Die Studie des Kulturministeriums zur Situation im sozio-edukativen Sektor ist ein Flop. Neuigkeiten bringt sie keine.
Als möglicherweise „historisches Datum“ hatte das Lëtzeburger Land im Februar vergangenen Jahres den Auftakt der bis dato einmaligen Erhebung zum sozio-edukativen Sektor bezeichnet. Die Studie, die das Hochschulministerium beim „Etudes et formation“ in Auftrag gegeben hatte, sollte die Umwandlung des „Instituts d’études éducatives et sociales“ (IEES) in eine Hochschuleinrichtung und eine Reform der Ausbildung zum „Educateur/Educatrice gradué-e“ vorbereiten. Man wolle herausfinden, „wie es um die Tätigkeit des Berufes steht, wie viele Educateurs und Educateurs gradués hierzulande in welchen Arbeitsbereichen ihren Beruf ausüben und ob die angebotene Ausbildung beim IEES den Anforderungen der Praxis entspricht“, hatte Germain Dondelinger vom zuständigen Ministerium vor einem Jahr auf einer Diskussionsveranstaltung vollmundig angekündigt. Endlich eine tiefgründige Gesamtanalyse also? Pustekuchen!
Die 370-Seiten starke Studie, die Hochschulministerin Erna Hennicot-Schoepges am vergangenen Mittwoch der Presse vorstellte, weist verschiedene Mängel auf. Zum Beispiel erfährt man gar nicht, wie viele Educateurs/Educatrices in Luxemburg insgesamt arbeiten. Die Untersuchung bezieht sich lediglich auf Antworten von 315 Führungskräften und 132 ErzieherInnen in sozial-edukativen Einrichtungen – zu wenig, um verallgemeinerbare Aussagen über diesen Berufszweig treffen zu können.
Es gebe keine verlässlichen Zahlen über die Gesamtzahl der in diesem Sektor Beschäftigten, begründet Marc Ant von der Consulting-Firma „Etudes et formation“ diese Lücken. Der Gang zur Sozialversicherung, die über derlei Daten verfügt, wurde offenbar nicht angetreten.
Ein Manko, das sich auch auf die Ermittlung des Personalbedarfs im sozio-edukativen Sektor niederschlägt: Für so genannte „Zeitreihen“, eine statistische Methode, bei der Personalentwicklungen vergangener Jahre in die Zukunft fortgerechnet werden, sind Beschäftigtenzahlen vonnöten. Die wurden in dem seit Anfang der 70er Jahre bestehenden Sektor aber noch nie erhoben. Die vorliegende Studie beschränkt sich lieber auf eine Auswertung von Stellenanzeigen des Luxemburger Worts. Eine grobe Annäherung, die wenig über den jetzigen, ganz sicher aber nichts über die Bedarfe der kommenden Jahre aussagt. Diese zu kennen, wäre aber für eine Reform des Sektors und eine bedarfsgerechte Planung von Aus- und Fortbildungen dringend notwendig, meint Vivianne Loschetter von Déi Gréng.
„Ich vermisse konkrete Berufsprofile oder zumindest konkretere Aussagen über die Inhalte, die eine universitäre Ausbildung braucht“, kritisiert Viviane Loschetter, die auch als Educatrice graduée an der Erhebung teilgenommen hat, die Ausrichtung der Untersuchung. Statt im Vorfeld Kompentenzen, Tätigkeitsfelder und Berufsanfordernisse „klar zu definieren“, hätten sich die AutorInnen mit „Wischi-Waschi“-Empfehlungen begnügt. Diese gingen kaum in die Tiefe, wie Sätze wie „Il est important d’élaborer des référentiels de compétences à partir de situations professionnelles réelles afin d’élaborer des cursus de formation professionnelle initiale et continue en lien avec les besoins du terrain“ oder nicht näher definierte Begriffe wie der „socle commun de compétences“ oder „des formations spécifiques de spécialisation“ belegen.
Im Sektor nichts Neues
„Die Studie bringt nicht viel Neues“, sagt denn auch der verantwortliche Sekretär für den Bereich „Educateurs/Educatrices“ vom OGBL, Raoul Schaaf, gegenüber der woxx. Die Gewerkschaft befürwortet die vom Hochschulministerium angestrebte Integration der Ausbildung zum Educateur gradué in die Hochschule, plädiert aber zugleich für eine andere Berufsbezeichnung. Die StudentInnen könnten zunächst mit angehenen gemeinsam LehrerInnen an der Universität studieren. An das für beide Berufe ausgerichtete Grundstudium könnte sich dann, so Schaaf, eine berufsspezifische Weiterbildung zum Sozialpädagogen/zur Sozialpädagogin anschließen. Vorteil des Begriffes „pédagogue sociale“: Er würde ein Angleichung auch an ausländische Diplome ermöglichen. ErzieherInnen ohne Hochschulausbildung, die so genannten „Educateurs/Educatrices diplomé-e.-s, „könnten in bestehende Strukturen, wie zum Beispiel das technische Lyzeum, integriert werden. Das würde auch deren Probleme lösen.“
Ein Vorschlag, der in der „Association professionnelle des éducateurs/trices gradué-e-s“ (APEG) ebenfalls Unterstützung findet.
„SozialpädagogINen“ erhalten in Deutschland eine universitäre Ausbildung und verdienen teilweise entsprechend höhere Gehälter. Die Ausbildung zur/zum „staatliche/n ErzieherIn“ hingegen dauert drei Jahre und wird an entsprechenden Fachschulen unterrichtet.
Nicht über den eigenen Tellerrand
Die Erhebung jedoch blendet auch diesen transregionalen Aspekt aus, obwohl eine beachtliche Zahl der Educateurs/Educatrices und Educateurs/Educatrices gradué-e-s aus Deutschland, Belgien oder Frankreich kommt und wohl auch in Zukunft kommen wird. Schließlich ist der sozio-edukative Sektor seit einigen Jahren am Boomen. Mit der für das nächste Jahr auf nationaler Ebene vorgesehenen „Education précoce“ ist vorerst auch kein Ende dieser Entwicklung abzusehen.
Die Studie hebt dafür etwas anderes besonders hervor: In der Praxis sei kaum zwischen jenen Tätigkeiten, die von Educateurs und von den höher qualifizierten „Educateurs gradués“ ausführen, zu unterscheiden. Dies gelte sogar bei Leitungsfunktionen. Ausbildung und berufliches Fortkommen scheinen sich also nicht zwangsläufig zu bedingen. Anders übersetzt: Selbst ein Bac +3 verspricht noch lange nicht ein solches Einkommen. Ein bemerkenswerter Trend, der vor allem bei den Gewerkschaften und den ErzieherInnen für erhebliche Kritik sorgt.
„Wenn Ausbildung bei der Beförderung oder Einstellung kaum eine Rolle spielt, dann können Arbeitgeber genausogut auf die günstigeren Educateurs zurückgreifen“, gibt Schaaf zu bedenken. Eine Entwicklung, die schon im Gange ist – darauf deuten die vielen Stellenanzeigen für nicht-graduierte Educateurs/Educatrices im konventionierten Sektor hin. Graduierte BerufsanfängerInnen haben immer öfter keine andere Möglichkeit, als die „deklassierten“ und somit geringer bezahlten Stellen anzunehmen. Das kommt wiederum dem Staat zugute, der als Geldgeber vieler Einrichtungen und Vereine im sozio-edukativen Bereich fungiert. Auf diesen käme – im Falle einer konsequent durchgeführten, gerechten Bezahlung für alle – Ausgaben in Millionenhöhe zu.
Auch um diesem Prozess der Entwertung entgegen zu steuern, fordern Gewerkschaften und APEG eindeutig Berufsprofile und klare Ausbildungsregelungen und die Integration der Educateurs gradué-e-s in die Hochschule. Sie könnte, das hofft jedenfalls Vivianne Loschetter von Déi Gréng, helfen, die leidige Gehälterfrage zu klären.
Ines Kurschat