EU-VERFASSUNG: Vom Traum zum Albtraum

Die europaweiten Reaktionen auf das irische Nein sind wenig originell. Blinder Jubel bei den VertragsgegnerInnen, Augen-zu-und-durch-Strategie bei den BefürworterInnen. Eine Rückbesinnung auf die Ursprünge der Krise findet nicht statt.

Ist das irische Nein zum Lissabonner Vertrag für fortschrittliche EuropäerInnen ein Grund zum Trauern? Wohl kaum, denn ein Ja hätte es den politischen Eliten in Brüssel erlaubt, zur Tagesordnung überzugehen, als habe es die Krise der vergangenen Jahre nicht gegeben. Doch die politische Orientierung der EU ist derzeit alles andere als fortschrittlich, wie es die antisozialen Gerichtsurteile der vergangenen Monate oder die Direktive zur Kriminalisierung von Asyl Suchenden belegen. Der umstrittene Vertrag würde – das ist positiv – die Handlungsfähigkeit der EU stärken, doch für den aus linker Sicht überfälligen Richtungswechsel steht er in keiner Weise.

Umso unverständlicher sind die Appelle, auch von Seiten der Sozialdemokraten und Grünen, einfach weiter zu machen mit der Ratifizierung. Statt im Nein eine Infragestellung des EU-Selbstverständnisses zu erkennen, wird erst einmal die irische Bevölkerung als Opfer antieuropäischer Propaganda dargestellt. Angesichts dieser Arroganz könnte man hoffen, dass die vom Nein herbeigeführte Blockade einen heilsamen Schock auslöst.

Gibt es also einen Grund zum Feiern? Für Nationalisten jeder Couleur mit Sicherheit. Die Anhänger des „pro-europäischen Neins“ dagegen sollten sich nicht zu früh freuen. Es ist völlig unklar, ob aus der jetzigen Situation das erhoffte „andere Europa“ hervorgehen wird. Ebenso gut könnte die Schwächung der Institutionen zu noch mehr Liberalismus und zu einer Auflösung des politischen Europa führen. Ein weiterer Dämpfer für den linken Enthusiasmus: In Irland, wie zuvor bei den anderen Referenden, hatte die Linke Schwierigkeiten, sich vom rechten Souveränismus und vom liberalen nationalen Egoismus abzugrenzen.

Vor allem aber ist das irische Nein der vorläufige Endpunkt eines Trauerspiels, das eigentlich mit einer großzügigen Idee angefangen hat. Als nämlich im Dezember 2001 die europäischen Staats- und Regierungschefs einen „Konvent über die Zukunft von Europa“ einberiefen, ging es darum, die beschleunigte wirtschaftliche durch eine verstärkte politische Integration zu ergänzen. Auf der Basis der recht fortschrittlichen Grundrechtecharta wollte man eine europäische Verfassung erarbeiten. Eine Abstimmung per Referendum in möglichst vielen Mitgliedstaaten hätte der Union eine willkommene demokratische Legitimation verschafft.

Doch es kam anders: Infolge der Osterweiterung verbrachte der Konvent viel Zeit mit institutionellen Fragen, und die nachfolgende Regierungskonferenz machte aus dem Verfassungstext eine Art „Super-EU-Vertrag“. Am Ende bestand die „Verfassung“ vor allem aus dem zum Teil leicht abgeänderten Text der bestehenden – eher wirtschaftsliberal ausgerichteten – Verträge. Die Unzufriedenheit über diese Ausrichtung, zusammen mit der Ablehnung des vorgesehenen Ausbaus der militärischen Zusammenarbeit, führte bei Teilen der Linken zu einer Ablehnung des Verfassungstextes. Es waren diese Stimmen, die bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden fehlten, um das Ja gegen die Ablehnung durch die Souveränisten durchzusetzen.

Statt die Chance zu nutzen, einen verbesserten Verfassungstext vorzulegen, einigten sich die EU-Regierungen in Lissabon – nach einer zweijährigen „Reflexionsphase“ – recht fantasielos auf einen abgespeckten „Vertrag“. Statt der wirtschaftsliberalen Dogmen wurden dabei die Symbole des politischen Europa – Flagge und Hymne – über Bord geworfen. Und darauf verzichtet, die Bevölkerungen über den neuen Text abstimmen zu lassen. Doch was vielen VerfassungsbefürworterInnen wie eine vielleicht unbefriedigende und undemokratische, aber immerhin pragmatische Lösung erschien, hat sich mit dem irischen Nein als Fehlspekulation entpuppt. Schade, nicht um den „Vertrag von Lissabon“, aber um die Idee einer fortschrittlichen europäischen Verfassung.


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