GËLLE FRA: Don’t touch!

Wer sie anfasst, wird nicht zu Gold, sondern sorgt für Aufregung. Je mehr sich Luxemburg zur offenen Gesellschaft entwickelt, desto stärker wird der Drang, die „Gëlle Fra“ in nationalem Glanz erstarren zu lassen.

Man sollte Künstlerinnen und Kommissare in Zukunft davon abhalten, in irgendeiner Form am Goldlack der „Gëlle Frau“ zu kratzen. Fast scheint es nämlich, als werde das Monument erst durch seine Infragestellung zu dem, was manche in ihm gerne sehen: ein Symbol nationaler Identität. Denn das war es bis Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts ? trotz seines Schicksals im Zweiten Weltkrieg – keineswegs. Während die von Claus Cito geschaffene Skulptur im Keller des Stadions ihren Dornröschenschlaf schlief ? und ihre beiden männlichen Gegenparts wieder ihren Platz am Sockel einnahmen ? meinte Bürgermeister Hamilius 1951: „Et hu scho ganz vill Leit mir gesot, mir sollen elo ëmgotteswëll näischt méi drun änneren; et ass ganz rar, wann een emol een héiert, deen anerer Meenong ass.? Und niemand fand etwas dabei, dass der Platz zum Autoparking umgestaltet wurde. Auch heute wirkt die „Gëlle Frau“ eher als Wächterin der Touristenautos – wenn nicht gerade jemand versucht, sie symbolisch oder wortwörtlich von ihrem Sockel herunterzuholen.

Dass sich Nationalismus häufig in Form negativer Reaktion äußert, ist eine Binsenweisheit. Dass er aber auch im 21. Jahrhundert immer noch ? oder sogar von neuem – Blüten treibt, verwundert doch etwas. Gerade in Luxemburg ist die Vorstellung, dass zwischen Menschen, die innerhalb bestimmter Grenzen leben, stets eine besondere innere Verbindung besteht, leicht zu entkräften. So ermittelte Charles Fleury von Ceps-Instead für das Jahr 2007, dass nur 37 Prozent der in Luxemburg lebenden Erwachsenen von sich behaupten konnten, „Stacklëtzebuerger“ zu sein, d.h. in der Eltern- und der Großelterngeneration ausschließlich von in Luxemburg geborenen Personen abzustammen. Von den unter 16-Jährigen erfüllten nur noch 34 Prozent diese Bedingung.

Dabei wurde die Nationalität dieser Vorfahren noch nicht einmal in Betracht gezogen. Angesichts der jährlich mittlerweile über tausend Naturalisierungen und des Erfolgs der mehrfachen Staatsbürgerschaft sieht es aber auch auf dieser Ebene schlecht aus für die Luxemburger Identität. Und wenn man all jene betrachtet, die rein theoretisch die „Gëlle Fra“ aus eigenem Erleben als nationales Symbol empfinden könnten, da sie den Zweiten Weltkrieg wenigstens als Säuglinge noch miterlebt haben, so käme man nicht einmal mehr auf zehn Prozent der Bevölkerung.

Diese Zahlenspielereien zeigen ein demographisches Phänomen, das sich wohl überall auf der Welt in kleinen Ländern- beobachten lässt, aber nur in Luxemburg in solcher Deutlichkeit hervortritt, weil hier das Territorium von offiziellen Grenzen umgeben ist. Doch mit der nationalen Identität ist es wie mit dem Wetter, wo es die reelle und die gefühlte Temperatur gibt. Dass laut Ilres sogar unter der Bevölkerung ohne Luxemburger Ausweis noch ein Viertel gegen die Reise der Golden Lady eintrat, passt da durchaus ins Bild. Der Kosmopolitismus hat zwar keine Chance, aber wenigstens sind die nationalen Symbole für alle da ? ohne Passkontrolle.


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