Der diesjährige UN-Biodiversitätsgipfel endete Anfang November abrupt, doch mit einigen Fortschritten. Wie genau die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme und der Schutz der Artenvielfalt finanziert und kontrolliert werden sollen, bleibt jedoch weiterhin unklar.
Der 16. UN-Biodiversitätsgipfel (COP16) in Cali, Kolumbien begann mit dem Verfehlen von Zielen: Einer Recherche der Medien Carbon Brief und The Guardian nach reichten nur knapp 30 der 196 Mitgliedstaaten, darunter Luxemburg, vor Beginn des Cali-Gipfels am 21. Oktober ihre nationalen Pläne zum Eindämmen der Zerstörung der Biodiversität ein. Und am Ende der Konvention kam es bei zwei der größten Themen zu keinem Entschluss: Die Besprechungen über Finanzierung und Überwachungsregeln gingen zwar bis früh ins Morgengrauen, doch nach zehn Stunden Verhandlungen verblieben am 2. November nur noch weniger als die Hälfte der Delegierten in der Plenarversammlung. Den meisten war es aus Kostengründen nicht möglich gewesen, ihre Flugreisen umzubuchen, um länger zu bleiben. Ohne genügend Delegierte war die Versammlung nicht länger beschlussfähig und die COP16 endete abrupt.
Auf der Tagesordnung des Cali-Gipfels stand allen voran die Umsetzung und die Prüfung der Fortschritte der Ziele, die auf der COP15 Kunming-Montreal von 2022, gesetzt wurden. Unter anderem vereinbarte die „legendäre“ Vorgängerin-COP einen verringerten Einsatz von Pestiziden, jährliche Einzahlungen in der Höhe von 18 Milliarden Euro in den Globalen Biodiversität Fonds (GBFF), sowie das sogenannte „30 x 30“ (woxx 1716). Letzteres sieht die unter Schutzstellung von 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen bis 2030 vor. Bisher beläuft sich die Zahl auf jeweils 15 und sieben Prozent. Das Ergebnis der COP15 wird oft mit dem „Pariser Klimaabkommen“ verglichen. Doch es handelt sich bei der Abschlusserklärung von 2022 um einen Rahmentext und nicht um ein Abkommen, das von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss.
Trotz der knappen Zeit gab es während der COP16 einige Fortschritte, allen voran bei einem der Hauptziele der kolumbianischen Umweltministerin Susana Muhamad: die Stärkung der Rechte indigener Völkergruppen. Die Delegierten beschlossen die Errichtung einer eigenen Arbeitsgruppe zu Belangen indigener Völker. Auf kommenden Gipfen erhalten indigene Gruppen damit ein Mitspracherecht – bisher hatten sie lediglich eine Beobachterrolle inne.
Auch in einem weiteren umstrittenen Punkt kam es zu einem Kompromiss, wenn auch mit erheblichen Zugeständnissen. Um 5 Uhr des 2. Novembers wurde die „faire und gerechte“ Aufteilung der Gewinne aus digitalen genetischen Ressourcen (DSI) verabschiedet. Artenreiche Länder sollen so von ihrer Artenvielfalt profitieren können. Eine hohe Anzahl von Medikamenten, Kosmetika und Chemikalien beruhen auf Gensequenzen von Pflanzen und Tieren, die meisten von ihnen aus Ländern des sogenannten Globalen Südens. Ein Prozent des Gewinns und 0,1 Prozent des Einkommens der Firmen, die mit solchen Gensequenzen Geschäfte machen, „sollen“ in Zukunft in einen eigens dafür bestimmten „Cali Fonds“ einfließen. Visiert sind die Industrien in den Bereichen Pharmazeutik, Kosmetik, Landwirtschaft und Biotechnologie, deren Umsätze oft Milliarden ausmachen. Wurde der Fonds schon auf dem Montreal-Gipfel 2022 entschieden, blieben die Details zu den betroffenen Industrien und den einzuzahlenden Summen ungeklärt. Einen wichtigen Haken hat der Beschluss in Cali dennoch: Er setzt auf Freiwilligkeit.
Strapaziertes Vertrauen
Umso enttäuschter waren viele Delegierte und Umweltschutz-NGOs, dass es bei der zentralen Abstimmung schlussendlich zu keinem Entschluss kam. Ein Regelwerk mitsamt Kontrollmechanismen zur Umsetzung und Überwachung der auf dem Montreal-Gipfel gesetzten Ziele hätte beschlossen werden sollen. Auch bezüglich der Finanzierung gab es keine konkreten Fortschritte. Laut dem Kunming-Montreal-Rahmen sollen bis 2025 jährlich 18 Milliarden Euro und bis 2030 rund 28 Milliarden Euro pro Jahr in den GBFF eingezahlt werden. Damit soll der weltweite Erhalt und die Wiederherstellung der Ökosysteme finanziert werden. Hier besteht zur Zeit eine Lücke von rund 652 Milliarden Euro. Auf dem Cali-Gipfel verweigerte die Mehrheit der reichen Länder aus dem Globalen Norden jedoch weitere Zusagen. Auch der Vorschlag eines neuen Fonds für den Artenschutz wurde von reicheren Mitgliedern wie Japan, Frankreich oder der EU konsequent abgelehnt. Ein neuer Fonds, so die Erklärung, vergeude bloß Zeit. Ein Argument, das auch CSV-Umweltminister Serge Wilmes am vergangenen Montag im Interview mit Radio 100,7 wiederholte.
Länder aus dem Globalen Süden monierten, der GBFF werde vom Globalen Norden dominiert, der Zugang zu dem Geld sei schwer. An der Aufstellung eines neuen, für den Erhalt der tropischen Regenwälder spezifischen Fonds von 125 Milliarden US-Dollar – in Form von Anleihen – zeigten sich allerdings einige Staaten wie Deutschland oder die USA interessiert. Dieser soll 2025 auf der 30. Klimakonferenz, die in Belém, der größten Stadt im brasilianischen Amazonasbecken stattfinden soll, besprochen werden.
Prioritäten setzen
Zunehmend wurde zudem die Frage der finanziellen Verantwortung aufgeworfen, auch hierzulande. Seit dem Umweltgipfel von 1992 in Rio de Janeiro, auf dem eine Reihe reicher Länder als „Spender“ visiert wurden, sind Mitglieder wie China oder die Golfstaaten ökonomisch vorangeschritten. Folglich, so die „Spender“ aus dem Globalen Norden, sollten diese verstärkt zum Biodiversitäts-Fonds beitragen. Dies unterstrich Wilmes vor Beginn der COP16 am 16. Oktober in der Chamber. Luxemburg selbst hat bisher 7 Millionen Euro für den GBFF versprochen. Im Gegensatz zu acht anderen gab die Regierung keine zusätzlichen Beiträge bekannt – obschon das Großherzogtum sich weiterhin für eine Unterstützung des Fonds aussprach. Insgesamt sind bisher 370 Millionen Euro zusammengekommen – weit weniger als die versprochenen 18 Milliarden. Gleichzeitig investieren einer Umwelt-NGO-Studie vom März 2024 nach europäische Banken rund 256 Milliarden Euro in Unternehmen, die kritische Ökosysteme gefährden. Sowohl neue Finanzierungsversprechen als auch konkrete Überwachungsmechanismen blieben gegen Ende der COP16 ungeklärt. Sie sollen erst in zwei Jahren auf der nächsten Biodiversitätskonferenz in Armenien auf der Tagesordnung stehen.
Trotz großer Worte auf internationaler Ebene und dem Nationalen Naturschutzplan (PNPN3, woxx 1783), der rechtzeitig vor Beginn der COP16 vorlag, wurde die Luxemburger Regierung von hiesigen Umwelt-NGOs scharf kritisiert. Die vorgeschlagene Reform des Naturschutzgesetzes (siehe News S. 3) und die Abschwächung des Schutzstatus des Wolfes stehen im Fokus der Kritik der NGOs. „Es mutet dann fast schon schizophren an, wenn man weiß, dass auf der Weltbiodiversitätskonferenz die Länder des Globalen Südens aufgefordert werden, sich verstärkt für den Schutz ihrer großen Raubtiere einzusetzen“, beklagt der Mouvement écologique in einem Presseschreiben vom 31. Oktober.
Von beispielsweise 570 Hektar mageren Flachlandmähwiesen, die laut PNPN3 bis 2030 wiederhergestellt werden sollen, sind bisher lediglich 10 Prozent restauriert worden. Insgesamt befinden sich zwei Drittel der Habitate in Luxemburg in einem ungünstigem Zustand, bei den heimischen Wildpflanzen und -tierarten sind es ganze 80 Prozent. Weltweit sieht die Lage nicht viel besser aus: Zwei Millionen Arten sind vom Aussterben bedroht. Wenn auf dem diesjährigen Cali-Gipfel wieder die Verzahnung der verschiedenen COPs (Klima, Biodiversität und Desertifikation) besprochen wurde, dann auch, weil Synergien zwischen Klima- und Naturschutzplänen sinnvoll wären. Ohne etwa die CO2-Speicherung der Böden oder der Regulierung des Wassers sind nicht nur die Lebensgrundlagen der Wildpflanzen und -tiere, sondern auch jene der Menschheit akut gefährdet.
Wir befinden wir uns laut einem UN-Bericht vom 26. Oktober auf dem Pfad einer Erderwärmung von 2,6 oder sogar 3,1 Grad. Kann die Natur ihre Zerstörung nicht länger ausbalancieren, geht sie auf Kriegspfad. Um die insgesamt 23 Ziele des Kunming-Montreal Rahmens einzuhalten, bleiben sechs Jahre. Die COP16 stand unter dem Zeichen des „Friedens mit der Natur“, doch nicht nur den Delegierten läuft die Zeit zum Friedenschließen davon.