Theater: „Sich der Krankheit nicht als bloßes Erzähltool bedienen“

Das Escher Theater zeigt Jean Bürlesks und Francesco Morminos „Pas un pour me dire merci“: ein Stück über den Umgang mit mentalen Krankheiten innerhalb einer Familie. Jean Bürlesk im Gespräch mit der woxx.

In „Pas un pour me dire merci“ geht es um Familie und ihren Umgang mit mentalen Krankheiten. (Fotos: Patrick Galbats)

woxx: Jean Bürlesk, „Pas un pour me dire merci“ geht großen Fragen nach, wie der nach dem Umgang mit mentalen Krankheiten innerhalb einer Familie oder Mutterschaft und Krankheit. Was für Antworten geben Sie?


Jean Bürlesk: Wir behaupten nicht, Antworten zu haben. Es war uns wichtig, Fragen zu stellen, aufzuzeigen, dass es diese Fragen überhaupt gibt und viele Menschen sich täglich mit ihnen beschäftigen müssen.

Hat Sie die Ernsthaftigkeit des Themas kreativ eingeschränkt?


Eingeschränkt nicht, aber es ist schwer, zu diesen Fragen zu arbeiten. Die Geschichte begann mit einem Angebot, das ich dem Escher Theater gemacht habe. Mit dem Stück habe ich mich um die Bourse Edmond Dune (Anm. d. R.: Förderung des Fonds culturel national) beworben, die ich letzten Endes nicht erhalten habe. Carole Lorang (Anm. d. R.: Direktorin des Escher Theaters) hat trotzdem darauf bestanden, das Projekt zu tragen. Sie hat Renelde Pierlot als Regisseurin vorgeschlagen – Renelde ist fantastisch. Später kam Francesco Mormino als Co-Autor hinzu. Die Betroffenen spielen eine sehr wichtige Rolle für das Stück. Es geht uns um das Gespräch mit ihnen, nicht über sie.

Was war Ihr Ausgangspunkt?


Ich wollte anfänglich über Beziehungen und Familienverhältnisse sprechen, wobei unter anderem die mythologische Figur der Medea einen möglichen Anhaltspunkt bot. Im Laufe der Arbeit und im Austausch mit Renelde und anderen Gesprächspartnern kam schnell das Thema der mentalen Krankheiten auf. Medea spielt inzwischen keine Rolle mehr, dann eher Jeanne d’Arc.

Jeanne d’Arc?


Jeanne d’Arc ist entweder eine vom Himmel geschickte Lichtgestalt oder eine Figur des Teufels. Beides zusammen geht nicht. Für psychisch erkrankte Menschen gibt es oft kein Mittelmaß. Das gilt auch bei der Selbsteinschätzung. In unserem Stück ist es die Mutter, die sich im Laufe ihrer Krankheit immer stärker mit der Figur der Jungfrau von Orléans identifiziert. Ihr Selbstbild schwankt zwischen Perfektion und absoluter Wertlosigkeit.

Mentale Krankheiten als Motiv haben in der Theater- und Literaturwelt Tradition. Oft sind die Erkrankten, wie in Ihrem Stück, hysterische Frauen …


In dem Stück geht es nicht um die Frau als Inbegriff mental erkrankter Menschen. Es ist die Mutter-Kind-Beziehung, die interessant ist. Wie gehen Kinder damit um, wenn eine ihrer Referenzpersonen krank ist? Wir haben unter anderem mit dem Centre KanEl darüber gesprochen. Die Organisation betreut Kinder mental erkrankter Menschen. Wir haben auch mit der AFPL (Association des Familles ayant un proche atteint de Psychose au Luxembourg) zusammengearbeitet. Es ist nämlich oft die Familie, die sich um ihre erkrankten Verwandten kümmert.

Das sind in „Pas un pour me dire merci“ ein Vater und drei Kinder.


Im Stück ist es der Vater, der versucht, das Ganze zusammenzuhalten. Das artet in Wut und Gewalt aus. Die Partner mental erkrankter Personen, vor allem in Beziehungen mit Kindern, spielen eine Schlüsselrolle. Viele suchen das Weite. Wir interessieren uns für die, die bleiben. Die Kinder stehen für verschiedene Haltungen, die man gegenüber der mentalen Erkrankung einnehmen kann: die Verweigerung, die praktische Einstellung – also die Bemühung um Heilung, die auch nicht immer unproblematisch ist – oder der Mimetismus. Auch die Mutter durchläuft Phasen der Krankheit, die genau definiert sind. Doch was war nochmal die Eingangsfrage?

Die nach mental erkrankten Frauen-
figuren.


Mit dem Bild muss gebrochen werden. Ich gebe zu, wir bekämpfen das nicht unmittelbar. Genauso muss mit der Falschdarstellung mental erkrankter Menschen gebrochen werden.

Was meinen Sie damit?


Sie erscheinen in künstlerischen Darstellungen, insbesondere in der Filmbranche, oft als gefährlich, sogar mörderisch. Die Behandlung findet in Krankenhäusern statt. Das widerspricht der Lebensrealität der meisten Erkrankten. Es gibt extrem wenige, die für andere gefährlich sind. Wenn, dann sind sie es eher für sich selbst. Hingegen werden sie oft selbst Opfer von Gewalt. Man darf sich der Krankheit nicht als bloßes Erzähltool bedienen. Das richtet langfristig schlimme Schäden an.

Wie geht es anders?


Der Austausch mit – und nicht über  – betroffene Personen und Organisationen war unser Anker zurück in die Realität. Wir machen Kultur, doch es soll nicht nur l’art pour l’art sein. Wir werden mit dem Stück allein nicht die Welt verändern, aber wir wollen Teil der Denkanstöße sein. Mir ist es wichtig zu betonen, wie viele Menschen bei dem Projekt mitgewirkt haben: Das Stück ist das Ergebnis von drei Köpfen und einem beeindruckenden Team aus Theatermitarbeitern sowie Organisationen und Privatpersonen, die ihre Geschichten mit uns geteilt haben.

Pas un pour me dire merci, an diesem Freitag, dem 23. April, um 20 Uhr, und an diesem Sonntag, dem 25. April, um 17 Uhr im Escher Theater. Beide Veranstaltungen waren bei Redaktionsschluss ausverkauft. Informationen zu frei gewordenen Sitzplätzen unter Tel. 27 54 50 10.

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