Worldmusik-Konzertsaison 2023/24: Musikalische Weltreisen 2023

In der kommenden Konzertsaison können in Luxemburg Klänge aus aller Welt genossen werden, doch leider nicht ohne unangenehmen Beigeschmack.

Hier bei der Musikmesse Womex, am 18. Oktober in der Philharmonie: Fadosängerin Lina. (Copyright: Willi Klopottek)

Der Beginn der neuen Musiksaison in den großen Häusern in Luxemburg steht bevor und der Vorverkauf hat teilweise schon begonnen. Was die Konzerte mit Weltmusik angeht, ist wieder einiges zu finden, allerdings sei nicht verschwiegen, dass der Umfang des Angebots geschrumpft ist und manche Veranstalter*innen konservativ auf „Altes und Bewährtes“ setzen, statt Neues zu wagen.

Der Marnacher Cube 521, der in der letzten Saison noch offene Ohren bewies, hat lediglich ein Ensemble mit Balkanmusik im Angebot, merkwürdigerweise vorgetragen von einer spanischen Gruppe. Das Ettelbrücker CAPE war auch schon deutlich interessanter aufgestellt, hat aber immerhin am 7. Oktober Lura im Programm: die in Portugal geborene Sängerin mit kapverdischen Wurzeln, die 1996 ihren ersten Tonträger herausbrachte und dazu beitrug, kapverdische Musik weltweit bekannt zu machen. Allerdings ist ihre letzte Platte auch bereits 2015 erschienen, wenn man von einer 3-Track EP vor fünf Jahren absieht.

Lusophone Musik

Was lusophone Musik angeht, wird das Publikum sowieso bestens bedient. Vor allem wer den Veranstaltungen nachspürt, die von den portugiesischen und kapverdischen Communities selbst – ohne großen Werbeaufwand – auf die Beine gestellt werden. Auch ist es immer sinnvoll, einen Blick auf die „atlântico“-Reihe der Luxemburger Philharmonie zu werfen. Im Zusammenhang mit dem Konzert im CAPE wird die Konzertsaison für Freund*innen lusophoner Musik dann jedoch fast zu einem Marathonlauf, bei dem sich viele überlegen werden, ob das nicht vielleicht doch zu stressig wird.

Daher meine Empfehlungen: Am 18. Oktober kann man im Kammermusiksaal der Philharmonie die portugiesische Fadosängerin Lina erleben, die vom renommierten spanischen Keyboarder und Produzenten Raül Refree begleitet wird. Refree sorgt mit dezenten Klangflächen, sparsamen Pianotönen und gelegentlichen, expressiven Synthie-Einwürfen für einen überwiegend minimalistischen Teppich, auf dem Lina – die manchmal auch etwas Elektronik hinzufügt – meist lautstärkemäßig ganz zurückgenommen, aber mit erstaunlicher Intensität die emotionale Essenz des Fado zelebriert. Etwas ganz Besonderes!

Am Folgetag, dem 19. Oktober, steht in der Philharmonie Cremilda Medina auf der Bühne, die von den Kap Verden kommt. Sie gehört zur jungen Generation kapverdischer Sänger*innen, die den melancholischen Morna und die beschwingten Formen, wie den Funaná, am Leben erhalten. Am 21. Oktober besucht zum wiederholten Male Gilberto Gil, der im Juni seinen 81. Geburtstag feierte, den Kirchberg. Auch wenn es die meisten wissen werden: Gil ist eine der Legenden moderner brasilianischer Musik mit klarer demokratischer Orientierung. Bereits in den 1960er-Jahren verband er brasilianische Tradition mit Rock und wurde so zu einem der Großmeister*innen der Música Popular Brasileira. Der Oktober in Luxemburg wird also lusophon.

Globale Sounds in der Philharmonie und mehr

Die Philharmonie hat zudem die Reihe „autour du monde“ im Angebot, die mittlerweile irgendwo im dicken Programmheft versteckt ist und nicht mehr gesondert ausgewiesen wird. In diese Rubrik gehört Chucho Valdés, der – damit es ja nicht zu langweilig wird in dem Monat – auch im Oktober, und zwar am 8., in die Philharmonie kommt. Valdés gilt als der größte kubanische Jazzpianist, der 1973 die legendäre Formation Irakere mitgründete, die bis heute als eine der innovativsten kubanischen Gruppen bezeichnet wird. Valdés, der mehrere Grammys für seine Alben erhielt, feiert am Tag nach dem Konzert seinen 82. Geburtstag.

Doch auch andernorts ist im Oktober etwas los: Am 11. Oktober gastiert in Düdelingen, Op der Schmelz, der afrikanische Großmeister Boubacar Traoré aus Mali. Der Gitarrist und Sänger hatte bereits 1963 seine ersten Hits in seiner Heimat. Seit 1990 beglückt er die internationale Weltmusikszene mit einem Stil, zu dem die meist problematische Bezeichnung „afrikanischer Blues“ tatsächlich passt – nicht zuletzt deshalb, weil er in Düdelingen von seinem langjährigen Kompagnon, dem herausragenden Harmonikaspieler Vincent Bucher begleitet wird.

Weiter geht es im November mit Abel Selaocoe. Der Sänger und Cellospieler aus Südafrika, der traditionelle Elemente mit expressivem Einsatz seines Instruments zu einer – gern auch dissonant klingenden – Jazz-Melange weiterentwickelt, ist am 6. November in der Philharmonie zu Gast. Am 5. Dezember tritt zum wiederholten Male Angélique Kidjo, die aus dem westafrikanischen Benin stammt, aber längst in New York zu Hause ist, in der Philharmonie auf. Sie galt Jahrzehnte lang als die größte afrikanische Sängerin und hat eine lange Liste an erfolgreichen Platten veröffentlicht. Das letzte Album von ihr mit klarem Bezug zur traditionellen afrikanischen Musik erschien allerdings 2013, wenn man vom 2021er Duett-Album mit hippen, jungen Afromusiker*innen absieht.

Kidjo, die gern und häufig als Repräsentantin Afrikas zu Galaveranstaltungen, wie zum Gipfel der Finanzkapitäne im Schweizer Davos eingeladen wird, hat in den letzten zehn Jahren vor allem ihre Liebe zum Experiment entdeckt. Nach einer Neueinspielung alter Stücke von ihr mit Gast Waltzings orchestralem Zuckerguss, coverte sie ein komplettes Album der US-New-Wave-Band Talking Heads, spielte danach Stücke der Salsa-Diva Celia Cruz nach und hat jetzt kürzlich mit dem franko-libanesischen Jazztrompeter Ibrahim Maalouf aufgenommen. Letzterer tritt übrigens vier Tage später, am 9. Dezember im gleichen Hause auf. Kidjo kommt derweil mit Yo-Yo Ma, dem berühmten US-amerikanischen Cellisten, nach Luxemburg. Der hat sich auch mit seinem Silk Road Ensemble einen Namen gemacht als jemand, der ein großes Faible für asiatische Musik hat. Was Angélique Kidjo dem Publikum zusammen mit Yo-Yo Ma servieren wird, kann man nur erahnen.

Im neuen Jahr dann, verschoben auf den 4. Februar 2024, steht Sona Jobarteh auf der Bühne auf Kirchberg. Die Musikerin kommt aus England, stammt aber aus einer Griot-Familie im westafrikanischen Gambia und gilt als erste Frau, die auf der imposanten Stegharfe Kora brilliert. Sehr zu empfehlen! Anzumerken bleibt, dass sie bereits im Januar dieses Jahres im Marnacher Cube 521 aufgetreten ist und auch schon 2019 in der Philharmonie zu hören war. Kein Problem eigentlich, wenn es nicht so viele andere hörenswerte Weltmusik-Acts gäbe, die hier niemand bucht.

Wenn ein Land in der ganzen Welt damit angibt, dass sich in ihm die Kulturen von Menschen aus 170 Nationen träfen und befruchteten, dann ist es vollkommen unverständlich, dass in genau diesem Land die Anzahl der Konzerte mit Musik aus diesen Nationen in den öffentlich geförderten Kulturhäusern zusammengestrichen wird. Die klammheimliche Löschung des MeYouZik-Festivals während der Pandemie war offenbar nur der Auftakt dafür. Der abgenutzte Satz „Weniger ist mehr“ ist fast immer Unfug – in der Kultur stimmt er nie!

Ein weiteres Charakteristikum der großen Häuser ist, zu einem erheblichen Teil immer dieselben – wenn auch durchaus empfehlenswerten – 
Künstler*innen (Gil, Kidjo, jetzt auch Jobarteh) einzuladen; am liebsten solche, die mindestens 60 Jahre alt sind. Dabei gibt es Alternativen. Zahlreiche Agenturen mit erstklassigen Musiker*innen vom ganzen Globus im Programm klagen seit Langem, dass sie bei luxemburgischen Veranstalter*innen keinerlei Gehör finden.

Last, but not least, gibt es immerhin in der Escher Kulturfabrik und im Atelier in Luxemburg-Stadt zwei Veranstaltungen mit Acts, die jünger sind. Am 19. Oktober, natürlich mal wieder im Oktober (wann denn auch sonst?), kann man in Esch die südafrikanische Gruppe BCUC erleben. Das Ensemble kommt aus Soweto, zeichnet sich durch große Experimentierfreude aus und wird zehn Tage später auf der Weltmusikmesse Womex im westspanischen A Coruña mit dem Artist Award 2023 geadelt werden. Am 30. November lohnt es sich ins Atelier zu gehen, wo die malische Sängerin und Schauspielerin Fatoumata Diawara ein Konzert geben wird. Sie hat gerade ein Album herausgebracht, auf dem sie überwiegend treibenden Afro-Pop präsentiert.

Wie man sieht, ist der Oktober der Weltmusiklieblingsmonat der Veran-
stalter*innen, dann flaut es deutlich ab. Was das nächste Jahr angeht, sieht es bisher übrigens gar nicht gut aus. Vielleicht kommt da ja noch etwas? Wünschenswert wäre das allemal.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.