STEUERDUMPING: Armes reiches Luxemburg

Selbst Tony Blair will von Steuersenkungen nichts mehr wissen. Doch in Luxemburg sollen die Individual- und die Betriebssteuern so niedrig werden wie sonst kaum in Europa.

Was läuft schief?
(Foto: Christian Mosar)

Als Claude Wiseler als Budgetberichterstatter vergangene Woche den „wichtigsten Gesetzestext des Jahres“ vor versammeltem Haus (und erstmals auch vor laufender Chamber-TV-Kamera) kommentierte, fiel der Spagat weitaus schwieriger aus als in den Vorjahren.

Die Rekordjahre 1999 und 2000 im Rücken, eine ungewisse Zukunft in der Folge des „11. September“ vor sich, musste er der aufmerksamen Öffentlichkeit vorrechnen, warum es uns laut dem vorliegenden Zahlenmaterial so gut geht, auch wenn uns im Alltag an so vielen Stellen der Schuh drückt.

Mit über 30 Milliarden LUF an „plus-values“ für das Budget-Jahr 2000 wurde ein neuer Rekord erreicht. Dieser durchaus erwartete Geldsegen sagt allerdings auch aus, dass es in Luxemburg anscheinend nicht möglich ist, genauer vorauszurechnen, wie viel Geld der Staat in einem Jahr einnimmt. So haben unsere Steuerschätzer im Jahre 2000 rund 15 Prozent weniger erwartet, als am Ende tatsächlich in den Staatskassen landete. Beruhigend ist dabei lediglich, dass sie sich nicht in die andere Richtung verschätzt haben. Allerdings ist bekannt, dass die systematische Unterschätzung der Steuereinnahmen weniger ein Produkt des Zufalls, als einer bewussten Politik ist, die seit Jahrzehnten in Luxemburg betrieben wird.

Anders gesagt: Jeder sechste Steuerfranken respektive -euro wird bei der Haushaltsaufstellung „vergessen“. Um es noch plastischer auszudrücken: Da, wo fünf Schulklassen eingerichtet werden, könnte es auch eine sechste sein; dort, wo 30 Kinder in einem Hort untergebracht werden, könnten auch noch die sechs nächsten auf der Warteliste berücksichtigt werden. Es ließen sich noch viele gute (und ebenso viele schlechte) Beispiele aufzählen, was der Staat mit vorausschauender Planung alles anstellen könnte.

Dank einer restriktiven Haushaltspolitik werden stattdessen jedesmal Überschüsse mit einem Jahr Verspätung dazu benutzt, wichtige und weniger wichtige Investitionsfonds zu speisen.

Claude Wiseler war so ehrlich zuzugeben, dass ohne diese Fonds nichts mehr im Staate Luxemburg funktionieren würde: Ohne die zusätzlichen Dotierungen dank der plus-values könnten einige der längst geplanten Infrastrukturarbeiten überhaupt nicht in Angriff genommen werden. Insofern ist die Praxis der Überschüsse reinste Augenwischerei. Sie täuscht eine „vorsichtige Finanzpolitik“ seitens der Regierung lediglich vor. Daran ändert auch die unter der aktuellen CSV-DP-Regierung eingeführte Praxis, die Verteilung der Mehreinnahmen durch eine Abstimmung im Parlament absegnen zu lassen, nichts.

Nur die Iren treiben es schlimmer

Was Claude Wiselers Part allerdings zusätzlich erschwerte, war die von der Regierung angekündigte Steuerreform für das kommende Jahr. So ist es dem Budgetminister zwar gelungen, wie in den Vorjahren ein ausgeglichenes Budget vorzulegen, obwohl mit einem politisch gewollten Steuerausfall in zweistelliger Milliardenhöhe zu rechnen ist. Doch selbst die Ereignisse des 11. September haben den Budgetminister nicht dazu bewegen können, irgendetwas an den Eckwerten des Haushaltsplanes zu verändern: Gerechnet wird mit einem Wachstum von vier Prozent.

Diese Schätzung mag noch im Sommer als relativ vorsichtig gegolten haben, schließlich wurde in den Vorjahren ein Wert erreicht, der um das Doppelte höher lag. Jetzt allerdings muss sich Budgetminister Frieden sogar von der Opposition anhören, den Pfad der Tugend verlassen zu haben: Die vier Prozent, so der grüne Fraktionssprecher François Bausch, seien die nächsten Jahre alles andere als gesichert.

Aber die grüne Kritik beschäftigt sich weniger mit der Art und Weise, wie die Regierung das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren einschätzt, als mit dem Umstand, dass auch nach dem 11. September an den Steuersenkungen im angekündigten Umfang festgehalten wird.

Zwei ausufernde Pressekonferenzen lang nahm sich Premier Juncker Zeit, um im Detail vorzurechnen, auf wie viel Geld der Staat in Zukunft verzichtet. Jeder bekommt etwas ab, nur die ganz armen Wichte, die bislang keine Steuern zahlen, gehen bei dieser Reform vollkommen leer aus.

Gekoppelt mit niedrigen Lohnnebenkosten mausert sich Luxemburg so fast zu einer Art klassischem Billiglohnland. Allerdings nur bei erstem Hinsehen: Selbst der Budgetberichterstatter hat erkannt, dass in Luxemburg der Sozialstaat in sehr starkem Maße fiskalisiert ist, sprich den Arbeitgebern ein großer Teil der Last im Bereich Gesundheit und Renten abgenommen wird.

Und auch bei der Betriebsbesteuerung bewegt sich Luxemburg von der Mitte hin zur Spitze: Nur in Irland wird Betrieben mit 16 Prozent weniger vom Gewinn abgezwackt als in Luxemburg, wo der Steuersatz von 30 auf 22 Prozent abgesenkt wird. Zum großen Ärger Junckers wollen die Iren noch weiter mit den Steuern runter: Sie peilen einen Nominalsatz von 12 Prozent an, eine „de facto Steuerbefreiung für Unternehmen“, wie Juncker meint.

Hinter dem Ganzen steckt eine mehr als fragwürdige Strategie: Die Rekordsteuersenkung soll den Standort Luxemburg so attraktiv machen, dass er vom zurzeit schwindenden Wachstumskuchen überdurchschnittlich viel abbekommt, auf dass es uns etwas weniger dreckig geht als den anderen. Die Rechnung mag für den – im europäischen Vergleich kleinen – Haushalt Luxemburgs zunächst aufgehen.

Nur, das hat Wiseler an einigen Beispielen aufzeigen können, auch das Wachstum hat seinen Preis. Steuersenkungen, gekoppelt mit dem Zwang, plus-values zu erwirtschaften, werden am Ende die Handlungsfreiheit des Staates so weit einschränken, dass ein selektives Vorgehen kaum noch möglich ist. Herrscht einmal eine wirkliche Flaute, sind der Politik die Hände gebunden: Da wo nichts mehr kassiert wird, kann auch nichts erlassen werden.


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