Düster und märchenhaft zugleich: Mit der umfangreichen Ausstellung „Tektonik‟ des deutschen Malers Titus Schade präsentiert die Konschthal Esch eine von architektonischen Alltagsgegenständen belebte Parallelwelt.

Im Schatten des Torbogens steht eine Reihe angezündeter Kerzen. Detail aus dem Bild „Der Frachtenkran“. (Copyright: Titus Schade)
Einen Namen hat die Welt nicht. Die Titel auf den Schildern unter den Bildern enthalten nur kurze Beschreibungen: „Die kalte Stadt‟, „Das Regal‟, „Feldturm im Gewitter‟ oder einfach „Vollmond‟. Auf den ersten Blick mögen die sachlich gehaltenen Titel treffend sein, zeigen die ausgestellten Ölgemälde doch wenige Elemente auf: Flache Fachwerkhäuser säumen leerstehende Gassen, dunkle Hinterhöfe liegen scheinbar verlassen da und in den weitreichenden Himmeln türmen sich lediglich Gewitterwolken auf.
Schnell fallen einer*m jedoch einzelne beunruhigende Elemente auf. Auf den Straßen finden sich unangezündete Scheiterhaufen, im Hintergrund eines anderen Bildes reckt sich ein Vulkan bedrohlich in die Höhe, in einem weiteren ruht ein Panzer in einer Garage. Eins haben die über 70 Gemälde, Gravuren und zwei Installationen, mit denen die Escher Konschthal die erste große monografische Ausstellung des Künstlers außerhalb Deutschlands vorstellt, alle gemeinsam: In der eklektischen, von Schade zum Leben erweckten und von der unseren losgelösten Welt spielen nicht Menschen, sondern die Architektur die zentrale Rolle.
Gleich am Anfang der Ausstellung etwa, mitten in einem etwas abgesetzten Raum, drehen sich gemächlich die Windräder einer schwarzen Holzmühle. Zu der düsteren Atmosphäre trägt auch die gelungene Kuration bei, denn die Gemälde hängen in Dunkelheit gehaltenen Sälen. Und in diesem Zwielicht kontrastieren durch Holzbalken verschachtelnde Riegelhäuser mit sozialistischen Plattenbauten und silbrigen, außerirdisch erscheinenden Skulpturen.
Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Stockwerke und sechs Räume. Jedes einzelne Werk trägt zur Inszenierung einer Kulisse bei, die trotz dem Vorhandensein alltäglicher Gegenstände, denen wir vor der Haustür begegnen könnten, nur bedingt etwas mit unserer Welt gemeinsam hat. Die Idee einer malerischen Parallelwelt schwebte dem in Leipzig lebenden Künstler schon gegen Ende der 2000er-Jahre während seines Studiums an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig vor. „Ich hatte damals schon ein gewisses Bild von dieser Welt, von der Lichtstimmung etwa und der Dunkelheit darin. Die war mir von Anfang an sehr wichtig ‒ auch, damit die Gebäude, die mir vorschwebten, plastisch hervorstehen würden‟, erklärt Schade im Gespräch mit der woxx.
In den darauffolgenden Jahren haben sich weder die Motive der kargen von Mondlicht erhellten mystischen Landschaften noch die wiederkehrenden Altbaugebäude und visuellen Räume groß verändert. Dagegen ist die Malweise kantiger geworden, ab 2012 experimentiert der um Kontrast bemühte Künstler mit Klebeband und schwarzen Hintergründen. Die Fluchtlinien werden zackiger und die Hintergründe flacher.
Eine Welt in einer Welt
Einem Modellbauer gleich spielt Schade, der ein Semester lang Architektur studierte, mit Perspektiven und Proportionen, sodass einen seine Welt förmlich umgibt und man das Gefühl hat, in sie eintreten zu können. Dazu benutzt der Künstler verschiedene Techniken, etwa die aus dem Mittelalter stammende und in Werbungen beliebte Technik der Mise en abyme um Bilder in Bilder zu wiederholen. Nicht selten stehen die gemalten Gebäude auch auf realistisch abgebildeten Regalen oder Tischen, als handele es sich bei den Häusern um illusionistische Miniaturen. 2021 beginnt der Künstler seine Trompe-l’Oeil Fliesenbilder: weiß-blaue Fliesen, auf denen die alternative Welt abgebildet ist. Die inszenierte Herangehensweise schafft dabei gekonnt eine Spannung und regt zum genaueren Hinschauen an.
„Es gibt Bilder, wie zum Beispiel die von Gerhard Richter, die den Betrachter durch ihre Oberflächen verführen. Ich möchte mit meinen Arbeiten dagegen neuen Raum öffnen‟, so der Maler. Einen „eingefrorenen Moment‟ stellen sie dar, „wo das, was nicht da ist, genauso wichtig ist, wie das, was gemalt wurde.‟
Die Suche nach versteckten Elementen in den detailreichen Gemälden verschafft ein fast kindliches Vergnügen. Denn trotz der Leere, die von den Bildern ausgeht, deuten hier und da einige (wenn auch wenige) Lebenszeichen auch auf eine menschliche Präsenz hin: Immer wieder tauchen beispielsweise Kerzen auf, die noch brennen oder gerade ausgegangen sind. Auf anderen Bildern schmücken Graffiti von schnurrbärtigen Männern die Häuserwände. Und aus einer pechschwarzen Garage blicken schmale Autoscheinwerfer den Besucher*innen wie Katzenaugen nach.
Einen Menschen sucht man jedoch vergeblich. Die gezielte Abwesenheit menschlicher Figuren sei irgendwann eine bewusste Entscheidung gewesen. „Der Blick haftet ansonsten auf dem Bildpersonal. Genau das wollte ich jedoch vermeiden‟, sagt Schade. „Ich bemühe mich darum, dass sich die Betrachter mit dem Bildraum auseinandersetzen und selbst zu den handelnden Protagonisten auf meinen gemalten Bühnen werden.‟
Einfangen von Zeit

Die umfangreiche Ausstellung erstreckt sich auf mehrere Stockwerke. (Copyright: woxx)
Die theatralische Welt, die Schade über die Jahre hinweg erschaffen hat, fasziniert ‒ auch und vor allem, weil sie sich einer einzelnen Interpretation entzieht. Wohin führt beispielsweise eine Leiter, die mitten in einem Hof im Erdinneren verschwindet? Wofür ‒ oder für wen ‒ sind die Scheiterhaufen gedacht, die sich der Reihe nach auf den gepflasterten Straßen anordnen? Deuten die Fliesen und wiederholte Abbildungen von Fachwerkhäusern auf eine alternative, von Häusern faszinierte Gesellschaft hin? Antworten liefert die Ausstellung nicht.
Seine Werke sieht der Künstler, der während des Malens die Tagespolitik im Inforadio hört, als apolitisch und ordnet sie in keinen konkreten Zeitpunkt ein. Denn dem Maler liegt es an den unterschiedlichen Lesearten und verschiedenen Erinnerungen, die die Bilder hervorrufen, wenn man sie allgemeingültig hält, erklärt er gegenüber der woxx. Ein und derselbe gemalte Sachverhalt kann bei verschiedenen Betrachtern unterschiedliche Erinnerungen und Emotionen auslösen. Denn jeder liest das Bild für sich mit seinem subjektiven Bildgedächtnis und geprägt durch eigene Erfahrungen.
Die Faszination für architektonische Elemente und das Spiel mit den Perspektiven und Illusionen entstand aus dem Wunsch heraus, den Bildraum für die Betrachter*innen betretbar zu machen: Dass die detailreichen Bilder verschiedene Ebenen bieten, erlaubt es Betrachter*innen, sich Zeit zu nehmen, um in ihnen zu versinken. Dazu trägt auch der zeitlose Vortrag Schades gemalter Szenerien bei. Denn der für sich stehende „Privatkosmos‟, so der Maler, „hat in einem gewissen Sinne auch einen Ewigkeitsanspruch, und soll wenn möglich meine eigene Zeit überdauern und bestenfalls noch in Jahrzehnten berühren‟. Das Ergebnis ist ein integrierender Schauplatz, in dem bedrohlich wirkende Elemente in eine faszinierende Theaterkulisse geraten zu sein scheinen und in jedem Moment etwas geschehen könnte. Nimmt man sich beim Betrachten die Zeit, regen die Bilder auf wunderbarer Weise die Vorstellungskraft an.