Theater: „Choisir l’optimisme que l’art peut avoir en tant qu’art !“

Das Escher Theater und das portugiesische Kollektiv „mala voadora“ bringen die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen auf die Bühne – nicht ohne ihre Universalität zu hinterfragen und ihre Entstehungsgeschichte kritisch zu beleuchten.

Der Regisseur Jorge Andrade (Zweiter von rechts) und sein Kollektiv „mala voadora“, 
nehmen gemieinsam mit Schauspieler*innen und Bürger*innen das UN-Menschenrechts-
abkommen unter die Lupe. (© Patrick Galbats)

1948 wurde sie von der Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen verabschiedet, jetzt ist sie Ausgangspunkt einer Theaterproduktion: In „La déclaration universelle des droits de l’homme“ von Regisseur Jorge Andrade und dem Kollektiv „mala voadora“ wird das Abkommen inszeniert. Die Künstler*innen beißen sich dabei nicht an dem geschriebenen Text fest: Die Darstellung der Deklaration variiert leicht von Auftritt zu Auftritt, mit jeder Begegnung zwischen Schauspieler*innen und Bürger*innen. Letztere übernehmen in dem Stück eine zentrale Rolle.

Für die Darbietungen im Escher Theater, am 7. und am 8. Mai, hat sich das Kollektiv mit der Schauspielerin Magaly Teixeira zusammengesetzt: Sie hat Teilnehmer*innen unterschiedlicher kultureller Hintergründe für das Theaterstück vereint – einzige Voraussetzung war, dass sie portugiesisch sprechen können. Sie tragen die Deklaration, die das Kollektiv auf seine Art bearbeitet hat, gemeinsam mit den Schauspieler*innen – mit unter anderen Céline Camara – vor.

In einem Interview mit dem Escher Theater, das über dessen Pressestelle an die Redaktionen verschickt wurde, spricht Andrade über die Wichtigkeit der kulturellen Diversität der Darsteller*innen und aller Beteiligten an dem Projekt: „Dans ce projet, cela a une signification particulière, car la diversité culturelle des participant·es est parallèle à la diversité culturelle des personnages historiques que nous recréons sur scène – à partir des contextes qu’ils ont représentés aux Nations Unies.“ Je stärker sich die Aufführungen voneinander unterscheiden würden, umso komplexer werde auch das Projekt. „Ce qui nous satisfait“, kommentiert Andrade.

Allgemeingültigkeit und Kontext

Das Interview hält aber auch zwei weitere interessante Fragen bereit: Was ist ein universelles Recht überhaupt? Und inwiefern kontrastierte die Verabschiedung des Abkommens mit anderen Handlungen der europäischen Kolonialmächte von damals? Für Andrade ist besonders die erste Frage nach der Allgemeingültigkeit von Rechten verzwickt. Es sei einfach, die Frage nach Grundrechten zu beantworten, wenn man dabei nur den eigenen Kontext beachte. Schwierig werde es, wenn man Rechte einfordere, die für alle gelten. „Nous n’avons pas le droit d’imposer des valeurs aux autres“, meint er. Er führt in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Würde oder Demokratie an. Als einfache Rechte bezeichnet er hingegen das Recht auf Wohnraum oder das Recht, keinen Hunger zu leiden.

Die Frage nach der Scheinheiligkeit der Kolonialmächte beantwortet Andrade entschlossen: Ja, es sei paradox, dass die westlichen Länder 1948 mit einem Menschenrechtsabkommen dahergekommen seien, während einige Mitgliedsstaaten noch Kolonialismus betrieben hätten – wie etwa Frankreich, Belgien oder die Niederlande. Das Abkommen wird allgemein als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und die dortigen Verbrechen an der Menschheit verstanden. Die Aufarbeitung des europäischen Kolonialismus, der ebenfalls tiefgreifende Wunden hinterließ, stand damals nicht im Mittelpunkt. Andrade verweist in dem Kontext auf Portugal, eines der am längsten bestehenden europäischen Kolonialreiche: „L’insistance du dictateur portugais sur le maintien des colonies a été la raison même pour laquelle le Portugal a mis quelques années à être accepté comme membre des Nations Unies.“ Portugal trat den Vereinten Nationen 1955 bei, also zehn Jahre nach ihrer Gründung. Das portugiesische Kolonialreich endete 1999 mit der Rückgabe von Macau an China.

Das Stück will, so steht es im Ankündigungstext der Aufführungen, zurück zu den Anfängen des Abkommens, zu seinen Wurzeln und seinen Schwachstellen, den Nuancen zwischen den Zeilen. Es ist ein Text, der rein inhaltlich immer eine gewisse Aktualität mit sich trägt, denn wann ist es schon unwichtig, Menschenrechte zu verteidigen? Ein Blick auf aktuelle, weltweite Ausnahmezustände, wie der Krieg in der Ukraine, führen seine Wichtigkeit – und gleichzeitig seine Missachtung – vor Augen. Darauf angesprochen, ob „La déclaration universelle des droits de l’homme“ ein positives Zeichen senden oder schockieren wolle, antwortet Andrade im Interview mit dem Escher Theater: „Nous [les artistes] ne pouvons pas décider de l’avenir du monde, car il est principalement entre les mains des politicien·nes et de ceux et celles qui influencent les décisions politiques.“ Als Bürger*innen könne man jedoch das Wort ergreifen und Position beziehen. Es sei schwer zu handeln, weil die Politik das Sagen habe, doch als Künstler*in hätte man „pouvoir“: „Celui de choisir l’optimisme que l’art peut avoir en tant qu’art ! Construire. Inventer.“

Auch wenn der Titel des Theaterstücks auf den ersten Blick wie ein Spoiler wirkt – denn worum soll es in einem Stück gehen, das „La déclaration universelle des droits de l’homme“ heißt, wenn nicht um das Allgemeine Menschenrechtsabkommen –, entpuppt es sich am Ende vielleicht doch als Wundertüte. Die Weichen für zahlreiche Interpretationen und Schwerpunkte sind auf jeden Fall gestellt.

La déclaration universelle des droits de l’homme. Am 7. und 8. Juni, jeweils um 20 Uhr, im Escher Theater. Auf Französisch und Englisch. Karten sowie weiterführende Informationen gibt es unter theatre.esch.lu.

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