Wie hältst du’s mit der Revolution? Diese Gretchenfrage stellte sich nach 1917 auch für die Luxemburger Sozialistische Partei.
In Deutschland wurde die Frage bereits seit dem 19. Jahrhundert diskutiert: Sollte man auf einen revolutionären Umbruch setzen, der den Sozialismus bringen würde, oder in kleinen Schritten gesellschaftliche Reformen anstreben, die die Lage der Arbeiterschaft verbessern würden? In der Praxis zeigte sich, dass die Sozialdemokratie dort, wo sie auf kommunaler Ebene Wahlen gewinnen konnte, zu einer Reformkraft heranwuchs, die auf konstruktive politische Arbeit setzte statt auf Konfrontation. Dass es in der Sozialdemokratie aber zwei Flügel gab, einen revolutionären und einen reformistischen, wurde spätestens deutlich, als der Erste Weltkrieg ausbrach und in Deutschland die Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten für die Kriegskredite stimmte. Eine Minderheit der sozialdemokratischen Abgeordneten verweigerte jedoch ihre Zustimmung und forderte die Beendigung der annexionistischen Politik Deutschlands. Weil sie immer mehr in die Isolation geriet, gründete sie eine neue Partei: die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD). Das war der Anfang einer sozialistischen Partei links von der SPD.
Und in Luxemburg? „Wir stehen auf der äußersten Linken“, konnte man in der “Schmiede” lesen, der neuen gewerkschaftsnahen Zeitung, die im Herbst 1916 gegründet worden war. Dies war zwar der Ausdruck eines neuen Elan in der Arbeiterbewegung, doch revolutionär waren die Leute, die hier schrieben, dennoch nicht.
In einem “Katechismus des modernen Arbeiters”, den die Schmiede 1916 abdruckte, wurde dem Arbeiter die Grundzüge des auf dem Profitstreben basierenden kapitalistischen Systems erklärt. Der Mehrwert werde durch Arbeit geschaffen, doch die Betreiber der großen Betriebe würden ihn „in aller Gemütsruhe“ einstecken, „um neue Ausbeutungskapitalien zu schaffen oder in Luxus und Tand zu leben, wo diejenigen, welche diese Reichtümer geschaffen haben durch Fleiß und Arbeit, mit ihren Familien hungern müssen“. Auf die Frage, wie man dies verhindern könne, hieß es: „Es gibt zwei parallel laufende Wege, welche zu dieser Beseitigung führen. 1. Eine Mehrheit im Parlament zu erstreben suchen, welche zur Verstaatlichung dieser Betriebe zielt. 2. Die Arbeiterorganisationen so stark zu bilden und auszubauen, um dieser Mehrheit im Parlament als Stütze zu dienen und beizustehen im Moment der Verstaatlichung. Jeder Versuch, bevor diese Bedingungen erreicht sind, ist im Voraus aussichtslos, es sei denn, die Arbeiterklasse wäre mit den Waffen in der Hand vorstellig und überall, nicht allein in einem Staat, sondern auf dem ganzen Erdball.“[1]
Damit war die Richtung vorgegeben, und die sozialistische Basis in Luxemburg hielt sich anfangs an diesen Katechismus: Sie unterstützte ihre Zensus-Abgeordneten und setzte sich für das Aushandeln guter Bedingungen für die ArbeiterInnen in den Konflikten mit dem Patronat ein. Doch schon einige Monate später rechnete man sich „jener internationalen Partei“ zu, „die der marxistische Geist schuf und die er über das Elend und das Blut des Weltkrieges hinweg, zum Endsieg vorantreibt. Überall erwacht das klassenbewußte Proletariat; […] Auch in den luxemburgischen Arbeitskreisen feiern wir das Erwachen zum Klassenbewußtsein überall, von dem gewaltigen Escher Hütten- und Bergarbeiterverband bis zu der kleinsten hauptstädtischen Gewerkschaft, überall herrscht Kampfesstimmung.“[2]
Als im März 1917 in Russland die Revolution ausbrach, war in Luxemburg gerade der Block von liberalen und sozialistischen Politikern auseinandergebrochen. In den Worten der „Schmiede“: Die Volksmassen waren „gesonnen, mit der arroganten und intoleranten Hüttenherrschaft, welche das Land unter ihre schirmenden kapitalistischen Fittiche nehmen wollte, definitiv zu brechen.[3] In der Kesselfabrik Paul Wurth, bei den Gemeindearbeitern der Stadt Luxemburg und bei den TextilarbeiterInnen auf Schleifmühle brachen Streiks aus.
Und 1919, ein Jahr nach Ende des Krieges, hieß es: „Es lebe die russische Revolution! Es lebe die revolutionäre Befreiung des Proletariats! Es lebe die völkerbefreiende Internationale!“[4] Da stand die Sozialistische Partei aber gerade vor einer schwierigen Wahl: Die internationale Sozialdemokratie war von den sowjetischen Revolutionären aufgefordert worden, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Das implizierte aber sowohl, sich für den revolutionären Weg zu entscheiden, als auch, die sogenannten reformistischen Kräfte aus der Partei auszuschließen.
In derselben Ausgabe der Zeitung rief Lily Becker die Lokalsektionen der Partei, die für den Anschluss an die kommunistische Internationale waren, dazu auf, sich zu melden, damit sie sich zusammenschließen und einen gemeinsamen Sprecher für den nächsten Parteitag in Eyschen bestimmen könnten.[5] In Versammlungen positionierten sich auch alle Lokalsektionen der Partei zu dieser Frage. Dabei zeigte sich bereits, dass die Einschätzungen ganz unterschiedlich waren: So trat etwa die Escher Sektion für den Anschluss an die kommunistische Internationale ein, die Stadt Luxemburg dagegen lehnte ihn ab.
Auch in der „Schmiede” riefen zwar die einen: „[A]lle Ihr klassenbewußten Arbeiter, laßt euch nicht betören. Verteidigt die Diktatur des Proletariats, denn nur diese allein kann eure Forderungen realisieren. Schenkt den kapitalistischen Verleumdungen nur Verachtung. Tretet ein für eine wahrhafte, aufrichtige internationale Proletarierliga. Werdet Bolschewiken!”[6] Die anderen aber wiegelten ab: „[W]enn sogar einzelne Parteimitglieder auf dem Boden der russischen Sovjets stehen, so handelt es sich, bisher wenigstens, um individuelle Meinungen, die als solche zum Ausdruck in der ‚Schmiede‘ kamen.”[7] Im Januar 1921 kam es dann auf dem Parteikongress in Differdingen zum definitiven Bruch. Die, die nicht mit der reformistischen Linie einverstanden waren, gründeten eine neue, kommunistische Partei. Diese schuf sich mit der Zeitung „Der Kampf“ ein eigenes Presseorgan und nahm eine kompromisslos moskautreue Ausrichtung an.
Am Anfang hatte die neue Bewegung durchaus Zulauf. Als es ein paar Monate später zu massiven Entlassungen in den Eisenhütten kam, setzten ihre Adepten, inspiriert von der Arbeiterbewegung in Deutschland, alles auf eine Karte und riefen den großen Märzstreik im Süden des Landes aus. Damit begaben sie sich jedoch auf ein gefährliches Terrain. Die Betriebsbesetzungen sollten den Beginn von regelrechten Betriebsübernahmen darstellen, doch dieser Plan schlug fehl. Die Regierung wendete militärische Gewalt an, und der Streik musste nach drei Wochen abgebrochen werden. Nicht nur war damit das Prestige der Revolution untergraben, es wurden auch viele Mitglieder der neuen kommunistischen Partei des Landes verwiesen, weil sie nicht die Luxemburger Nationalität besaßen: Im „Kampf” klagte man: “Wir wollen es uns jedoch nicht verhehlen, daß wir infolge dieser gewaltsamen Ausweisungsaktion viele vortreffliche Genossen aus unseren Reihen verloren haben. Wir erinnern nur an die wackere, nie erlahmende kommunistische Propagandatätigkeit unserer deutschen Genossin Hey, die seit über zwanzig Jahren in Differdingen für die gute Sache gewirkt hat, unserer holländischen Genossen Wilhelm und Ketche Van Schaik, unserer italienischen Genossen Giovagnoli und Saviola. Wir haben ihn ihnen tatkräftige, erprobte Genossen und liebe Freunde und Kameraden verloren.”[8]
An der Frage, ob man Waffen und Handgranaten sammeln und zum Bürgerkrieg rüsten oder aber die Revolution auf später verschieben sollte, schieden sich die Geister. Die Kommunistische Partei war am Nullpunkt angekommen, viele Leute kehrten zurück zur Sozialistischen Partei. Im „Kampf“ bilanzierte man schonungslos: „Die KPL durchlebt aktuell eine Periode, die gekennzeichnet ist nach außen durch den politischen Niedergang, das Sinken ihres Ansehens und ihrer Anziehungskraft auf die Massen, und im Innern ausgefüllt mit heftigen und unfruchtbaren persönlichen Auseinandersetzungen. Es hat keinen Sinn, das zu verheimlichen.”[9]
Die Aktivitäten beschränkten sich in der Folgezeit immer mehr auf die Solidaritätsarbeit der “Roten Hilfe”, einer parteinahen Hilfsorganisation. 1928 hatte die KPL nur noch knapp 200 Mitglieder, von diesen stammten drei Viertel aus Italien.[10] Die kommunistische Episode war, so schien es, an ihr Ende gelangt. Doch 1928 wurde ein erneuter Versuch des Aufbaus einer Luxemburger kommunistischen, ebenfalls stramm den Moskauer Kurs einhaltenden Partei unternommen. Da hatte Stalin in der Sowjetunion bereits die ersten Säuberungen befohlen.
Dieser Beitrag zum Medienprojekt „1917“ wurde zuerst am 20.5.2017 in einer Tonversion auf Radio 100,7 ausgestrahlt. Mehr zum Medienprojekt auf 1917.woxx.lu.
[1] Katechismus des modernen Arbeiters, in: Die Schmiede, 30.12.1916, S. 3.
[2] Ebda.
[3] Die Signatur, in: Die Schmiede, 10.3.1917, S. 1.
[4] Für unsere russischen Brüder, in: Die Schmiede, 8.11.1919, S. 2.
[5] An die Ortsgruppen!, in: Die Schmiede, 15.11.1919, S. 4.
[6] K., J.P.: Bolschevismus ein Schlagwort?, in: Die Schmiede, 15.11.1919, S. 2.
[7] Sie lügen weiter, in: Die Schmiede, 29.11.1919, S. 1.
[8] Der weiße Ausweisungsterror, in: Der Kampf, 2.4.1921, S. 2.
[9] Die Krise unserer Partei, in: Der Kampf, 28.1.1921, S. 1.
[10] Vgl. Ruckert, Ali: Geschichte der Kommunistischen Partei Luxemburgs. Teil I, 1921-1946, Luxembourg 2006, S. 29-37.