Gelhausen Henry: Querdenken am Rande

Seine Meinung hat er nie versteckt – seit über 25 Jahre schreibt Henry Gelhausen Glossen und Satiren.

„Eigenständiges Denken macht einsam.“
Der Satiriker und Glossenschreiber Henry Gelhausen.
(Foto: Christian Mosar)

Der Glosse überlässt das Feuilleton einen spartanischen Platz. Abseits der aktuell bedeutenden Kulturthemen fristet sie ihr Dasein in den Spalten am Seitenrand. Über vermeintlich patriotische Ideale, Jubiläumsfeiern, Kleingartenfeste und mehr räsoniert sie mal humoristisch, mal satirisch. Sie spottet über das, was uns Klein- und GroßbürgerInnen heilig ist, treibt mit ihrer spitzen Feder die Leserschaft hie und da zur Weißglut. Sie kritisiert, polemisiert, entfaltet Wortspiel, Parodie und Ironie, wobei sie alles kurz und bündig in eine einfache Sprache fasst. Die Glosse zählt zu den schwierigsten literarischen Darstellungsformen, „gerade weil sie so leicht daherkommt“ wie ein journalistisches Handbuch feststellt. Deshalb fordert sie von ihren AutorInnen Scharfsinn und Sentenz.

Einer, der diese Schreibleistung immer wieder aufs Neue erbringt, ist Henry Gelhausen. Weit mehr als 25 Jahre lassen sich die „Gedankensprünge“ des Satirikers und Glossenschreibers in der einheimischen Wochenzeitung „d’Lëtzeburger Land“ zurückverfolgen. Zwei Bücher, unter dem Titel „Satiren & Glossen“, publizierte der Scharfzüngige in den 90er Jahren. Mit bissigen und zugleich witzigen Kommentaren provozierte und amüsierte er seine LeserInnen – und gab ihnen „schlaue“ Tipps mit auf den Weg, das Leben praktischer zu meistern. So lud er sie in seinem zweiten Buch zur Schulung der „Müllologie“ oder in die Selbsthilfe-Gruppentherapie für Männer ein und warnte sie vor gemeinen Gartenzwergen.

Viele Jahre kannte man ihn so, doch allmählich schwindet der spaßige Ton aus den Texten von Henry Gelhausen. In letzter Zeit nimmt Bitterkeit zunehmend Platz ein. Oft spricht nun der Skeptiker vom Leben als eine Form aufgeschobenen Todes. In seinen jüngsten journalistischen Arbeiten nimmt er wiederholt Stellung zur Euthanasie, fordert das Recht, aus eigenem Willen zu sterben. Fern sind die heiteren Betrachtungen des Schriftstellers.

Entscheidend für diesen Wandel hin zu düsteren, melancholischeren Schriftstücken dürfte wohl ein Unfall gewesen sein. Vor fünf Jahren stürzte der 61jährige Junggeselle unglücklich in seiner Wohnung. Seither leidet er an einer Gleichgewichtsstörung, die ihn an den Rollstuhl fesselt. Eine erhebliche Einschränkung, die zur Folge hatte, dass er seinen Beruf als Gymnasiallehrer aufgeben musste.

Dem physischen Schmerz folgten die Depressionen. Melancholie überwiegt nun den Gemütszustand des Schreibers. Lähmt sie doch seine Kreativität. Gelhausen fühlt sich nicht mehr in der Lage, eine wahre Satire zu schreiben. Zu sehr zerrt die Niedergeschlagenheit an seiner Schaffensenergie. „Eine große Traurigkeit umgibt mich“, erklärt der Denker seine heutige Situation.

Allerdings auch vor diesem Schicksalsschlag waren Gelhausens Texte keinesfalls optimistisch. Satiriker und Glossenschreiber, so definiert er, seien Moralisten und Pessimisten zugleich. Sie bringen gesellschaftlichen Unsinn und Missstand auf ironische Art und Weise zu Papier. Ihre Mission entspricht in etwa der des Narrens, der Volk und König belustigen müsse, durch die Blume aber die ungeliebte Wahrheit spreche. Auch das Sinnbild des Clowns führt Gelhausen als Vergleich an: Der sich nach allerlei lustigen Vorführungen im Varieté, sowohl betrübt als auch ernst, einsam und verlassen in den Zirkuswagen zurückzieht.

Gelhausen sieht der Gegenwart und Zukunft kulturpessimistisch entgegen. Zu viel Unglück prädominiere in der Welt: Armut, Krankheit, Unfälle, Krieg … Zu kurzlebig, zu schnell zerbrechlich sei das Glück, wohingegen das Leid als ausgesprochen zäh erweise. Für Gelhausen gibt es daher nur einen Sinn im Leben: „So viel Gutes zu tun wie möglich, um das Leid in der Welt zu verringern“. Entschieden fügt er hinzu: „Dazu brauchen wir keinen Gott.“ Von Religionen hält der Zweifler ohnehin nichts. „Alles Märchen“, wehrt Gelhausen ab. Der katholischen Kirche galten etliche seiner kritischen Schriftstücke. Gleichwohl stand sein erstes Druckwerk sogar auf der Bestsellerliste des kirchennahen „Luxemburger Wort“.

Ratio statt Religion

Im Brennpunkt seines Interesses stehen vielmehr die Erkenntnisse der Physik. Ihrer Lektüre widmet er sich gerne. Die naturwissenschaftliche Theorie, dass es ein Multiversum statt eines Universums gibt, hält der Nachdenkliche für durchaus möglich. Derartige Erkenntnisse flößen laut Gelhausen der Mehrheit der Menschen Angst ein. Überdies verunsichern sie die Bevölkerung, zumal sie die Sicherheit liebt. Dafür sind Menschen auch bereit, ihre Freiheit zu opfern, einem selbständigen Denken zu entsagen und sich dubiosen Glaubensdoktrinen zu unterwerfen. Die Zivilisation steht für ihn erst am Anfang: „Viele unserer Eigenschaften und Verhalten sind denen unserer Urvorfahren noch sehr gemein …“ Trotzdem ist er überzeugt, dass sich die Vernunft letztlich durchsetzen wird, wenngleich äußerst langsam.

Gelhausen lässt sich ungern den Mund verbieten. Seine Meinung öffentlich mitzuteilen und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, scheute er sich bislang nie. In Leserbriefen im Tageblatt bezog er dann Stellung. Bereits in den 70er Jahren forderte Gelhausen gleiche Bürgerrechte für Homosexuelle und schrieb gegen den gesellschaftlichen Rassismus an. Auch die Forderungen der Frauenbewegung unterstützte er. Gelegentlich folgte dem Querdenken unangenehme anonyme Post in Form von Beschimpfungen oder sogar Morddrohungen. Gelhausen nahm’s gelasssen und verwendete die leeren Rückseiten der feigen Schriftstücke kurzerhand als Notizpapier.

Dass satirische Texte Quellen von Missverständnissen bleiben, da nur wenige einen Sinn für Ironie besitzen, diese Erfahrung musste Gelhausen auch auf andere schmerzliche Weise machen. Einige LehrerkollegInnen wandten sich von ihm ab. Angeblich erdreistete sich der Zyniker, über die neuesten Errungenschaften der Pädagogik allzu heftig zu witzeln. Da kündigten sie ihm fristlos die langjährige Freundschaft. Offenbar verstanden sie den Humor nicht.

Hätten sie doch nur die aufklärenden Worte eines anderen Glossenschreibers, Autor des „Streiflichts“ der Süddeutschen Zeitung, gelesen. Der stellte unter anderem fest, Glossisten ließen nur „einen gewissen Unernst“ walten.

Richtig ist aber auch, dass die satirische Glosse eine besondere Form der Gesellschaftskritik ist. Und von jenen, die sich trauen, eine solche zu formulieren, gibt es hierzulande wohl nicht viele. Ein Glück also, dass Gelhausen – trotz aller Anfeindungen – die Lust am Schreiben nicht verloren hat.

Christiane Schiltz


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