Internationale Konferenzen bestehen nicht nur aus Presse-kommuniqués, Demo-Bildern und Abschlusserklärungen. Ein Bericht über den Tagesablauf von zwei Luxemburger Klimaschützern.
UN-Klimachef Yvo de Boer hat am Dienstag Abend anlässlich der feierlichen Begrüßung der Minister beim Klimagipfel die Vorlage für die Abschlusserklärung bereits geliefert: Kopenhagen sei „the place where it all started“. Das bedeutet nichts Gutes: Ort und Termin für den konkreten Beginn des Weltrettungsprojekts werden verschoben, obwohl in den vergangenen zwei Jahren das Treffen in Kopenhagen als letztmöglicher Zeitpunkt für den Startpfiff beschworen wurde. In einem Interview am Mittwoch zeigte sich der luxemburgische Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler enttäuscht über den chaotischen und unproduktiven Verhandlungsverlauf. Die Schwellenländer seien einfach nicht kooperativ genug. Damit scheint die Luxemburger Regierung aus der Schusslinie zu sein. Aber hat das Land seinen Beitrag für ein Gelingen in Kopenhagen wirklich geleistet? Zwei der 35.000 Konferenzteilnehmer sind dafür bekannt, dass sie das luxemburgische Klimagewissen einer kritischen Prüfung unterziehen. Ich habe Dietmar Mirkes vom luxemburgischen Klimabündnis und den grünen Europaabgeordneten Claude Turmes vom Frühstück bis zum Abendessen begleitet.
Dietmar Mirkes arbeitet bei Action Solidarité Tiers Monde und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Klimathematik. Nach zwei UN-Klimagipfeln herrscht eine gewisse Routine in seiner Tagesplanung. Aus den Hunderten von Veranstaltungen hat er sich fünf Konferenzen ausgesucht, in die kleinen Pausen zwischendurch sind kurze informelle Treffen mit anderen Nichtregierungsvertretern in das straffe Programm eingebaut. Zuerst besuchen wir die Leute vom internationalen Klimabündnis, die von den neusten Projekterfolgen berichten ? eine Partnerstadt in Japan will ihre CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent kürzen. Danach lauschen wir Naomi Kleins Vortrag über Klimagerechtigkeit. Dietmar Mirkes meldet sich mit besorgter Stimme bei einer Veranstaltung der indigenen Völker im Amazonasgebiet zu Wort. Wir hören uns den Bericht über Projekte zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels in einigen westafrikanischen Ländern an und schließen den Tag mit einer Konferenz über den Klimawandel und das Bruttonationalglück im Bhutan ab.
Zu viel Kohle
Mirkes sammelt fleißig ausliegendes Informationsmaterial, unterhält sich mit Mitarbeitern des Centre for Science and Environment in Delhi
und diskutiert eine Weile mit Tom Athanasiou vom Stockholm Environment Institute über die miserable Klimapolitik Luxemburgs. Ein Blick auf den Klimaschutz-Index der Umweltorganisation Germanwatch outet Luxemburg als Schlusslicht unter allen europäischen Ländern,. China und die USA, auf die der Nachhaltigkeitsminister mit dem Finger zeigt, schneiden hier besser ab. Athanasiou fragt, ob die Luxemburger eigentlich wüssten, wie reich sie sind und kann sich vor Lachen kaum noch halten. Mirkes entgegnet: „Wer viel hat, hat eben viel zu verlieren.“
Er kennt die Wissenschaftler und Berater, welche die Politiker mit ihren Forschungsresultaten zum Klimawandel unter Druck setzen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Er stellt mir auch die Mitarbeiter zahlreicher Nichtregierungsorganisationen vor, wie zum Beispiel Neill Tangri, Sprecher eines internationalen Zusammenschlusses von Müllsammlern. Tangri vertritt hier in Kopenhagen auch die Nachbarn einer Müllverbrennungsanlage im Nordosten Delhis, in die Luxemburg investiert hat, um Emissionsrechte für 16.000 Tonnen Kohlendioxid zu erhalten. Das „Timarpur-Okhla Waste Management“-Projekt konnte sich für den Emissionshandel im Rahmen des Kyotoprotokoll qualifizieren, weil die Verbrennung von Müll weniger Treibhausgase erzeugt als seine Lagerung auf Mülldeponien. Das Projekt ist auf lokalen Widerstand gestoßen, weil es den Müllsammlern ihre Lebensgrundlage raubt. Tangri erklärt, dass sie ohnehin die bessere Form des Umweltschutzes betreiben, denn sie trennen, recyceln und kompostieren den Müll. Die Müllverbrennungsanlage hingegen belastet die Umwelt mit giftigen Gasen und das Klima schützt sie auch nicht. Dietmar Mirkes hat dieses und 78 weitere CDM?1-Projekte, in die luxemburgische Gelder fließen, genauer untersucht und ist zum Schluss gekommen, dass sie häufig zweifelhafte Folgen für Gesellschaft, Umwelt und sogar das Klima haben.
Wir begegnen einem früheren Arbeitskollegen, der sich nach dem politischen Impakt seiner CDM-Studie in Luxemburg erkundigt. Mirkes Antwort ist kurz: Gar keinen! Aber das ist für ihn kein Grund zu resignieren. Schließlich sei er in Kopenhagen, um die Dinge voran zu bringen: In der Mittagspause nimmt er an einem informellen Treffen von CDM-Watch teil. Hier berät eine kleine Gruppe von Lobbyisten darüber, wie sie eine strengere Regelung für die Validierung von CDM-Projekten im neuen Vertragstext bewirken können. Dietmar Mirkes plädiert dafür, dass nur ein bestimmter Anteil der Emissionsreduktionen über CDM-Ablassrechte erkauft werden darf. Das war im Kyotoprotokoll auch vorgesehen, aber leider sehr vage formuliert. Daran wird der Textentwurf, der während der Schlussverhandlungen in Kopenhagen auf dem Tisch lag, womöglich nichts ändern. Darin heißt es, dass die Industriestaaten ihre Reduktionsziele „primär“ zu Hause realisieren müssen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer möchten das kleine Wörtchen gerne streichen, denn solange die billige und einfache Lösung mit den Ablassrechten im Spiel ist, werden strukturelle Umstellungen in Richtung CO2-Neutralität in den reichen Ländern nicht stattfinden.
Unser Gespräch endet mit einer Kampfansage. Mirkes findet, Luxemburg habe den Kyotovertrag gebrochen, weil es sein gesamtes Kyotoziel von minus 28 Prozent ausschließlich durch den Kauf vonn Emissionrechten realisiert habe. Damit Luxemburg endlich nachhaltige Lösungen zur Reduktion seiner Emissionen sucht, will er mit seiner Kritik nicht locker lassen, bis die Regierung, sich an die Vorgaben des internationalen Abkommens hält – auch wenn diese nicht sehr präzise sind.
Öko-Pokémon
Ganz ähnlich äußert sich Claude Turmes. Luxemburg habe nach fast zwei Jahrzehnten internationaler Klimapolitik, immer noch keine eigene Strategie und versuche, sich an wirklichen Taten vorbei zu mogeln. Beim Frühstück im Hotel Sankt Petri im Zentrum Kopenhagens zählt er auf, wie viele gute Lösungen es gibt, welche grünen Industrie- und Forschungszweige in Luxemburg angesiedelt werden könnten, um gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen und Emissionen zu senken. Es gebe noch nicht mal eine Studie, mit der die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen in allen Bereichen der Gesellschaft und das wirtschaftliche Potenzial eines CO2-neutralen Luxemburgs veranschlagt werden könnten. Mit solchen Zahlen ließe sich ein Bewusstsein für die Vorteile einer intelligenten Energiepolitik schaffen. Sogar Klimaskeptiker müssten heute anerkennen, dass die Erdölpreise in absehbarer Zukunft rasant steigen werden. „Was sagen wir dann den Menschen, die ihre Heizkosten im Winter nicht mehr tragen?“ Turmes kann nicht verstehen, wieso Luxemburg sich immer noch davor drückt, Energie- und Klimaproblematik als eine Chance wahrzunehmen. Auch in die laufenden Verhandlungen sei Luxemburg ohne ein eigenes ambitioniertes Ziel gegangen. Es hätte sich ein Beispiel an Deutschland mit seiner bedingungslosen 40-Prozent-Zusage nehmen können, oder sogar an Costa Rica und den Malediven, die ab 2020 gar keine Treibhausgase mehr emittieren wollen. Turmes kritisiert, Luxemburg warte lieber ab, wie die Verhandlungen verlaufen und gebe sich auch mit einem Minimalkonsens zufrieden.
In der Tat wurde der nationale Aktionsplan nicht etwa als Fahrplan zum Klimagipfel formuliert, sondern wird erst Anfang nächsten Jahres verhandelt. Wohl weil erst in Kopenhagen deutlich wird, welche Schlupflöcher das internationale Abkommen bietet. So schließt Minister Wiseler nicht aus, billige Emissionsrechte aus Russland, Polen und der Ukraine zu kaufen, die die ehemaligen Sowjetländer im Überfluss besitzen, weil sie ihr erlaubtes Emissionsvolumen nicht erreichen. Das Problem ist, unterstreicht Turmes, dass hierdurch im Endeffekt an keiner Stelle eine real existierende Tonne CO2 eingespart wird.
Wir wechseln das Thema, denn am Nebentisch sitzt Arnold Schwarzenegger, der später am Tag eine Rede beim Klimagipfel halten wird. Wir sehen, wie er sich auf den Weg macht und in seinen riesigen schwarzen Geländewagen steigt. Eine widersprüchliche Botschaft des „Governators“. Claude Turmes ist natürlich mit dem Zug gekommen, schwärmt vom dänischen Transportkonzept und rauft sich bei einem Vergleich mit der Situation in Luxemburg die Haare. In Kopenhagen fahren täglich 40 Prozent der Berufstätigen mit dem Fahrrad zur Arbeit, auch von der Dezemberkälte lässt sich keiner beeindrucken. Und wenn das Wetter wirklich zu unangenehm wird, gibt es U-Bahn, Straßenbahn und Busse, die auch Tausende zusätzliche Fahrgäste während des Klimagipfels sichtlich locker verkraften. Wir machen den Praxistest und fahren raus zum Bella Center. Hier nimmt der Träger des europäischen Solarpreises 2009 am Nachmittag an einer Paneldebatte Teil. Mit der Bürgermeisterin der norwegischen Stadt Trondheim diskutiert er über lokale Initiativen, mit denen ganze Städte auf den Weg der CO2-Neutralität gebracht werden. Er gratuliert Rita Ottervik dafür, nicht nur eine klare Vision zu haben, sondern diese auch umgesetzt zu haben.
Nach der Veranstaltung umringen ihn Leute, die ähnliche Projekte planen, und er empfiehlt ihnen die passenden Kontaktpersonen. Aus seiner Manteltasche holt er einen fingerdicken Packen Visitenkarten, die er seit seiner Ankunft in Kopenhagen gesammelt hat. Er durchsucht sie, wie ein kleiner Junge seine Pokémonkarten, gibt die Telefonnumern und E-Mail-Adressen weiter. Wie fein Turmes sein Netzwerk in der Welt der Umwelt- und Klimapolitik gespannt hat, kann man daran messen, wie oft wir auf dem Weg zur Ausgangstür anhalten müssen. Als wir José Bové treffen, besteht Turmes auf einem Gruppenfoto zum Abschluss des Tages und grinst mit einem breiten Lächeln in die Kamera. Dann verabschiedet er sich hastig – morgen müsse er wieder in Straßburg sein, wo er bei den Abstimmungen nicht fehlen wolle. Dort sei im Gegensatz zum Luxemburger Stillstand zumindest etwas Bewegung beim Klimaschutz zu spüren, lobt der grüne Abgeordnete sich und seine Kollegen.
Einen dritten Perspektivwechsel erfahre ich an einem eiskalten sonnigen Samstagnachmittag, als ich an den Demonstrationen Teil nehme und die besorgten Blicke um mich herum sehe. Mehr als 50.000 Menschen haben sich am Marsch vom Stadtzentrum zum Tagungsort am südlichen Stadtrand beteiligt. Die Mobilisierung war enthusiastisch und in ihrer Forderung klar: „Change the Politics not the Climate“. Wenn dieser Politikwandel in Kopenhagen misslingt, besteht das Risiko, dass die Menschen, die ihre Hoffnungen an den Gipfel in „Hopenhagen“ geknüpft haben, resignieren. Doch eigentlich liegt es dann umso mehr an den Individuen und an den kleinen lokalen Gemeinschaften, die Sache in die Hand zu nehmen, um trotzdem etwas zu ändern und den Druck auf die Politiker noch weiter zu verstärken.
Die Umweltjournalistin Pia Oppel ist für die woxx vor Ort, um über den Verlauf der Klimaverhandlungen zu berichten.
Unter www.forum.lu findet man ihren Life-Blog aus Kopenhagen.
1 CDM – Clean Development Mechanism