Ripley: Die Welt, wie sie ihm gefällt

„Ripley“ erzählt eine bekannte Geschichte in Schwarz-Weiß. Was die Serie so besonders macht, ist der langsame Rhythmus, die detailreiche Inszenierung und die Schauspielleistung von Andrew Scott.

Nicht nur spannend, sondern auch schön anzusehen: Steven Zaillians Serie „Ripley“ (Copyright: Netflix)

Fast 70 Jahre nach Erscheinen des Romans „The Talented Mr. Ripley“ hat die Geschichte von dessen Protagonisten, Tom, nichts von ihrer Faszination verloren. Unabhängig davon, ob man mit Patricia Highsmiths Buch oder dessen 1999er-Verfilmung mit Matt Damon und Jude Law in den Hauptrollen vertraut ist: Die kürzlich erschienene Netflix-Serie „Ripley“ dürfte es in die diesjährigen Top-10-Listen der meisten Kritiker*innen schaffen.

Mit ihren Schwarz-Weiß-Bildern und der langsamen Erzählweise ist die von Steven Zaillian geschriebene Miniserie weit von den üblichen, auf Massenkonsum ausgerichteten Netflix-Produktionen entfernt. Anders als dieser Tage üblich ist die Serie auch kein Prequel, Sequel oder Spin-off des oben erwähnten Romans. Für ein Sequel hätte es sogar ebenfalls Buchvorlagen gegeben, schrieb Highsmith doch insgesamt fünf Romane mit Tom Ripley im Zentrum.

Zu Beginn der ersten Folge erhalten wir Einblick in Toms (Andrew Scott) kriminelle Machenschaften. Als wäre es eine gewöhnliche Lohnarbeit, fängt er Briefe ab, fälscht Dokumente und gibt sich am Telefon für jemand anderen aus. Er tut dies mit einer Nonchalance, die auf einen langjährigen Erfahrungswert schließen lässt. So unablässig Tom aber auch ackert: Am Ende des Tages hat er mit Mühe und Not das nötige Geld zusammengekratzt, um über die Runden zu kommen. Als er von dem wohlhabenden Herbert Greenleaf (Kenneth Lonergan) eines Tages den Auftrag bekommt, dessen Sohn Richard „Dickie“ Greenleaf (Johnny Flynn) in der italienischen Stadt Atrani aufzusuchen und zur Heimkehr zu bewegen, erkennt er eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen will.

„The Talented Mr. Ripley“ ist in erster Linie eine Erzählung über Klassenneid. Als prekär lebende Waise hat Tom für Menschen wie Dickie, der stinkreich ist, obwohl er noch nie in seinem Leben gearbeitet hat, nichts als Verachtung übrig. Was Tom dabei stört, ist nicht deren Lebensstil. Vielmehr ist er der Ansicht, dass dieser Wohlstand und die daran geknüpften Privilegien ihm selbst zustehen.

Die kulturelle Faszination für Schwindler*innen geht weit über Figuren wie Tom Ripley hinaus. In den vergangenen Jahren erschienen unzählige Serien und Filme, die die realen Geschichten von Betrüger*innen erzählten, darunter „The Dropout“, „Inventing Anna“ und „Fyre“. Hinzu kommen frei erfundene Geschichten wie „Better Call Saul“. Die genannten Produktionen gehen sehr unterschiedlich an die Thematik „Betrug“ heran. Bei „The Dropout“ und „Fyre“ sind die Hauptfiguren gänzlich talentfrei. Dass sie nicht gleich auffliegen, liegt in beiden Fällen an dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld und an ihrem Hang zur pathologischen Lüge. Ganz anders bei „Better Call Saul“: Protagonist Jimmy flunkert zwar auch was das Zeug hält, ist aber auch außerordentlich versiert in dem, was er macht. Seine Schwindeleien aufzudecken, erfordert von seinen Kontrahent*innen ein mindestens genau so hohes Maß an Kreativität und Rigorosität.

Auch bei „Ripley“ geht ein großer Teil des Reizes von der Präzision und Disziplin aus, mit welcher Tom andere hinters Licht führt. In Atrani ist er jedoch zunächst sichtbar nicht in seinem Element. Er plagt sich die vielen Treppen rauf und runter; Dickie und dessen Partnerin Marge (Dakota Fanning) gegenüber ist er unbeholfen und wortkarg. Erst nachdem er Dickies Identität angenommen hat, läuft Tom zur Höchstform auf.

Die multiplen Talente des Protagonisten werden durch eine nicht minder akribische Mise-en-scène, Kameraarbeit und Montage in Szene gesetzt. In den langen, aufwändig durchkomponierten Einstellungen baut sich immer wieder eine Spannung auf, die die Luft knistern lässt. Die einzelnen Einstellungen sind dabei so schön, dass man sie sich am liebsten einrahmen und ins Wohnzimmer hängen würde. Das Beste an „Ripley“ ist aber zweifelsohne die Performance von Andrew Scott. Obwohl er in den letzten Jahren auch schon in „Sherlock“, „Fleabag“ und „All of Us Strangers“ sein enormes Talent unter Beweis gestellt hat – als Bösewicht ist er stets genau so überzeugend wie als zerbrechlicher Held –, gibt ihm „Ripley“ erstmals die Gelegenheit die ganze Bandbreite seines Könnens in nur einer Produktion zur Schau zu stellen.

Die breite Faszination für Menschen wie Tom liegt darin, dass sie weder Mühe scheuen noch Skrupel haben, um sich zu nehmen was sie wollen, und in den sich daraus ergebenden scheinbar unendlichen Möglichkeiten. Was Tom will, ist ein schönes Leben. Wenn er morgens in den Straßen von Rom oder Palermo bei einem Kaffee die Tageszeitungen durchblättert oder sich im Antiquitätenladen ein schickes Objekt kauft, scheint Tom da angekommen, wo er schon immer sein wollte. Oder besser gesagt: Er ist endlich der Mensch, der er schon immer sein wollte.

Auf Netflix

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