Der bekannteste Künstler, der in der Ausstellung „Sous les ponts, le long de la rivière“ involviert ist, ist ohne Zweifel Daniel Buren. Der Mann ist ein Begriff. Seine vertikalen Streifenordnungen haben spätestens seit dem Projekt im Palais Royal in Paris Furore gemacht.
SOUS LE PONT, LE LONG DE LA RIVIERE
Die Arbeit von Daniel Buren, von einer stringenten Konsequenz und einer luziden Schönheit geprägt und implizit für den öffentlichen Raum gedacht, war schon vielerorts zu bewundern.
Das in Luxemburg realisierte Projekt, „D’un cercle à l’autre: le paysage emprunté“, bestehend aus sechs farbigen Holzrahmen, mit orangefarbigen und weißen Längsstreifen, im rhythmischen Wechsel dekoriert, wurde wie üblich vor Ort konzipiert. In der Mitte ist ein Kreis ausgesparrt, der den Blick auf die Landschaft freigibt. Zunächst erscheint diese Arbeit ein wenig ungewöhnlich, da sie dem zu widersprechen scheint, was Buren als Künstler immer als Zielsetzung vorgegeben hat: nämlich ein Nullpunkt-Gemälde zu erarbeiten. Das heißt, ein Objekt zu schaffen, dass gleichzeitig reell und nicht-illusionistisch, also kein Kunstobjekt ist. Für viele impliziert dies fast automatisch eine Abstraktion, eine nicht-figurative Darstellung.
Streifen: visuelle Werkzeuge
Dies gilt aber keinesfalls für Buren selbst. In seinem Werkverständnis sind die kompositorisch in sich geschlossenen unveränderlichen (8,7 cm breiten) Streifen, und somit auch die obenerwähnten Holzrahmen, visuelle Werkzeuge. Sie dienen nur als Zeichen. Das eigentliche Werk ist, wie er selber sagt, die „Kombinatorik in situ“, dieses auf eine bestimmte Weise angebrachte Zeichen in Zusammenhang mit allen anderen im Gesichtsfeld sichtbaren Elementen. Nur so wird das Zeichen zum Bedeutungsträger. Deshalb sind seine Installationen auch nicht transportabel, weil sie für immer an den Entstehungsort gebunden sind.
Seine Methodik, die dazu dient, die erstarrten Sehkonventionen des Betrachters aufzubrechen, entstand aus dem Bedürfnis, sich den sogenannten Rahmenbedingungen, den Zwängen der Kunstwelt und ihrer Institutionen zu entziehen. Deshalb bevorzugt Buren auch den öffentlichen, nicht-institutionalisierten Raum als Ausstellungsort. Seine vor Ort konzipierten Installationen – Buren hat kein Atelier – entstehen nur für eine eingeschränkte Zeitspanne, sie sind tempore suo gedacht. Nach Ablauf werden sie, um Vermarktung unmöglich zu machen, zerstört. Die zeitliche Einschränkung und die ortsspezifische Einbindung sind zudem, wie schon mehrmals festgestellt wurde, Voraussetzung für die Wiederholbarheit der Streifenzuordnung, da ansonsten die Unterschiede zu sehr ins Auge fallen würden. Dies kann nur heißen, dass das Zeichen seine Wirksamkeit lediglich unter der immer gleichbleibenden inneren Struktur entfalten kann.
Die Werkauffassung Burens erweist sich aber als eine Aporie, als ein unlösbares Problem. Denn damit das Zeichen überhaupt seine Wirksamkeit im ästhetischen Sinne, seine „Bedeutung“, erhalten kann, muss es schon den Status des Kunstwerkes erlangt haben bzw. als solches vom Publikum erkannt werden, und es setzt zudem die Anerkennung von Buren als Künstler voraus. Mit anderen Worten es bedingt den Kunstkontext, da das Zeichen nur dort – und nur dort – diese Weihe erreichen kann. Ein Kontext, dem er eigentlich entfliehen wollte. Auch der Verweis auf Duchamps Behauptung, dass jedes Objekt, wie auch immer geartet, selbst hergestellt oder nicht, das von einem Künstler angeboten wird, als Kunst betrachtet werden muss, hilft hier nicht, weil es das Problem ja nur vom Objekt auf den Macher verlagert. Es erinnert im Übrigen an die Problematik von de Saussures sprachtheoretischem dualistischem Zeichenbegriff, dem Signifié-Signifiant-Schematismus, in dem die Erkenntnisobjekte als unvermittelt bekannt unterstellt werden müssen, um sie nachträglich mit Bedeutung aufladen zu können.
Eine Ästhetik für Erleuchtete
So gesehen ist Burens Ästhetik eine Ästhetik für Erleuchtete, für diejenigen die intuitiv der Bedeutung des Zeichens habhaft geworden sind, wie zum Beispiel Rudi Fuchs, der beim Anblick des Schaffens von Buren das Wasser fast nicht mehr halten kann: „… die ernsthaft und dramatisch sind, wie die hohen Fenster einer gotischen Kathedrale, geheimnisvoll wie ein japanisches Haus, elegant wie die Klänge eines Lautenspielers von Watteau, oder streng und trocken wie Mansart, opulent und weitläufig wie der Park von Versailles.“ Dieses Elaborat dürfte auch letzten Kunstbanause verständlich gemacht haben, dass eine ästhetische Erfahrung ohne Assoziationen und Bezüge – Rudi Fuchs ist Kunsthistoriker – letztlich auszuschließen ist. Wenn dies nicht der Fall wäre, würde der Mensch, wie Erwin Panofsky überspitzt formuliert hat, wie ein Tier an einem Kunstwerk herangehen.
Trotzdem kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Burens Arbeit sehr dicht an das Konzept der künstlerischen „Interesselosigkeit“ des Earl of Shaftesbury, das in der Folge von Kant, von Schopenhauer, von Bergson sowie von Clement Greenberg rezipiert wurde, herankommt. Wenn dies zuträfe, stünde Buren in der Tradition des Formalismus, dem Glauben der reinen Form. Daniel Buren würde dies vermutlich mit einem Verweis auf die ästhetische Theorie des amerikanischen Philosophen Nelson Goodman („Languages of Art. An Approch to a Theory of Symbols“, Indiannapolis 1976) vehement verneinen. Für Goodman ist Kunst eine Sache der Erkenntnis und nicht der Repräsentation. Ästhetische Erfahrung beruht seiner Ansicht nach nicht auf Ideen, Fantasmen oder Emotionen, sondern fußt auf unserer Fähigkeit, ein Kunstwerk als ein Zeichensystem zu erkennen und zu begreifen, wie das System funktioniert.
Somit stellt sich für den Betrachter des Holzrahmens mit Landschaft die Frage, welche Erkenntnis denn nun übermittelt werden soll. Nach der Lage der Dinge kann es sich nur um ein Hinterfragen der Wirklichkeitsaneignung handeln. Der Titel, ganz im Einklang mit dem Diktum Duchamps, dass das Wichtigste an einem Gemälde der Titel sei, gibt hier Aufschluss: „D’un cercle à l’autre: le paysage emprunté“ (die geliehene Landschaft). Wie ist dies zu verstehen? Meiner Meinung nach verweist Buren damit auf unsere Wahrnehmung der Landschaft. Diese ist nämlich konditioniert durch unsere Wahrnehmung von Landschaft in einem Kunstkontext. Anders formuliert, wenn wir uns eine Landschaft im Museum anschauen, dann sehen wir keine reelle Landschaft, sondern ein von Konventionen eingeengtes Bild. Und diese Wahrnehmung übertragen wir auf die Landschaft draußen. Es ist also genau umgekehrt als die mimetische Kunstauffassung uns immer glauben machen wollte. Und mit dieser Wahrnehmungssituation werden wir nun durch die Holzrahmen in einer wirklichen Landschaft konfrontiert. Konventionen beruhen aber ebenso wie Geschmack auf Gewohnheit. Das heißt, sie ändern sich. Dies impliziert also, dass wir die gleiche Landschaft unter veränderten Bedingen anders wahrnehmen – wie dies auch bei Burens Streifengebilden auf den Holzrahmen eintritt. Unsere Aneignung der Wirklichkeit, und hier mehr spezifisch der Landschaft, ist in diesem Sinne nur auf Zeit geborgt. Um uns diesen Tatbestand bewusst zu machen, stellt Buren also nicht, wie man vielleicht erwarten würde, die erstarrten Sehkonventionen in Frage, sondern er bestätigt sie. Aus diesem Grund hat er auch solch pittoreske Ansichten gewählt.
Beliebtes Fotomotiv ohne Wirkung
Die gleiche Methodik, also Bestätigung statt Störung, hat Buren auch im Palais Royal angewendet. Dort nämlich hat er die Säule, den Inbegriff der Antike, schwarz-weiß angestrichen in ein klassizistisches Ensemble integriert. Merkwürdigerweise löste dies vor allem in konservativen Kreisen einen Sturm der Entrüstung aus, weil man angeblich die Tradition, das liebgewonnene Bild, in Gefahr sah. In Wirklichkeit war es aber die Angst vor dem Neuen. Für Buren ist Tradition aber keineswegs gleichbedeutend mit Erstarrung, sondern etwas das voranschreitet.
In Luxemburg haben die Traditionalisten sich bis jetzt noch nicht zu Wort gemeldet. Wahrscheinlich weil man die Holzrahmen noch nicht als progressives Element ausgemacht hat. Aber nicht nur ihnen scheint die Brisanz der Installationen von Buren zu entgehen. Im Großen und Ganzen bleiben die Holzrahmen wirkungslos. Ein sicheres Indiz hierfür scheint die große Akzeptanz beim breiten Publikum, das die Arbeiten als beliebtes Fotomotiv entdeckt hat – wohl ein Zeichen, dass Burens Installationen mittlerweile zur Gewohnheit geworden sind. Oder griffiger: Die Konventionen unter denen das Oeuvre wahrgenommen wird, haben sich geändert.
Die Ausstellung „Sous les ponts, le long de la rivière, organisiert vom Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain ist noch bis zum 14. Oktober zu sehen. Führungen jeweils Sonntags um 11 und um 15 Uhr. Kinder-Ateliers jeweils samstags um 15 Uhr. Weitere Infos unter Tel: 22 50 45 oder www.casino-luxembourg.lu