KRIEG: Kein Befreiungsschlag

Seit Sonntag ist Krieg. Ein Krieg, der kaum einen konstruktiven Beitrag im „Kampf gegen den Terrorismus“ leisten kann. Dennoch sollten Friedensbewegung und Anti-Kriegsfront sich deutlich von Anti-Amerikanismus distanzieren.

Nicht einmal eine Woche ist es her, dass die USA ihre Drohungen wahr gemacht haben. Und schon ist klar, was wir eigentlich auch vorher schon wussten: Dieser Krieg wird sein erklärtes Ziel nicht erreichen. Er wird ebenso wenig dazu beitragen, die Welt vor neuen Terroranschlägen zu bewahren, wie er dem „internationalen Terrorismus“ den Garaus machen wird. Lediglich bis Dienstag konnten die US-Kriegsführer die Illusion aufrechterhalten, es gäbe die Möglichkeit eines gezielten Vorgehens gegen „militärische Ziele“ in Afghanistan. Bereits am zweiten Kriegstag war damit Schluss: Drei Kilometer vom Zentrum Kabuls entfernt wurde das Gebäude einer Organisation zerstört, die im Auftrag der Vereinten Nationen die in Afghanistan verstreuten Minen unschädlich macht. Vier Mitarbeiter wurden getötet. Wer Bomben auf Städte schmeiát, weiá von vornherein: Solche „Kollateralschäden“ bleiben nicht aus.

Die Erkenntnis ist nicht neu. Auch nicht, dass ein Angriffskrieg in Afghanistan Organisationen wie dem islamistischen Netzwerk al-Qaida neue Mitglieder und viele Sympathisanten beschert. Sympathisanten, die sich leider auch in den Anti-Kriegs-Kundgebungen wiederfinden, die jetzt weltweit angelaufen sind. In Ägypten verbrennen StudentInnen täglich amerikanische Flaggen und Bush-Puppen vor den Universitäten, in zahlreichen Ländern im Nahen Osten wächst die Angst vor dem Krieg und damit auch der Hass gegen die USA. Selbst in entfernten Regionen werden alte Gefühle wieder wach: Laut Umfrage machen 72 Prozent der Menschen in Argentinien die USA mit verantwortlich für die Anschläge. Ähnlich sieht es in Mexiko, Chile und Ecuador aus. In El Salvador etwa, marschierten kurz nach den Anschlägen Parlamentarier der ehemaligen Guerilla und heutigen Oppositionspartei FMLN am Wochenende in einer Sympathie-Demonstration für Osama bin Laden durch die Hauptstadt San Salvador. „Noch ein Flugzeug“ skandierten einige der rund 1.000 Menschen, die dem Aufruf von Studentenorganisationen und Gewerkschaften gefolgt waren.

Dass sich die meisten der hiesigen Friedensdemonstrationen deutlich gegen den Terrorismus der al-Qaida und ähnlicher Gruppierungen distanzieren, ist begrüáenswert. Dennoch tauchen auch in der europäischen Linken undifferenzierte Analysen auf, ist eine klammheimliche Freude oder Genugtuung über die Ereignisse am 11. September zu vernehmen. Zwischen den Zeilen liest man: Endlich hat sich jemand gegen den Koloss USA erhoben. Da werden die Millionen Hungerstote oder Opfer totalitärer Regime, die von den USA unterstützt wurden, gegen die 5.000 Opfer in New York aufgerechnet. Angesichts der unverhältnismäáigen Trauerveranstaltungen vielleicht ein verständlicher Einwand. Auch, dass den Menschen in Chile, wo Tausende einer CIA-gestützten Junta zum Opfer fielen, die allseits ausgerufene „Solidarität mit den USA“ schwerfällt, ist nachvollziehbar. Trotzdem: Die Behauptung, die USA trügen die Verantwortung für die Anschläge vom 11. September ist ebenso unangebracht wie das Aufrechnen der Opfer aller US-verschuldeten Ungerechtigkeiten auf dieser Welt. Die Anschläge in New York hatten nichts zu tun mit einem Befreiungsschlag. Hier waren keine Rächer der Unterdrückten am Werk, sondern Vertreter einer reaktionären, antisemitischen und sexistischen Gruppierung. Auch diese Feststellung gehört zur Kritik am Krieg und zur Kritik am US-Imperialismus. Es schmälert sie nicht, sondern ist unbedingt notwendig, um sich in der Anti-Kriegsfront klar zu positionieren.


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