Ein Drittel der Krone unter Naturschutz, um den Baum des Lebens zu retten? Für diese Vorgehensweise erntet die COP15 Beifall, sie klammert aber die Fragen nach Finanzierung und Systemwechsel aus.
Auf der COP15 CBD ging es nicht um Cannabidiol, sondern um die „Convention on biological diversity“. Die 15. „Conference of the parties“ hat am vergangenen Montag einen neuen Rahmen für das 1992 beschlossene internationale Abkommen verabschiedet. Die von vielen Beteiligten als Erfolg oder Teilerfolg bewertete Einigung stand im Zeichen von knackigen Formulierungen wie „30 by 30“ – für 30 Prozent (der Land- und Meeresfläche) bis 2030 (unter Schutz stellen). Eigentlich aber waren neue Maßnahmen für einen konsequenten Schutz der Biodiversität überfällig: Von den 2010 verabschiedeten 20 Aichi-Zielen (für 2020) war kein einziges erreicht worden.
Die jetzt beschlossenen Schutzziele sollen helfen, Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu bewahren, tragen aber auch zum Klimaschutz bei: In Zonen mit hoher Biodiversität wird auch relativ viel Carbon dauerhaft in Form von Biomasse gebunden. Allerdings greift das 30-Prozent-Ziel vielen zu niedrig. Das IPCC empfiehlt, im Sinne des Klimaschutzes 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche unberührt zu lassen, und auch viele Naturschutz-NGOs plädieren für ein Halbe-halbe zwischen Wildnis und Menschheit. Wie wirksam die Ausweisung von Reservaten wirklich ist, hängt vom – im Abkommen nicht festgelegten – Schutzstatus ab. In Luxemburg sind zum Beispiel 32 Prozent der Landesfläche als Schutzgebiet mit lockeren Auflagen ausgewiesen, nur drei Prozent genießen einen strengeren Schutz. Darüber hinaus warnt Greenpeace vor der im Abkommen vorgesehenen Möglichkeit einer „nachhaltigen Nutzung“ als Schlupfloch, um zerstörerische Aktivitäten fortsetzen zu können.
Viele Aspekte der internationalen Verhandlungen über die Biodiversität erinnern an jene über den Klimaschutz. So wird seitens des globalen Südens auf die historische Verantwortung der Industrieländer beim Artensterben hingewiesen und eine entsprechende finanzielle Unterstützung eingefordert. Allerdings ist bei der Senkung der CO2-Emissionen der Handlungsbedarf in den Entwicklungsländern im Prinzip wesentlich geringer. Beim Schutz der Biodiversität gilt umgekehrt, dass die meisten zu schützenden Arten und Ökosysteme sich im globalen Süden befinden – unter anderem, weil die „Entwicklung“ der Industrieländer die Naturräume plattgemacht hat. Außerdem gibt es, anders als bei den CO2-Berechnungen, bei der Artenvielfalt keine Äquivalenzen: Das Aussterben der Eisbären ließe sich nicht einfach durch ein Gedeihen der Nashorn-Populationen ausgleichen.
Naturschutz zum Schnäppchenpreis
Das wirft natürlich die Frage nach lokaler und globaler Verantwortung auf: Ist es überhaupt wichtig, den Bobësch zu schützen, wenn der Amazonas eine ungleich höhere Biodiversität pro Hektar aufweist? Vielleicht stünde eine Joghurtfabrik ja besser im urbanisierten Luxemburg als im ländlichen Griechenland? Doch die Option, im Namen der Weltgemeinschaft prioritär die Artenvielfalt im globalen Süden und in peripheren Regionen zu schützen, birgt auch die Gefahr neokolonialer Bevormundung. Dies umso mehr, als 80 Prozent der Biodiversität sich in den Lebensräumen indigener Völker wiederfinden, deren politisches Gewicht im Vergleich zu dem ihrer Landesregierungen noch einmal geringer ist. Eigentlich sollte der globale Norden zumindest weitgehend für die Schutzmaßnahmen im Süden aufkommen. Doch wie bei den Klimakonferenzen paart sich der Ehrgeiz des Nordens, was die Ziele betrifft, mit Geiz, wenn es um die Finanzierung geht. Der am Montag beschlossene Fonds war jedenfalls nicht der vom Süden geforderte große Durchbruch. Dass anstelle der öffentlichen eher auf private Geldflüsse, auch im Rahmen der industriellen Nutzung der Genvielfalt, gesetzt werden soll, ist ein weiterer Grund zur Skepsis.
Zwar verkündete die COP15, die Artenvielfalt werde ab 2030 wieder zunehmen – wie das allerdings bei fortschreitendem Klimawandel, sich verschärfenden internationalen Konflikten und einer unzureichenden Finanzierung realisiert werden soll, wurde ausgeblendet. Systemische Aspekte der Biodiversität wie Anpassung an den Klimawandel, Verringerung des ökologischen Fußabdrucks und Umstellung von Ernährung und Nahrungsproduktion wurden nur am Rande berührt. Zum Teil soll dies abgedeckt werden, indem Unternehmen ihren Impakt auf die Artenvielfalt dokumentieren.
Anders als manche Medienberichte suggerieren, waren es auf der COP15 nicht „geldgierige“ Länder des Südens, die eine Einigung erschwert haben, sondern die Wirtschaftslobbys und die zaudernden und knausernden Industriestaaten, die einen guten Kompromiss verhindert haben.