Vortrag: Über das Geschäft mit den Herzchen

Die Autoren Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt sind am 21. Oktober in Luxemburg zu Gast und sie bringen mit: Kritik an Pseudo-Aktivist*innen und Neoliberalismus auf Social Media.

Wer kein „Like“ für Social Media übrig hat, sich aber für Netzfeminismus und Aktivismus auf sozialen Netzwerken interessiert, erhält von Nymoen und Schmitt Negativbeispiele à gogo. (Copyright: Pexels/Prateek Katyal)

Verstehen Sie nur Bahnhof, wenn jemand Ihnen von Reels, Influencer*innen und Stories erzählt? Oder sprechen Sie fließend Social Media? In beiden Fällen bietet sich die kommende Abendveranstaltung des Institut Pierre Werner an: Am 21. Oktober, um 19 Uhr, nehmen die Autoren Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt soziale Medien in einer „Influencer Late-Night-Show“ kritisch auseinander. Grundlage ihrer Darbietung ist ihr Sachbuch „Influencer: Die Ideologie der Werbekörper“, das letztes Jahr im Suhrkamp Verlag erschienen ist.

Ole Nymoen studiert Soziologie und Wirtschaftswissenschaften in Jena und arbeitet nebenbei als freier Journalist, unter anderem für die Wochenzeitung „der Freitag“. Schmitt ist Filmkritiker und führt seit 2011 den Youtube-Kanal „Die Filmanalyse“. In dem Podcast „Wohlstand für alle“ sprechen die beiden Männer über Geld und Ökonomie. In ihrer Analyse der sozialen Medien beschäftigen sie sich demzufolge intensiv mit den wirtschaftlichen Aspekten der sozialen Netzwerke und dem Einkommen ihrer bedeutendsten Nutzer*innen, den Influencer*innen.

Aktivist*in bis zum nächsten Trend?

Das Buch ist entsprechend gespickt mit Zahlen, die besonders Lai*innen schockieren dürften: 2019 offenbarte eine Studie aus der Werbebranche, dass deutsche Marketingexpert*innen Top-Influencer*innen bis zu 38.000 Euro pro Beitrag zahlen und 42 Prozent ihres Gesamtbudgets für Werbung durch Influencer*innen ausgeben. In einem anderen Kapitel zitieren die Autoren Studienergebnisse einer englischen Versicherungsfirma: „Vierzig Prozent aller Reisenden unter 33 Jahren (…) wählen ihr Reiseziel danach aus, ob sich dort schöne Fotos für soziale Medien knipsen lassen.“ Dabei würden sie vor allem die Posen von Reise-Influencer*innen mimen, die wohl „spezielle Filteroptik zum Kauf anbieten“, um ihre Bilder möglichst exakt nachahmen zu können.

Nymoen und Schmitt befassen sich in ihrem Buch aber nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch mit Aktivismus auf sozialen Netzwerken. Sie schreiben aus einer skeptischen Grundhaltung heraus und sind vor allem darauf aus, die Trittbrettfahrer*innen unter den aktivistischen Influencer*innen zu entlarven. Die Autoren reduzieren deren Beiträge vorwiegend auf kapitalistische Beweggründe, wenn sie schreiben: „Die gesellschaftlich relevanten Fragen sind für sie [die Influencer*innen] nur ein Vorwand, um sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken.“ Als Beispiel führen die Autoren Beiträge zur Black-Lives-Matter-Bewegung an. Viele Influencer*innen hätten diese mit einem Beitrag unterstützt, um sich selbst zu vermarkten und ihre Betroffenheit zu instrumentalisieren, ohne sich nachhaltig für anti-rassistische Belange zu interessieren. „Für jeden Tag des Jahres findet sich ein empowerndes Motto, das wenig Mühe kostet und viel Gratisapplaus bringt“, schreiben Nymoen und Schmitt kritisch.

In ihrem Sachbuch „Influencer: Die Ideologie der Werbekörper“ (Suhrkamp, 2021) nehmen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt die Protagonist*innen der Social Media kritisch unter die Lupe. (Copyright: Suhrkamp Verlag)

Ähnlich harsch gehen die beiden mit Influencer*innen und ihrem Umgang mit Geschlechterrollen ins Gericht. Sowohl Frauen als auch Männer würden immer strengeren Schönheitsidealen nacheifern. Die Sexualisierung des männlichen Körpers stelle eine Neuerung dar. Der moderne Netzfeminismus sei hingegen nur marginal auf den Plattformen vertreten, dominant sei weiterhin „das mystifizierte Bild der Frau, das durch den männlichen Blick definiert wird.“ Die Influencerinnen machten sich dieses zunutze, um sich als attraktive Werbekörper zu vermarkten.

Das „CID Fraen an Gender“ organisierte 2021 die Online-Konferenz „#nofilter? Influencer:innen zwischen Selbstinszenierung, Werbekörpern und Netzfeminismus“ zu ähnlichen Themen. Eingeladen waren damals Maya Götz, Medienwissenschaftlerin und Medienpädagogin, Josephine Drews, Gründerin der Social Media-Agentur femgmt sowie Yaya, luxemburgischer Influencer und Entertainer. Im Gegensatz zu Nymoen und Schmitt diskutierten die Gesprächsteilnehmer*innen neben Kritik an toxischen Schönheitsidealen auch die positiven Seiten der sozialen Medien. Es kam unter anderem zur Sprache, dass marginalisierte Personengruppen durch Influencer*innen und Profile auf sozialen Medien leichter einen Rückzugsort finden als in der Welt vor dem Handybildschirm. Auf der Internetseite des CID steht eine Aufzeichnung der Konferenz in deutscher Sprache mit französischen Untertiteln bereit.

Die Veranstaltung des Institut Pierre Werner wird jedenfalls keine Lobeshymne auf die sozialen Netzwerke, das verrät schon allein der Einladungstext auf der Internetseite des Instituts: „Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt analysieren an diesem Abend ein Phänomen, das viel über die stagnierende Wirtschaft sowie die Postdemokratie verrät und zum – heiteren – Kulturpessimismus einlädt.“ Der Besuch des Vortrags und die Lektüre des Buches eignen sich gerade deswegen besonders für Menschen, die persönlich nichts mit sozialen Medien am Hut haben, sich aber für die Mechanismen dahinter interessieren. Wer sich regelmäßig auf sozialen Medien herumtreibt, ein Profil und den Austausch mit anderen Nutzer*innen pflegt, dürfte auch auf seine Kosten kommen – vorausgesetzt man verträgt Kritik und ist bereit, sich selbst zu hinterfragen. Was außerdem für Nymoen und Schmitt spricht: Sie schreiben und sprechen mit Humor, nicht zu verkopft und setzen kein ausgiebiges Vorwissen über Social Media voraus. Zudem ist der Eintritt zur Veranstaltung in der Abtei Neumünster frei. Das Event findet in deutscher Sprache statt, eine Anmeldung unter billetterie@neimenster.lu ist erwünscht.

Influencer Late-Night-Show mit Ole Nymoen 
und Wolfgang M. Schmitt, am 21. Oktober ab 
19 Uhr in der Abtei Neumünster.

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