Tierschutzgesetz: Ein Katzenjammer?

Die Heime überfüllt, die finanziellen Mittel knapp: Im Sommer schlugen die luxemburgischen Tierschutz-
organisationen Alarm. Ende Oktober trafen sie Landwirtschaftsminister Claude Haagen zum Gespräch. Wo steht Luxemburg vier Jahre nach der Reform des Tierschutzgesetzes?

Besonders nicht kastrierte und sterilisierte Katzen setzen den Tierschutzorganisationen zu. (CC BY Vincent Moschetti NC-ND 2.0)

Während andere sich im Sommer die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, luden luxemburgische Tierschutzorganisationen Ende Juli zu einer Pressekonferenz ein – aus Frust darüber, dass sie Tieren in Not nicht angemessen helfen können. Der Fokus lag auf Haustieren wie Katzen und Hunden. Es war die Rede von überfüllten Heimen mit langen Wartelisten, ausbleibenden Adoptionen, einer hohen Anzahl nicht kastrierter oder sterilisierter Katzen sowie von mangelnder finanzieller Unterstützung durch die Gemeinden. Besonders jenseits des Minetts fehle es an Tierheimen. Das reformierte Tierschutzgesetz von 2018 habe nichts an den Umständen geändert. „Leider muss man feststellen, dass es nicht flächendeckend umgesetzt und seine Anwendung unzureichend kontrolliert wird“, schrieben die Tierschützer*innen in ihrer Pressemitteilung zur Konferenz. Sie forderten ein Gespräch mit Landwirtschaftsminister Claude Haagen, der seinen Parteikollegen Romain Schneider erst im Januar 2022 ablöste. Ende Oktober kam es zum Austausch zwischen dem Minister, zwei Vertreter*innen der Administration des services vétérinaires und den Tierschützer*innen.

Mit am Tisch saßen unter anderem Liliane Ferron, Vizepräsidentin der „Lëtzebuerger Déiereschutzliga“ (LNPA), und Sacha André, Präsident des Schifflinger Tierschutzvereins (Apas). Das Landwirtschaftsministerium bezeichnete die Diskussion in einem Presseschreiben als konstruktiv. Ferron und André bestätigen diesen Eindruck des Ministeriums gegenüber der woxx. „Wir wurden gehört, wir konnten unsere Bedürfnisse kommunizieren und auf die strukturellen Probleme hinweisen, die wir besonders im Norden des Landes feststellen“, resümiert André das Treffen mit Haagen in einem Telefongespräch mit der woxx im Oktober. „Der Minister hat uns seine Unterstützung zugesichert.“ Ferron hatte nach dem Austausch mit Haagen den Eindruck, alle würden sie an einem Strang ziehen, dasselbe Ziel verfolgen: das Tierwohl.

„Das ist für uns eine Katastrophe“

So hat Haagen den Tierschutzorganisationen versichert, es gebe Bestrebungen, einen geeigneten Ort für ein Tierheim im Norden des Landes zu finden. Konkreter sei es laut André noch nicht geworden. Der Bau eines einzigen Asyls löst die Probleme der Tierschützer*innen jedoch nicht, so viel ist klar. Ferron bezeichnet die derzeitige Situation als „ganz schlimm“. Die Zahlen, die die Tierschutzorganisationen im Juli vorlegten, sprechen für sich: Allein im Düdelinger Tierheim liegt die Auslastung bei den Katzen bei 108 Prozent, bei den Hunden bei 175 Prozent. Zwölf bis vierzehn Hunde standen Ende Juli auf der Warteliste. „Die bestehenden Tierheime könnten ihre Kapazitäten verdoppeln und das würde trotzdem nicht ausreichen, um die betroffenen Tiere adäquat unterzubringen“, gibt André zu bedenken. Ferron und er führen die Situation unter anderem darauf zurück, dass Menschen zu leicht an Haustiere kommen, beispielsweise über soziale Netzwerke.

Nicht alle Organisationen oder Vermittler*innen achteten ausreichend auf die Kompatibilität zwischen Mensch und Tier; die wenigsten könnten die Tiere zurücknehmen, wenn es nicht passt. Das treffe besonders auf Organisationen zu, die Tiere aus dem Ausland importieren. „Das gilt nicht für alle Tiere, aber einige landen am Ende in Luxemburg im Heim – es ist ein Teufelskreis“, sagt Ferron. Die Lage habe sich seit den Ausgangssperren im Zuge der Coronapandemie verschlimmert. Viele Menschen hätten sich Tiere angeschafft, die sie jetzt nicht mehr betreuen könnten. Jeden Tag erhält Ferron mehrere Anrufe von Menschen, die ihr Haustier abgeben wollen. „Ich befürchte, dass sich die Situation durch die Energiekrise verschärft“, vermutet André. „Ich kann nicht voraussehen, wo wir Ende des Jahres stehen, wir müssen die Entwicklungen beobachten.“ Vor allem finanziell schwache Haushalte könnten sich zur Abgabe ihrer Tiere gezwungen sehen.

Copyright: woxx/Isabel Spigarelli

Ein großes Problem der Tierschutzorganisationen sei zudem die mangelnde Kastration und Sterilisation von Katzen. Die daraus resultierende unkontrollierte Vermehrung stellt die Organisationen, die die Kosten für freilaufende und abgegebene Tiere übernehmen, vor finanzielle Schwierigkeiten. Im Düdelinger Tierheim waren Anfang des Jahres über 50 Prozent der erwachsenen Katzen nicht kas-
triert oder sterilisiert, 72 Prozent von ihnen hatten immerhin den gesetzlich verordneten Erkennungschip. André machte bereits 2014 in einer Petition für die Kastrations-, Sterilisations- und Kennzeichnungspflicht auf die Situation aufmerksam. Zwar ist all dies für Kater und Katzen seit 2018 im Gesetz verankert, aber die Lage ist weiterhin angespannt. Die Apas, die André präsidiert, gab letztes Jahr 35.000 Euro für die Kastration und Sterilisation von Hunden und Katzen aus. Weitere 45.000 Euro gingen für allgemeine medizinische Behandlungskosten von 579 Tieren drauf. Der Staat übernahm 30.000 Euro der Gesamtkosten. Beim „Privaten Déiereschutz Niederanven“ beliefen sich die Kosten für die Kastration und Sterilisation der 1.162 betreuten Tiere 2021 auf 160.000 Euro. Die Tierschutzorganisationen wünschen sich Unterstützung der Gemeinden, denn die sei nicht immer gegeben. „Das Ministerium kann dagegen wenig ausrichten, wurde uns mitgeteilt, da die Gemeinden autonom sind“, sagt André über den Austausch mit Haagen. „Wir müssen den Dialog mit den Gemeinden also weiter vorantreiben.“ Ein weiterer Aspekt in Sachen Vermehrung lässt tiefer blicken, was die Anwendung des reformierten Gesetzestextes angeht. Ferron erwähnt Privatpersonen, die zu Gewinnzwecken Tiere züchten und weiterverkaufen, ohne die gesetzlich vorgeschriebene Erlaubnis. Das Gesetz sei nicht streng genug beziehungsweise würden einige Punkte nicht ausreichend umgesetzt.

Die Regierung feierte das Tierschutzgesetz 2018 als großen Erfolg und als das progressivste Europas. Widerstand gab es eher wenig (woxx 1479). Immerhin trübte der Mouvement écologique die Freude damals mit dem Einwand, das Gesetz sei an vielen Stellen, zum Beispiel im Hinblick auf die Nutztierhaltung, zu unpräzise. Vier Jahre nachdem das neue Gesetz in Kraft getreten ist, erzählt Ferron von teilweise langwierigen Prozessen gegen Halter*innen, die ihr Tier misshandelten. Die Tiere würden in der Regel nach einer Kontrolle durch die Administration des services vétérinaires, die Polizei und Vertreter*innen des Tierschutzes von den Autoritäten konfisziert und in einem Tierheim untergebracht, bis das Urteil gesprochen sei. Bis dahin sind den Tierheimen die Hände gebunden, denn die Tiere dürfen nicht zur Adoption freigegeben werden. Manche Tiere bleiben zwei Jahre, müssen danach manchmal aufgrund der Freisprechung der Beschuldigten in die Haushalte zurückkehren, in denen sie Gewalt erfahren haben. „Das ist für uns eine Katastrophe“, sagt Ferron. Die temporäre Unterbringung im Asyl ist zudem nicht für alle Tiere eine Option, da die Strukturen überlastet sind. André erinnert sich an einen Fall, in dem die Autoritäten das Tier erst nach über einem Jahr aus seiner Situation befreien konnten. „Vor allem bei Hunden sind unsere Kapazitäten aufgebraucht. Unsere Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt und das ist besonders bei akuten Fällen nicht evident“, räumt er ein.

„Wir versuchen keine Zeit zu verlieren“

Snapwire/Pexels

Seit 2018 kam es zu 958 Kontrollen durch die Administration des services vétérinaires. Das Landwirtschaftsministerium teilt auf Nachfrage der woxx mit, dass Kontrollen, die das Tierwohl zum Gegenstand haben, prioritär abgearbeitet werden. Es sei noch nie zu Verzögerungen gekommen, doch verlangten entsprechende Kontrollen dem Personal immer mehr Zeit ab. Bisher sei ein tatsächlicher Verstoß gegen das Tierschutzgesetz in nur 20 Prozent der Fälle nachweisbar gewesen. Am häufigsten handele es sich dabei um ein fehlendes Überdach beziehungsweise um die unangemessene Unterbringung der Tiere. Die erhöhte Anzahl der Kontrollen spiegelt sich auch in den Zahlen, die die Administration judiciaire der woxx per Mail vorgelegt hat. Seit der Reform des Tierschutzgesetzes eröffneten die Gerichte mehr Dossiers als zuvor. Im Vergleich: 2017 verfolgte die Justiz sechs Dossiers in Sachen Tierrecht, ein Jahr später waren es 18. Im Jahr 2019 wurden 24 Dossiers eröffnet, letztes Jahr waren es 16. Wie oft es am Ende zum Urteil kam, konnte Diane Klein, Sprecherin der Administration judiciaire, der woxx nicht sagen. Dafür müsse jedes Dossier einzeln untersucht werden, was einen immensen Zeitaufwand mit sich bringe. Ob die zunehmenden Dossiers mit der Reform des Tierschutzgesetzes und der damit verbundenen Sensibilisierung der Bürger*innen zusammenhängt, ist schwer zu beantworten. Ferron, die seit über fünfzehn Jahren im Tierschutz aktiv ist, stellt weder einen Anstieg noch einen Rückgang der Gewalt gegen Tiere fest, André stimmt ihr zu.

Das heißt im Umkehrschluss, dass die Internetseite der Regierung zum Tierschutzgesetz (deiereschutzgesetz.lu) und die Debatten rund um den Tierschutz in privaten Haushalten nur bedingt Wirkung zeigen. Auch eine zweite Petition von Sacha André für einen nationalen Plan zur Umsetzung des Tierschutzgesetzes und zur Sensibilisierung der Bevölkerung stieß auf wenig Interesse in der breiten Bevölkerung. Die Petition lief im August ab, erhielt 1.234 der 4.500 notwendigen Unterschriften zur Debatte in der Abgeordnetenkammer. Landwirtschaftsminister Claude Haagen soll den Tierschützer*innen hingegen seine Unterstützung zugesprochen haben. In naher Zukunft soll es eine landesweite Kampagne geben, die allgemein über das Tierschutzgesetz informiert und spezifisch über Kastration sowie Sterilisation von Katzen aufklärt. Ferron steht hinter dem Vorhaben, gibt aber zu: „Ich bin zu lange im Tierschutz aktiv, um große Hoffnungen zu haben. Wenn wir damit zwei von zehn Menschen zum Umdenken bewegen, haben wir schon viel erreicht.“

Die Tierschutzorganisationen selbst denken außerdem darüber nach, einen Dachverband zu gründen. „Die Tierschutzorganisationen sollten sich über diesen Anlass hinaus öfter gemeinsam an einen Tisch setzen. Eine zentrale Anlaufstelle würde den Dialog mit den Gemeinden und dem Ministerium vereinfachen; den Bürgerinnen und Bürgern eine Anlaufstelle bieten“, sagt André. „Die Frage ist nur: Ist ein solcher Zusammenschluss möglich, ohne an Autonomie einzubüßen? Das wollen wir herausfinden und das braucht Zeit.“ Zeit, die begrenzt ist, denn nächstes Jahr stehen Wahlen an – und die könnten einen Wechsel an der Spitze des Landwirtschaftsministeriums bedeuten. Für André ist das neben dem Tierwohl ein weiterer Anlass, die einzelnen Baustellen schnell anzugehen. Seit 2018 gab es drei Landwirtschaftsminister: Fernand Etgen, Romain Schneider, Claude Haagen. Das Dossier Tierschutz sei in den letzten Jahren durch viele Hände gegangen, dabei sei Kontinuität wichtig. „Es würde vieles erleichtern, wenn es über zwei Amtsperioden hinweg denselben Minister gäbe“, sagt André. „Wir versuchen jedenfalls keine Zeit zu verlieren. Wir sollten bis zu den Wahlen einiges vorweisen können. Sollte es einen Wechsel im Landwirtschaftsministeriums geben, können wir dann gut vorbereitet in die nächste Legislaturperiode einsteigen.“


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