Zehn Jahre InfoMann: „Männer müssen sich emanzipieren“

Ein ganzes Jahrzehnt ist vergangen, seit das damalige Gleichstellungsministerium die Gründung der Beratungsstelle InfoMann veranlasste. Wir haben mit zwei aktuellen Mitarbeitern über ihre Arbeit und über ihre Zukunftswünsche gesprochen.

Francis Spautz (l.) ist Psychologe und Leiter der Beratungsstelle Infomann; Alex Carneiro ist Sozialpädagoge. (Copyright: woxx)

woxx: In einer Pressemitteilung, die sie letzte Woche verschickten, sprachen Sie negative Vorurteile gegenüber InfoMann an. Sie benutzten die Begriffe „malentendus“, „moqueries“ und „animosités“. Können Sie ein wenig ausführen, was Sie damit meinten?


Francis Spautz: Seit der Gründung von InfoMann bin ich immer wieder, sowohl hier im Viertel (gemeint ist Bonneweg; Anm. d. Red.) als auch in meinem Bekannten- und Freundeskreis, auf sehr unterschiedliche Reaktionen gestoßen. Die einen begrüßten die Existenz eines Beratungszentrums für Männer. Für sie waren wir eine Art Lobby für scheidungsgeschädigte Männer. Auf der anderen Seite wurde InfoMann aber auch immer wieder belächelt. Die Haltung dahinter: Endlich kümmert sich jemand um die armen geschlagenen Männer. Diese punktuellen Reaktionen gaben uns zu denken. Es ist eine große Herausforderung, den Existenzgrund einer Männerberatungsstelle sowie von Jungen- und Männerarbeit zu vermitteln. Man muss sich immer wieder aufs Neue rechtfertigen. Hinzu kommen Kunden, die eine falsche Auffassung dessen haben, was wir machen. Die glauben dann etwa, wir hätten im Rahmen ihrer Scheidungsprozedur einen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts.

Die negativen Vorurteile beschränken sich also auf einzelne Aussagen und Haltungen? Auf ihre Arbeit beziehungsweise die Nachfrage haben sie sich bisher nicht ausgewirkt?


F. S.: Nein, über die Nachfrage können wir uns wirklich nicht beklagen. Wir bieten jährlich rund 200 Männern eine psychologische Betreuung an und auch unser pädagogisches Angebot ist sehr gefragt. Bei Beratungsstellen, die sich sowohl an Frauen als auch Männer richten, fragen Letztere verhältnismäßig weniger nach Hilfe. InfoMann wurde gerade deshalb gegründet, um dieser Dynamik entgegenzuwirken, und wir sehen, dass es funktioniert.

Bei der Gründung von InfoMann soll es auch Backlash aus feministischen Kreisen gegeben haben. Stimmt das?


F. S.: Ja. Es wurde befürchtet, dass Gelder, die in die Frauenförderung investiert werden könnten, nun Männern zugutekommen würden. Das habe ich zumindest immer wieder gehört, direkt an mich herangetragen wurden diese Befürchtungen jedoch nie. Ich weiß auch nicht, ob es sich dabei unbedingt um Feministinnen handelte. Ich habe auch nie mitbekommen, dass das Gleichstellungsministerium, bei dem wir konventioniert sind, wegen uns jemals in einem Zwiespalt gewesen wäre.

„Männer müssen lernen, sich nicht gegen emanzipierte Frauen zu wehren, sondern gegen ihr Selbstverständnis als Mann.“

In erwähntem Presseschreiben war zu lesen: „De manière générale il faut reconnaître que les personnes sont rares à saisir d’emblée la raison de l’existence d’un service comme infoMann“. Diese Kritik geht schon weiter als das, was sie bisher gesagt haben. 


F. S.: Die Aufgabe von InfoMann besteht darin, Männer in Not zu unterstützen. Weil sie etwa Schwierigkeiten bei der Arbeit oder in der Familie haben, weil sie sich einsam fühlen oder unter Angst leiden. Diese Männer haben nicht unbedingt das Bedürfnis, die bestehenden Geschlechterverhältnisse zu reflektieren. Und doch halten wir sie dazu an, sich ihrer Rolle und Verantwortung in ihrer aktuellen Lage bewusst zu werden, ihre Art und Weise, als Mann zu leben, zu reflektieren. Die Fragen im Zentrum: Was kannst du tun, um deine Lage zu verbessern? Was tut dir gut? Was tut dir nicht gut? Vielen Männern fällt es schwer, darauf eine Antwort zu finden. Sie sind sich ihrer Handlungsmöglichkeiten und Bedürfnisse oft gar nicht bewusst und haben Schwierigkeiten, diese zu artikulieren. Frauen haben gelernt, dies zu tun, um sich gegen die Dominanz patriarchaler Strukturen zu wehren. Männer müssen lernen, sich nicht gegen emanzipierte Frauen zu wehren, sondern gegen ihr Selbstverständnis als Mann. Sie müssen lernen, sich von einer verletzlichen Seite zu zeigen. Auf dieser Ebene arbeiten wir mit unseren Kunden. Darüber hinaus wäre es meiner Meinung nach wichtig, eine gesamtgesellschaftliche Debatte über diese Problematik zu führen. Es ist wichtig, dass Männer sich auch dann mit den genannten Fragen auseinandersetzen, wenn sie sich nicht gerade in einer akuten Notlage befinden. Wir leben in einer Gesellschaft, die mehr soziales Elend verursacht, als sie jemals durch das Schaffen von Strukturen lindern könnte. Es ist deshalb wichtig, dass der einzelne Mensch anfängt, stärker Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft zu nehmen, auch, aber nicht nur, in Bezug auf Geschlechterverhältnisse und genderbasierte Gewalt. Männer müssen sich emanzipieren.

Alex Carneiro: Ihre eigenen Ressourcen wahrnehmen und dann auch nutzen.

Liegt ein Teil der Schuld für das Ausbleiben einer solchen gesamtgesellschaftlichen Debatte möglicherweise beim Gleichstellungsministerium (Mega), weil dieses nicht genug für den Bedarf an Jungen- und Männerarbeit sensibilisiert?


F. S.: Im Gleichstellungsministerium fehlt es ganz klar an einer Abteilung für Jungen und Männer. Zurzeit investiert das Mega über 90 Prozent seines Budgets für Konventionen in Frauenbelange. Ich will nicht sagen, dass sie davon etwas abziehen sollten, um ein 50/50 Verhältnis herzustellen. Gäbe es aber eine Abteilung für Jungen und Männer, würde das Bewusstsein dafür erhöht, dass Bemühungen für Geschlechtergerechtigkeit sich nicht nur auf ein Geschlecht beziehen dürfen. Ich will damit keinesfalls sagen, dass man Frauen weniger fördern soll. Nur, dass das Mega einen Impuls setzen müsste. Sie müssen den Möglichkeitsraum öffnen, um überhaupt mal über Männlichkeit nachzudenken und zu reden.

Die wenigen Parteien, die sich für mehr Jungen- und Männerarbeit einsetzen, stammen aus der rechts-konservativen Ecke, so scheint es.


F. S.: Ja, das ist dieses typische Auf-die-eigenen-Rechte-pochen. Sobald Diskriminierung gewittert wird, geht’s in die Defensive. Dem könnte eine ökologische, nachhaltige, soziale Bewegung etwas entgegenhalten. Es wäre zum Beispiel zu erwarten, dass die Grünen in diesem Bereich Akzente setzen. Wenn wir über Entschleunigen, Wachstumsbegrenzung, Post-Growth, Kreislaufwirtschaft, Bioanbau, Gemeinschaftsgärten und so weiter reden, ist es leicht, einen direkten Zusammenhang zum Patriarchat herzustellen. Wenn wir wirklich demokratisch vorgehen – nicht durch repräsentative, sondern direkte Demokratie – dann gehen wir die Geschlechterfrage aktiv an. Das würde der ganzen Gesellschaft zugutekommen.

Da Sie gerade die Haltung erwähnt haben, sofort in die Defensive zu gehen, sobald man hinterfragt wird: Im Rahmen von Cancel-Culture-Debatten wird immer wieder eine solche Dynamik deutlich. Wie reagieren Sie als InfoMann darauf, dass immer mehr marginalisierte Menschen für ihre Anliegen eintreten und andere durch Angst vor Machtverlust umso aggressiver in die Defensive gehen?


A. C.: Wenn ich mit Jungen im Bereich der Gewaltprävention arbeite, versuche ich zu vermitteln: Deine Freiheiten hören da auf, wo die der anderen beginnen. Du hast das Recht, deine Meinung zu vertreten, nicht aber, den anderen zu verletzen.

F. S.: Männer müssen lernen, für sich einzustehen und nicht gegen etwas.

„Das Gleichstellungs-
ministerium müsste den Möglichkeitsraum öffnen, um überhaupt mal über Männlichkeit nachzudenken und zu reden.“

Im Pressecommuniqué schreiben Sie zudem, als InfoMann bisher nicht alles gemacht zu haben, was Sie sich ursprünglich vorgenommen hatten. Was meinen Sie damit genau?


F. S.: Wir haben uns damals am Cid Fraen an Gender orientiert und waren der Meinung, erst mal eine Bibliothek auf die Beine stellen und auch mehr in Recherche investieren zu müssen. Wir wollten zudem Reflektionsgruppen anbieten. Dafür fehlt es uns aber am nötigen Platz. Anfangs zählte InfoMann drei Mitarbeiter, jetzt sind es sieben.

Liegt der Grund dafür, dass Sie diese Pläne bisher nicht umsetzen konnten, auch an einem zu niedrigen Budget?


F. S.: Nein. Es liegt vor allem an mir, an einem Mangel an Initiativergreifung. Was den Platzmangel betrifft, könnte ebenfalls nach Lösungen gesucht werden. Zum Beispiel durch zusätzliche InfoMann-Beratungsstellen im Süden und Norden des Landes. Im Budget für nächstes Jahr haben wir einen Soziologie-Posten vorgesehen. So kommen wir zumindest dem Ziel, auch Recherchearbeit zu leisten, ein Stück näher.

Wie haben Sie, Herr Spautz, als jemand, der seit der Gründung von InfoMann dabei ist, denn die Entwicklung in den letzten zehn Jahren erlebt? Treten Männer heute mit anderen Problemen an Sie heran als damals?


F. S.: Das nicht. Was aber auffällt, ist, dass die Anfragen seit Pandemiebeginn stark angestiegen sind. Wir hatten damals, am 17. März, dazu aufgerufen, sich bei uns zu melden, wenn einem der Kragen zu platzen droht. Seither melden sich viel mehr Männer bei uns, die sagen: Ich spüre eine steigende Anspannung, ich werde wütend, ich entwickele Gewaltfantasien und ich habe Angst, etwas Schlimmes zu tun, ich will das aber nicht.

Hat diese Problematik zugenommen oder die Anfragen an InfoMann?


A. C.: Was zugenommen hat, ist das Bewusstsein, dass man sich in einem solchen Fall an uns wenden kann.

Bei Sensibilisierungskampagnen, die sich gezielt an Jungen und Männer richten, dominieren die Themen Care Arbeit und häusliche Gewalt. Sind diese Schwerpunkte gerechtfertigt? Wieso nicht auch mal eine Kampagne über Alltagssexismus oder Sexualität?


A. C.: Unsere Ressourcen sind begrenzt, deshalb müssen wir Schwerpunkte setzen. Das ermöglicht es uns auch, mehr in die Tiefe zu gehen.

F. S.: Bei den von Ihnen genannten Schwerpunkten geht es allgemein darum, das eigene Rollenverständnis zu überdenken und Verantwortung zu übernehmen. Das kann sich positiv auf alle möglichen Lebensbereiche auswirken. Was Alltagssexismus betrifft, könnte man aber gezielter für diese Problematik sensibilisieren, das stimmt. Im Einzelgespräch sprechen wir Sexismus durchaus an, aber vielleicht müsste das Problem auch mal im öffentlichen Raum thematisiert werden. Alltagssexismus ist meiner Meinung nach etwas, das vor allem vorkommt, wenn Männer sich untereinander treffen. Gerade in diesen Kontexten ist es wichtig, dass man sich für sexistische Aussagen gegenseitig zur Rede stellt.

Man muss dann aber auch wissen, was Sexismus ist. Je subtiler dieser ist, desto schwieriger, ihn zu erkennen.


F. S.: Männer müssen den Mut finden – und es braucht wirklich nicht besonders viel Mut, nur ein wenig Überwindung –, um solche Themen zuzulassen. Ich kann nur jeden Mann dazu ermutigen, InfoMann aufzusuchen, hier werden diese nämlich offensiv angesprochen.

A. C.: Dann kommen die eigenen Beweggründe auch mal auf den Tisch. Solche Dinge greifen wir auch in unseren Workshops mit Jungen auf.

Wie optimistisch sind Sie, dass Geschlecht irgendwann keine Rolle mehr spielen wird? Dass nicht mehr unterschieden wird zwischen Frauen, Männern und anderen Geschlechtern?


F. S.: Solange wir uns als Gesellschaft vom grenzenlosen Wirtschaftswachstum leiten lassen, wird sich an diesen Verhältnissen nichts ändern.

A. C.: Gekoppelt an die Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit. Die Frage, die Schwangeren immer als Erstes gestellt wird: Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Die relevantere Frage wäre dabei eigentlich: Wie geht es dir und deinem Nachwuchs? Das ist ein sehr langsamer Prozess. Betreuungs- und Lehrpersonal fängt allmählich an, sich damit zu befassen, welche Rollenbilder es durch die eigene Präsenz vermittelt. Kinder müssen die Möglichkeit haben, verschiedene Geschlechtsausdrücke in einem wohlwollenden Umfeld ohne Einschränkung auszuprobieren. Ohne dabei von Gendermarketing bombardiert zu werden.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.