Der Schriftsteller Pierre Joris ist Teil der Bewegung Writers Against Trump. Autor*innen, unter anderem Siri Hustvedt und Paul Auster, kämpfen gegen die Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump. Joris über Rhetorik, eine schlaflose Nacht und Mut.

Der Schriftsteller Pierre Joris, gebürtiger Luxemburger, leistet Widerstand gegen den US-Präsidenten Donald Trump. (Foto: Philippe Matsas)
woxx: Writers Against Trump ist eine Bewegung, in der sich Autor*innen weltweit gegen den US-Präsidenten Donald Trump verbünden um seine Wiederwahl im November zu verhindern. Pierre Joris, Sie sind in Luxemburg geboren und leben seit Längerem in New York. Warum haben Sie das Manifest unterschrieben?
Pierre Joris: Ich habe Luxemburg mit neunzehn verlassen, zum Studium in Paris. Von dort aus bin ich in die USA, nach Großbritannien, nach Algerien und zurück in die USA gezogen, wo ich seit 1987 lebe. Luxemburg besuche ich mindestens ein Mal im Jahr. Ich habe die doppelte Staatszugehörigkeit und New York ist meine Heimatstadt. Zwei der Gründungsmitglieder von Writers Against Trump, Carolyn Forché und Paul Auster, haben uns – Nicole Peyrafitte (Anm. d. Red.: Joris’ Partnerin) und mich – ganz am Anfang gefragt, ob wir uns anschließen wollen. Es war klar, dass wir das machen. Wir haben beide gleich zwei Videos für die Statement-Seite aufgenommen. Ich gehöre aufgrund meines Alters zur Risikogruppe im Hinblick auf eine Covid-19-Infektion, deshalb kann ich wenig aus dem Haus gehen und zur Wahlwerbung nicht von Tür zu Tür ziehen. Bei Writers Against Trump aktiv zu sein und über die USA hinaus über die Bewegung zu sprechen, ist für mich eine Möglichkeit, um Menschen auf unsere Notsituation aufmerksam zu machen.
Warum ist es wichtig, dass Schrift- steller*innen im US-Wahlkampf ihre Stimmen erheben?
Als Schriftsteller*innen ist es unser Job, in Sprache zu denken. Autor*innen müssen sich der Sprache, dem Wissen über Sprache und ihrer Verwendung bewusst sein, oder wie wir in unserem Manifest schreiben: „Writers are well-positioned to advocate for our democracy. We understand the strength of words, of rhetoric.“ Das bedeutet, es ist nicht unsere Aufgabe, Ereignisse nur so wiederzugeben, wie sie tatsächlich passiert sind – das ist eher die ebenso wichtige Aufgabe von Journalist*innen – , sondern die historischen Zusammenhänge zwischen Ereignissen sowie ihren Einfluss auf die Zukunft zu erkennen und darüber zu schreiben. Als Autor*innen-Vereinigung konzentrieren wir uns momentan auf die Zusammenarbeit mit Organisationen, die sich um Neuregistrierungen zur Wahl bemühen und junge Wähler*innen ansprechen. Es sind Organisationen, die Kandidat*innen auf lokaler und nationaler Ebene unterstützen, die Trumps Totalitarismus Widerstand leisten und die „protect the election from fraud and theft, and mobilize in the event of post-election trouble“, wie in unserem Manifest steht. Schriftsteller*innen waren immer schon in politische Konflikte involviert, sie haben uns seit jeher ermöglicht, schwere Situationen zu durchdenken: Als vor ein paar Monaten die Morde an jungen Schwarzen wieder Thema waren und katastrophal anstiegen, habe ich beispielsweise nochmal James Baldwins Essays gelesen: Sie helfen einem eindeutig dabei zu verstehen, was systematischer Rassismus in der Kultur ist. Und Hannah Arendts Analyse der Entstehung und des Erfolgs von Totalitarismus in Europa oder Timothy Snyder’s „Against Tyranny“ aus dem Jahr 2017 sind heute ebenfalls grundlegende Texte.
Die Schweizer Neue Züricher Zeitung hat über die Bewegung geschrieben. Sie nennt ihren Tonfall zu aggressiv. Sie haben Stellung bezogen: Es sei ‘no time left for stylistic niceties’. Was genau meinen Sie damit?
Die NZZ ist eine Zeitung aus der Schweiz und die grundlegende Ideologie der Schweiz ist seit Jahrhunderten die Neutralität. Für die Schweiz mag das bisher gutgegangen sein. In den USA sind wir aber an einem Punkt angelangt, an dem ein neutraler Tonfall einem Pflichtversäumnis gleichkäme. Wenn Sie sich die Website der Bewegung anschauen, erkennen Sie, dass die Haltungen im Eröffnungsstatement sowohl schriftlich als auch in den Videos stark, aber recht differenziert sind. Die Schweiz steht mit ihrer Ansicht jedoch, glaube ich, nicht alleine da: Ich habe allgemein den Eindruck – und das habe ich in meiner Stellungnahme geschrieben – dass die Europäer*innen Trump als Joke wahrnehmen, der entweder im November oder spätestens in vier Jahren weg vom Fenster ist, dabei müssten sie es nach den katastrophalen Ereignissen des 20. Jahrhunderts besser wissen. Diese Einstellung grenzt an Selbstgefälligkeit und ist reines Wunschdenken. Wir haben hier die starke Befürchtung, dass wir die Übernahme der USA durch ein autoritäres Regime riskieren, wenn Trump im November wiedergewählt wird.
Die NZZ vergleicht die Rhetorik der Writers Against Trump mit der des Präsidenten. Was sagen Sie dazu?
Um die Brisanz und die Komplexität der Situation darzustellen, müssen wir beides – differenziert und laut sprechen. Wer ausnahmslos aggressiv, hysterisch spricht, das ist Trump. Schlimmer noch: Trump lügt. 200.000 Covid-Tote? Trump sagte, die Krankheit würde problemlos, wie von Zauberhand, aufhören. Anarchie, Randale, Morde – das alles soll es laut Trump in amerikanischen Städten geben, die von demokratischen Instanzen geführt werden. Die Wahrheit ist, dass junge Schwarze von der Polizei getötet werden. Es ist absolut krank, unsere Rhetorik mit der eines pathologisch narzisstischen, kriminellen und autoritären Menschen mit Hitler-ähnlichen Fantasien zu vergleichen.
Kurze Zeit nachdem Sie mir erste Antworten auf dieses Interview zugeschickt haben, verstarb die Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsburg. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Der Tod von Ruth Bader Ginsburg wiegt schwer auf uns allen. Ein Präsident ist vier, maximal acht Jahre im Amt, aber Supreme Court Richter*innen werden auf Lebenszeit nominiert. Die können dreißig, vierzig Jahre und länger im Amt sein. Der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hat den Präsidenten Obama damals illegal seiner Nominierung beraubt und Trump erlaubt, zwei Richter – beide von der konservativen Rechten, beides junge Männer – zu nominieren. Er widersetzte sich damals den Reglungen und gab nun eine Stunde nach Ginsburgs Tod bekannt, er würde Trump einen weiteren Richter zugestehen. Das Gericht kippt somit politisch tief nach rechts und das für die Lebensdauer meiner Kinder. Worüber sicherlich nicht mehr diskutiert werden wird: Frauenrechte, wie das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch und der legale Schutz der Wähler*innen vor republikanischem Gerrymandering (Anm. d. Red.: Manipulation der Wahlsysteme). Ich konnte in der Nacht nach Ginsburgs Tod nicht schlafen und habe in Eddie Glaudes Buch über Jimmy Baldwin gelesen. Der Titel „Begin Again“ geisterte wie ein Mantra durch meinen Kopf und ja, das ist die Aufgabe: von vorne zu beginnen, wieder und wieder, und dabei den Mut nicht zu verlieren. Neben mir las Nicole John Meachams beeindruckendes Buch „His Truth Is Marching on: John Lewis and the Power of Hope“. Um fünf Uhr bin ich aufgestanden und habe das Interview, das ich abgeschlossen glaubte, ergänzt. Die Dringlichkeit, die Dringlichkeit – es sind nur noch wenige Tage bis zur wichtigsten Wahl dieses Landes seit seiner Gründung.
Das politische Engagement von Autor*innen weicht von Land zu Land stark voneinander ab, finden Sie nicht?
Das kann ich so nicht sagen. Ich denke, das hängt stark von der Lage in den jeweiligen Ländern zu gegebenen Zeitpunkten ab. In der Regel haben europäische Autor*innen einen besseren und leichteren Zugang zu Medien, besonders zu Tageszeitungen und Magazinen, aber auch zu Radio- und Fernsehsendern. Schauen Sie, ich werde von einer luxemburgischen Zeitung interviewt, Paul Auster sprach im französischen Radio, die deutschen Medien berichten ebenfalls über das, was wir machen, genauso wie die vorhin erwähnte NZZ. Hier in den USA haben Schriftsteller*innen, selbst bekannte, keinen leichten Zugang zu Medien. Das erklärt, warum unser Engagement sich auf lokale Organisationen konzentriert und interaktiv ist.
Wir haben über die Rolle von Autor*innen im politischen Diskurs gesprochen. Doch inwiefern beeinflusst Trumps Regime Ihr kreatives Arbeiten?
Selbstverständlich beeinflusst es mich. Trumps Regime lässt mich unglaublich viele Stunden meiner kostbaren Zeit verschwenden, Stunden, die ich besser mit Schreiben, Lesen und Denken verbringen könnte. Im Zusammenspiel mit der Covid-Krise generiert das Regime auch Angst und verlangt mir deswegen viel Energie und den sorgsamen Umgang damit ab. Gleichzeitig konzentriere ich mich deswegen auf das Wesentliche, was hoffentlich meinen Geist und meinen Stift schärft, oder wie Ruth Bader Ginsburg sagte: “Don‘t be distracted by emotions like anger, envy, resentment. These just zap energy and waste time.“
Link zu Pierre Joris’ Statement:
www.writersagainsttrump.org/statements/pierre-joris
Link zu Nicole Peyrafittes Statement:
www.writersagainsttrump.org/statements/nicole-peyrafitte
Die englische und ungekürzte Version dieses Interviews gibt es hier.