René Clesse (1954-2016): Ach!

Am Montag erreichte uns die traurige Nachricht, dass unser langjähriger Freund und Begleiter René Clesse verstorben ist. Ein Nachruf als Versuch, einen komischen Kauz mit Worten einzufangen.

1380renclesse„Ach, noch in der letzten Stunde werde ich verbindlich sein. Klopft der Tod an meine Türe, rufe ich geschwind: Herein! Woran soll es gehn? Ans Sterben? Hab ich zwar noch nie gemacht, doch wir werd’n das Kind schon schaukeln – na, das wäre ja gelacht! Interessant so eine Sanduhr! Ja, die halt ich gern mal fest. Ach – und das ist Ihre Sense? Und die gibt mir dann den Rest? Wohin soll ich mich jetzt wenden? Links? Von Ihnen aus gesehn? Ach, von mir aus! Bis zur Grube? Und wie soll es weitergehn? Ja, die Uhr ist abgelaufen. Wollen Sie die jetzt zurück? Gibts die irgendwo zu kaufen? Ein so ausgefall’nes Stück. Findet man nicht alle Tage, womit ich nur sagen will. Ach! Ich soll hier nichts mehr sagen? Geht in Ordnung! Bin schon…“ Dieses Gedicht von Robert Gernhardt, dessen Texte René Clesse öfters mal aus dem Stegreif zitierte, veröffentlichte er am 21. Juni dieses Jahres auf seiner Facebook-Seite.

Clesse war, wie viele andere „ältere“ Menschen, die sich im Internet rumtreiben, durch die drei Phasen des Umgangs mit sozialen Medien gegangen: Zuerst die süffisante Verweigerung des jugendlichen Unsinns, dann spontanes Interesse und schließlich die totale Überpräsenz. Es gab Tage, da konnte man nichts posten, ohne Minuten später einen ironischen Kommentar von René Clesse darunter zu finden. Nun ist seine Seite zu einem virtuellen Kondolenzbuch geworden, in dem Freunde, Weggefährten und sogar Menschen, die ihn gar nicht kannten, ihre Trauer kundtun.

Denn eines ist sicher: Sein Gegenüber zum Nachdenken zu bringen und/oder in den Wahnsinn zu treiben, gehörte zu René Clesses Wesen einfach dazu. Er ließ niemanden ungerührt. Anzuecken war ein Wesenszug, der ihn den Menschen entweder sympathisch oder unmöglich machte – er hatte die Gabe, aus seinem Gegenüber das Beste und das Schlimmste herauszukitzeln – ohne sich dabei selbst (allzu sehr) auszunehmen.

Bereits ein Blick auf seine bewegte Biographie zeigt, dass er kein Mensch war, der sich problemlos einordnen konnte. So hatte René Clesse, der schon in seinen Schulzeiten am Escher Lycée Hubert Clement als Schreibtalent galt, einen, selbst angesichts der heutigen überflexibilisierten Zeiten, ungewöhnlich facettenreichen Streifzug durch die luxemburgische Presselandschaft unternommen. In den 1970ern als Korrektor beim „Tageblatt“ beschäftigt, hielt er es dort ganze sieben Jahre lang aus. Nicht die beste Zeit in seiner Erinnerung, mopste ihm doch, seinen Aussagen nach, ein inzwischen sehr bekannter sozialistischer Politiker den versprochenen Posten als Kulturredakteur vor der Nase weg. Also machte er sich, parallel zu seiner Dichterkarriere, auf den Weg zur „Revue“, wo er Anfang der 1980er Jahre landete. Auch dort hielt es ihn nicht lange, und so wurde er schließlich freier Mitarbeiter im „Lëtzebuerger Land“, wo er, neben Gerichtsreportagen, öfters auch Kinokritiken verfasste, über Filme, die er dem eigenen Bekunden nach nicht alle gesehen hatte.

Journalist und Poet

Filme zu rezensieren, ohne sie je gesehen zu haben, ist nicht bloß ein bisschen unverschämt dem Arbeitgeber gegenüber. Es ist eine hohe Kunst, die vor René Clesse beispielsweise auch der französische Schriftsteller Jean-Patrick Manchette betrieben hat.

1380gedicht-renUnd überhaupt war die Schriftstellerei René Clesses große Liebe. Ob als Poet in den 1970ern und 1980ern, wo er mit jungen Wilden wie Rewenig, Manderscheid und Ketter noch viel wildere Lesungen abhielt und durch die Weltgeschichte reiste (so hatte er es jedenfalls in seiner Erinnerung behalten), oder als Leser. René Clesses fast schon legendäres Sprachgefühl beim Schreiben oder Korrigieren hatte ihren Ursprung sicherlich in seinen zahlreichen Lektüren. Sein literarisches Vermächtnis findet sich verstreut über diverse Publikationen und Kopien kurzlebiger Formate. Eines seiner Gedichte vom Anfang der 1980er Jahre drucken wir nebenstehend ab.

Dennoch fand er schließlich auch eine Heimat als Journalist, und das gleich in doppeltem Sinn. Zum einen als verantwortlicher Redakteur und Koordinator des Hauptstadtmagazins „Ons Stad“, das er bis zu seinem Tode leitete und welches ihm besonders am Herzen lag. Und natürlich als Mitbegründer der satirischen Wochenzeitschrift „Feierkrop“. Vor allem als Kropler verstand er es – zwischen 1993 und 2014 – auszuteilen und sich für seine Ansichten einzusetzen. Waren es nun die Jäger, die von Hugo Habicht eins auf den Deckel bekamen, Politiker, deren kleine oder große Unwahrheiten er zur Schau stellte, oder einfach nur die „Doofpresse“ die mal wieder über die Stränge schlug – alle bekamen sie ihr Fett weg.

René Clesse verspürte nicht nur Abscheu gegenüber Ungerechtigkeiten und Hypokrisie. Er hatte auch einige Grundprinzipien, denen er bis zuletzt die Treue hielt. Dazu zählten auch die Verurteilung jeder Form des Antisemitismus, ob nun von rechts oder von links, sowie seine Haltung zum Staat Israel, den er gegen jede Kritik verteidigte.

Alt-68er und Porschefahrer

Das soll aber nicht heißen, dass René Clesse ein blinder Fanatiker war. Er begegnete Menschen, die seine Ansichten nicht teilten, zwar mit bissiger Ironie, jedoch stets zugleich auch mit Respekt. Das merkten wir auch in den vielen hitzigen Diskussionen, die wir am Rande des Redaktionsalltags der woxx mit ihm geführt haben. Denn auch wenn er uns liebevoll „Schülerzeitung wixx“ nannte, hat er doch ab und an kleine Rezensionen für unser Blatt geschrieben. Nicht zuletzt gehörte er über seine langjährige Lebenspartnerin Christiane Wagener, die unsere Vorstandspräsidentin ist, zum inneren Kreis der woxx, und nahm an so einigen der jährlichen „woxxenenden“ teil. Dabei kam es öfters zu nächtelangen Diskussionen, bei denen René Clessé am Ende – faute de combattants – meist als „Sieger“ hervorging.

Überhaupt, René Clesse – er vereinte vieles, was einfach gestrickten Dogmatikern als paradox erscheinen mag. Jagdgegner und Waffenliebhaber, linksgebliebener Alt-68er Porschefahrer und Oldtimersammler, feinfühliger Sprachkünstler ohne Abitur. Aber inkonsequent war das nicht, im Gegenteil: Er lebte seine Gegensätze aus und vor allem das konnte man entweder an ihm lieben oder hassen. Ein Freigeist war er auf jeden Fall.

Um ihn so gehen zu lassen, wie er es vermutlich gemocht hätte, endet dieser Nachruf mit einem Gedicht von Peter Hacks, auch so ein „enfant terrible“, dessen Poesie er sehr zugetan war: „Du sollst mir nichts verweigern. Ich will den letzten Rest. Geht eine Lust zu steigern, Ein Schurke, wer es lässt. Gehabtes Glück hilft sterben. Der Tod, er soll nichts erben als blankgeleckte Scherben. Und Schläuche ausgepresst. Der Vater der Genüsse, der alte Knochenmann, Hängt an die tiefsten Schlüsse. Doch seinen tiefern an. Boviste und Planeten. Das Schicksal der Poeten … Er drückt uns an die Gräten, Mein Liebchen, und was dann? Drum glaubt den tausend Zeigern. Der Welt, die nimmer ruhn. Du sollst mir nichts verweigern. Wir müssen lieben nun, Bis einst aus freien Stücken, Gesättigt mit Entzücken, Wir unsrer Füße Rücken. Still voneinander tun.“


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