Zwei Jahre nach der Einführung der Rückerstattung für Psychotherapie zahlt die CNS noch immer nicht für Online-Sitzungen, obwohl viele Betroffene darauf angewiesen wären – temporär, aus Notfällen heraus oder wegen körperlicher Einschränkungen. Über fehlende Erstattungen und unklare Hindernisse.

Wer psychotherapeutische Sitzungen per Video wahrnimmt, muss in Luxemburg bislang selbst zahlen. (Foto: Surface/Unsplash)
Portugal im Sommer. Eine Frau Anfang Dreißig sitzt auf einer sonnenüberfluteten Terrasse. Ihr Blick geht ins Leere. Vor zwei Tagen ist ihr Vater überraschend verstorben – ein zusätzlicher Tiefschlag für die Frau, die bereits seit Wochen wegen ihrer Depression in psychotherapeutischer Behandlung ist. Ihre Psychotherapeutin bietet an, kurzfristig eine Sitzung per Videochat zu machen. Es wurde eine emotionale Sitzung und eine, die wirklich notwendig war. Bezahlen muss die Frau sie aus eigener Tasche.
Die beschriebene Patientin ist fiktiv, basiert jedoch auf Fällen die Catherine Richard, Psychotherapeutin und Präsidentin des Dachverbands für Psychotherapeut*innen in Luxemburg, nur zu gut kennt. Es gibt viele Patient*innen, für die es wichtig ist die psychotherapeutische Behandlung nicht zu unterbrechen, auch wenn sie nicht in die Praxis kommen können. Für viele Psychotherapeut*innen ist Online-Therapie mittlerweile ein fester Bestandteil der Unterstützung, die sie anbieten. Der Haken: Wer auf Online-Hilfe angewiesen ist, fällt durch das Raster des Erstattungssystems. Die nationale Gesundheitskasse (CNS) trägt keinen Cent, unabhängig davon, wie wichtig oder dringend der Behandlungsbedarf ist.
Bekanntes Terrain
Am 10. März 2025 sitzen sich alte Bekannte gegenüber. Die Verhandlungen zwischen Vertreter*innen der Fapsylux und der CNS enden wie schon unzählige Male zuvor: ohne konkrete Ergebnisse. Fünf Jahre lang hatten die beiden Parteien über die generelle Rückerstattung psychotherapeutischer Leistungen verhandelt, ohne eine Einigung zu erzielen. Bis der damalige Sozialversicherungsminister Claude Haagen (LSAP) im Dezember 2022 ein Machtwort sprach und per Verordnung die Rückerstattungspflicht einführte. Ab dem 1. Februar 2023 trat die nachfolgende Regelung unter strengen Voraussetzungen in Kraft (siehe Kasten): 70 Prozent Erstattung für Erwachsene, 100 Prozent für Minderjährige. Dieser Satz ist zwar immer noch niedriger der, der für andere medizinischen Behandlungsleistungen erstattet wird, aber zumindest ist ein Anfang gemacht.
Viel weiter ist man heute, gut zwei Jahre nach dieser politischen Intervention bei der Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung immer noch nicht. Das liegt nicht am mangelnden Engagement der Psychotherapeut*innen, für die Online-Therapie spätestens seit der Covid-19 Pandemie kein Randphänomen mehr ist. „Der Bedarf ist definitiv da. Wir bekommen regelmäßig Rückmeldungen von anderen Fachpersonen, die uns ans Herz legen, das Thema weiter zu diskutieren“, sagt Richard im Gespräch mit der woxx. Ein wachsender Bedarf, den auch die Patiente Vertriedung Lëtzebureg (PVL) als Vertretung der Patient*innenseite bestätigt. Anfragen zur Erstattung von Online-Psychotherapie werden gestellt, „insbesondere von Menschen, die aus praktischen Gründen oder aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation eine Präferenz für diese Form der Therapie haben“, schreibt deren Pressesprecher Georges Clees auf Anfrage der woxx.
Wartezeiten für einen freien Psychotherapieplatz sind in Luxemburg bekanntlich lang. Viel mehr Menschen benötigen eine psychotherapeutische Behandlung als von den vorhandenen zugelassenen Therapeut*innen versorgt werden können. Weite Wege in die Praxis sind unter diesen Umständen keine Seltenheit. Ein Problem, nicht nur für Menschen, die mit körperlichen Behinderungen leben, sondern auch für all jene, die aus anderen Gründen (temporär) in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Nicht zuletzt, weil sie sich vielleicht mit psychischen Störungen, wie Angsterkrankungen und depressiven Episoden konfrontiert sehen, die in schlimmen Phasen, gerade dann wenn eine Behandlung besonders wichtig wäre, dem Besuch in einer Psychotherapie-Praxis entgegenstehen.
Online als Ausnahme
Der zulässige Rahmen, der sowohl von der Fapsylux als auch der PVL für eine erstattungsfähige Online-Therapie gezeichnet wird, ist nicht einmal revolutionär. Aus der Sicht von einigen Nachbarländern betrachtet, bleibt er sogar recht konservativ. „Es sollte bereits eine therapeutische Beziehung bestehen. Und selbst dann nur in Ausnahmefällen. Etwa wenn jemand krank ist, sich beispielsweise ein Bein gebrochen hat und die Praxis vorübergehend nicht aufsuchen kann. Oder wenn das eigene Kind krank ist und eine Sitzung vor Ort dadurch unmöglich wird. Auch bei Studierenden, die sich zeitweise im Ausland aufhalten, kann eine Online-Therapie sinnvoll sein, um die begonnene Behandlung fortzuführen“, beschreibt Richard die denkbaren Szenarien. Das ist zum Beispiel noch meilenweit entfernt von den in Deutschland verbreiteten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf Rezept – erprobte digitale Therapieprogramme, die als Krankenkassenleistung für eine breite Bevölkerung zugänglich sind. DiGA wie „deprexis“, ein Begleitprogramm bei Depressonen oder „HelloBetter“, ein Online-Programm zur Stressbewältigung, dienen nicht als Ersatz für Psychotherapie, können aber niederschwellig entlasten, stabilisieren oder überbrücken, besonders in einem System mit langen Wartezeiten wie in Deutschland – oder eben Luxemburg. Auch Online-Sitzungen mit Therapeut*innen sind in Deutschland längst Teil der Regelversorgung: Bis zu 30 Prozent der Sitzungen pro Patientin dürfen dort per Video stattfinden und werden regulär von den Krankenkassen erstattet.
Die Digitalisierung der psychischen Gesundheitsversorgung ist auch in Luxemburg erklärtes Ziel der Regierung: Im Nationalen Aktionsplan für psychische Gesundheit (2024–2028) ist vorgesehen, digitale Versorgungsformen – darunter ausdrücklich auch Online-Konsultationen – bis spätestens 2027 umzusetzen. Wieso also lehnt die CNS bislang eine finanzielle Abdeckung im Rahmen der geltenden Psychotherapie-Rückerstattung ab? Auf ihrer Website wird dies schlicht begründet mit: „Sie sind nicht in der Nomenklatur für Psychotherapeuten vorgesehen.“
Doch wer entscheidet, was in dieser Nomenklatur steht? Tatsächlich handelt es sich dabei um kein festes Regelwerk, das von der CNS allein bestimmt wird – sondern um eine Liste von Leistungen, die in einem mehrstufigen Verfahren mit dem Gesundheitsministerium sowie den Berufsvertretungen der jeweiligen Fachrichtungen, im Fall der Psychotherapeut*innen also mit der Fapsylux, verhandelt wird. Damit neue Leistungen wie etwa Online-Psychotherapie aufgenommen werden können, braucht es zunächst einen klaren gesetzlichen Rahmen. Und genau dieser fehlt nach dem Verständnis der CNS derzeit. Diese erkennt während der jüngsten Verhandlungen mit der Fapsylux Anfang März zwar sowohl Bedarf als auch Nutzen von Online-Psychotherapie an – verweist jedoch darauf, dass ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keine vertiefte Diskussion möglich ist. Das Thema wird abermals auf Eis gelegt. Politisch liegt der Ball laut CNS beim Ministerium für Gesundheit und soziale Sicherheit.
Unklare Hindernisse

(Foto: imgix/Unsplash)
Wo könnte hier das Hindernis liegen? Auf Nachfrage der woxx bleibt das Ministerium vage. Die zuständige Pressestelle verweist auf eine im Februar 2024 eingerichtete Arbeitsgruppe. Ziel sei es, „die rechtlichen, finanziellen und technologischen Aspekte der Telekonsultationen sowie den Einsatz moderner Technologien im Gesundheitswesen zu analysieren – mit dem Ziel, die Versorgungsqualität zu verbessern und die Arbeitsbelastung des Gesundheitspersonals zu verringern.“ Die Arbeiten an einem neuen rechtlichen Rahmen seien im Gange, ein ungefährer Zeitrahmen wird, trotz Nachfrage, nicht genannt. Es bleibt unklar, worin der Grund der langen Wartezeit liegt, zumal das Collège médical bereits im Oktober 2023 in einem Rundbrief darauf hinweist, dass Online-Psychotherapie grundsätzlich zulässig ist. Das modifizierte Gesetz vom 14. Juli 2015, das den Beruf der Psychotherapeut*innen regelt, beschränke die Ausübung nicht auf Präsenzformate – Online-Sitzungen sind also rechtlich erlaubt. Gleichzeitig weist das Collège médical jedoch darauf hin, dass diese derzeit nicht von der CNS erstattet werden. Es liege in der Verantwortung der Therapeut*innen, ihre Patient*innen klar über diesen Umstand zu informieren.
Für Patient*innen bedeutet das vor allem eines: Unsicherheit. Wer psychotherapeutische Hilfe nicht in Präsenz wahrnehmen kann, bleibt auf den Kosten sitzen. Psychische Gesundheit muss man sich leisten können. Auch über die Online-Sitzungen hinaus weist die psychische Gesundheitsversorgung in Luxemburg strukturelle Lücken auf. So werden etwa Gruppentherapien derzeit nicht erstattet – obwohl sie therapeutisch wirksam und, rein rechnerisch, für die CNS sogar kostensparend wären – selbst dann, wenn sie ergänzend zur Einzeltherapie angeboten werden. Denn Gruppensettings fördern soziale Ressourcen und reduzieren Rückfallraten, was langfristig Folgekosten mindern kann. Auch Berichte, die von Kontrollärzt*innen der CNS angefordert werden, stellen ein Problem dar. Diese müssen entweder unentgeltlich von den Therapeut*innen erstellt werden – oder werden privat in Rechnung gestellt. Zusätzliche Hürden bestehen ebenso bei komplexen psychotherapeutischen Interventionen. Derzeit ist nur eine Sitzung pro Tag erstattungsfähig. Längere Therapiesitzungen, wie sie bei der Behandlungen von Angststörungen oder Traumafolgestörungen üblich sind, sind in diesem Rahmen kaum möglich. Diagnostik braucht Zeit, Auswertung ebenfalls. All das geht im aktuellen System unter.
Kein System für alle
Die psychische Gesundheitsversorgung bleibt in Luxemburg vorerst selektiv: Wer mobil und gesund genug für die Anreise ist und sich nicht in einer Ausnahmesituation befindet, passt ins Raster. Für alle anderen wird es teuer. Dabei zeigt nicht nur die Pandemie, wie schnell sich Situationen ändern können. Chronische Erkrankungen, Pflegeverantwortung oder geografische Barrieren gehören zum Alltag vieler Menschen. Die Rahmenbedingungen für eine gerechtere, flexiblere psychotherapeutische Versorgung sind in der Theorie da. Der Konsens unter allen Beteiligten ist, dass digitale Formate nicht zum Standard erhoben werden, sondern als pragmatische Ergänzung verstanden werden sollen. Dass eine Erstattung durch die CNS bislang nicht umgesetzt wurde, ist ein strukturelles Versäumnis mit unklaren Hindernissen. Online-Psychotherapie ist ein Schritt in Richtung Inklusive Gesundheitsversorgung, und sie wird kommen. Die Frage ist nur, wie lange Luxemburg braucht, um sich zu bewegen.
Psycholog*in, Psychotherapeut*in, Psychiater*in – wer macht was und was wird erstattet?
Die Berufsbezeichnungen in der psychischen Gesundheitsversorgung klingen ähnlich, unterscheiden sich aber deutlich – auch bei der Erstattung durch die CNS. Psycholog*innen haben ein fünfjähriges Hochschulstudium absolviert und arbeiten in vielen Bereichen, zum Beispiel in der Diagnostik, die Berufsbezeichnung ist in Luxemburg nicht gesetzlich geregelt und ihre Leistungen werden nicht durch die CNS erstattet. Psychotherapeut*innen sind Psycholog*innen oder Ärzt*innen, die eine zusätzliche Ausbildung zu Psychotherapie absolviert haben. Der Beruf ist gesetzlich geregelt und ihre Sitzungen werden zu 70 Prozent für Erwachsene und 100 Prozent für Minderjährige erstattet, sofern sie ärztlich verordnet wurden. Insgesamt sind bis zu 174 Sitzungen innerhalb von zehn Jahren erstattungsfähig – darunter 3 Einführungssitzungen und 24 stützende Sitzungen alle fünf Jahre sowie bis zu 120 langfristige Sitzungen alle zehn Jahre. Psychiater*innen sind Fachärzt*innen für Psychiatrie und dürfen – im Gegensatz zu Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen – Medikamente verschreiben. Sie sind nicht zwangsläufig in Psychotherapie ausgebildet. Je nach Leistung werden über 80 Prozent von der CNS vergütet. Die SLP, der luxemburgische Berufsverband für Psycholog*innen, bietet auf ihrer Website ein Recherchetool an, mit dem sich zugelassene Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen finden lassen:
slp.lu/de/psyregister/