! in ihrem Bericht.

Im Patentdickicht

Welche Sorten von Patenten betroffen sind, ist indes schwer zu erfahren, erklärt Christoph Then auf Nachfrage der woxx: „Normalerweise werden betroffene Sorten in öffentlichen Datenbanken, wie der Pinto-Datenbank, aufgelistet. Die KWS hat jedoch keine Informationen zu diesem Patent eintragen lassen.“ Die Pinto-Datenbank, auf der insgesamt 115 Europäische Patente eingetragen sind (wovon die Mehrheit fünf Konzernen gehört, darunter auch KWS) erlaubt Züchter*innen zu sehen, welche Sorten vont Patenten betroffen sind. Der Eintrag in solche Datenbanken ist jedoch freiwillig und somit „die rechtliche Unsicherheit enorm“, so Then. „Pflanzen, bei denen Eigenschaften patentiert wurden, müssen nicht als solche etikettiert werden“, erklärt auch das Landwirtschaftsministerium gegenüber der woxx. Die Vorschrift gelte lediglich bei GMO-Pflanzen und Saatgut. Auf der „Nationalen Sortenliste“ des Ministeriums werden zwei von KWS gezüchtete Maissorten empfohlen.

Ob die Maissorten das von KWS patentierte Merkmal enthalten, kann nur mithilfe eines Labors überprüft werden. Weil es keine umfangreiche Datenbank gibt, sind kleinere konventionelle Züchter*innen wie Grietje Raaphorst-Travaille zunehmend darauf angewiesen, zahlreiche Patentanmeldungen zu studieren, um zu überprüfen, ob die Eigenschaften in ihren Pflanzensorten angemeldet und patentiert worden sind. Ein aufwendiger und teurer Prozess, vor allem weil eine Sorte gleich unter mehreren Patenten stehen kann: Es kommt zu einem „Patentdickicht“, erklärt Then. Eine einzelne Sorte kann somit auch mehrere Lizenzen erfordern, bevor sie gezüchtet werden darf. Obwohl nicht jede*r Patentinhaber*in eine Lizenzgebühr fordert, müssen Züchter*innen dennoch immer einen Vertrag abschließen. „Wir verlieren unsere Freiheit“, wirft Raaphorst-Travaille während der Anhörung ein.

Keine Patente auf Saagut! warnt vor der zunehmenden Monopolisierung des Pflanzen- und Saatgutmarktes, wie dies schon in Ländern wie Brasilien oder den Vereinigten Staaten der Fall ist. Eine Handvoll großer Konzerne kontrollieren dort den Großteil der Patente, zum Nachteil kleiner Züchter*innen und Landwirt*innen, die so von den Konzernen abhängig sind und sich wegen hoher Patentgebühren verschulden müssen. Bayer-Monsanto, Corteva, ChemChina, BASF: Die Namen sind immer dieselben. In den USA besitzen diese vier Großkonzerne 95 Prozent aller Eigentumsrechte auf Maissorten, erläutert Keine Patente auf Saatgut! in seinem Bericht. In Europa sieht die Lage inzwischen nicht viel anders aus: Fünf Saatgutunternehmen kontrollieren 75 Prozent des EU-Marktanteils von Mais-Saatgut, geht aus einem Bericht von 2014 der Europäischen Grünen hervor. Zudem werden wenig genutzte Pflanzen trotz hohem Nährwert vernachlässigt, es kommt zum Verlust der biologischen Vielfalt.

Den Sortenschutz stärken

Betroffene traditionelle Züchte- r*innen gebe es in Luxemburg nicht, erklärt Steve Turmes, Direktor der Lëtzebuerger Saatbaugenossenschaft (LSG) auf Nachfrage der woxx, da es hierzulande bloß Hersteller gibt, die Saat- und Pflanzengut vermehren, und nicht selbst züchten. Für kleinere Züchter*innen in Europa sei die Lage schon etwas schwieriger, doch auch hier gebe es Möglichkeiten: „Sie könnten sich zu einem Verbund zusammenschließen, um ihre Sorten weiterhin verkaufen zu können. Das wird etwa in Deutschland schon so gemacht“, so Turmes.

Auf EU-Ebene existiert prinzipiell ein Konsens für ein vollständiges Verbot von Patenten auf jegliches Pflanzenmaterial und genetische Informationen. So auch in Luxemburg, wo das Ministerium auf Nachfrage der woxx beharrt: „Unsere Regierung war und ist immer noch gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren im landwirtschaftlichen Bereich“. Bislang fehle es aber an einer Diskussion, um sowohl traditionelle Züchter*innen als auch Landwirt*innen in diesem Bereich stärker zu unterstützen, erläutert Then. Bis Juni 2025 fordert das europäische Parlament einen Bericht über die Auswirkung der Patente auf Züchter*innen und Landwirt*innen.

In der Anhörung zum Patent EP3380618 der KWS entschied das EPA nach fast drei Stunden gegen den Einspruch und damit ganz im Sinne der Wirtschaftslogik des Patentamts – wie schon viele vorherige Male. Die „Bereitstellung“ technischer Verfahren „deren Entwicklung in der Regel schneller und systematischer verläuft als ein natürlicher Prozess und somit zahlreiche Vorteile für die Pflanzenzüchtung bietet“ soll „gefördert werden“, heißt es auf der offiziellen Website.

Der Entscheid zugunsten der Firma KWS überrascht Keine Patente auf Saatgut! nicht. „Wir werden eine Beschwerde einreichen“, sagt Then. Denn solange ein vollständiges Verbot von Patenten auf Pflanzensorten in Europa nicht gilt, will das Bündnis zumindest die Unabhängigkeit konventioneller Züchter*innen stärken und weiterhin für den Erhalt des Sortenschutzes kämpfen. Alle Verfahren „die in der konventionellen Züchtung üblich sind, einschließlich Zufallsmutagenese“ sollen von jeglicher Patentierung ausgenommen werden, so die Forderung. In Österreich ist dies schon der Fall: Seit 2023 sind dort laut dem nationalen Patentgesetz Patente nicht länger erlaubt, wenn die Züchtung auch auf in der Natur stattfindende, zufällige Genveränderungen beruhen könnte.

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