HÄUSLICHE GEWALT: Den Zyklus durchbrechen

Häusliche Gewalt ist vor allem für das Opfer gefährlich, aber auch für die diensthabende Polizei. Eine bessere Ausbildung und das geplante Wegweisungsgesetz könnten mehr Sicherheit für alle schaffen.

„Das werde ich nicht mehr vergessen“, sagt Valérie Dupong. Prozesse zur häuslichen Gewalt hat die Familienrechtlerin schon einige erlebt, aber jener vor zwei Jahren war besonders extrem. Drei kleine Kinder aus dem luxemburgischen Süden zwischen einem und acht Jahren wurden Zeuge, wie ihr Vater ihre eigene Mutter malträtierte, schlug und schließlich mit seinen Händen förmlich zerriss. Tragischer Endpunkt einer sich über Jahren hinziehenden Gewaltspirale, die der Frau den qualvollen Tod brachte und dem Täter 18 Jahre Zuchthaus.

Dass häusliche Gewalt tödlich endet, ist zwar vergleichsweise selten. Gemeinsam aber haben die meisten Fälle, dass die Abstände zwischen einem Übergriff und dem nächsten kürzer werden, fast immer wird die Gewalt massiver, die Verletzungen für das Opfer gravierender. In ihrer Not und Ohnmacht bleibt für viele nur der Ruf um Hilfe von außen – der Polizei. Was aber, wenn diese nicht oder zu spät kommt, wenn sie sich weigert, Anzeigen entgegen zu nehmen, weil es ja doch wieder nur eine „Familienangelegenheit“ ist?

„Wir sind vom Gesetz verpflichtet alles aufzunehmen, was zur Anzeige gebracht werden soll“, weist Polizeisprecher entsprechende Vorwürfe zurück, die RechtsanwältInnen und Frauenorganisationen wiederholt in den vergangenen Jahren erhoben haben: Das Problem der häuslichen Gewalt werde von verschiedenen Polizeibeamten immer noch nicht ernst genug genommen, Anzeigen teilweise nur zögerlich notiert, Klischees über Frauen, die ihre gewalttätigen Partner provozierten, seien noch in vielen Köpfen verhaftet.

„Es gibt Polizisten, die machen gute Arbeit, es gibt andere, die machen eine eher schlechte“. Joelle Schranck, „chargée de direction“ des Vereins „Femmes en détresse“ und seit Jahren mit dem Thema Gewalt gegen Frauen befasst, will keine pauschalen Schuldzuweisungen, doch Kritik am Ist-Zustand hat auch sie: „In der Mentalität muss sich noch viel ändern, nicht nur bei der Polizei, die Einstellung der gesamten Gesellschaft hinkt beim Thema häusliche Gewalt Entwicklungen in anderen Ländern hinterher.“

Spezialausbildung für die Polizei

Damit sich das ändert und betroffenen Frauen (und Männer) künftig bessere polizeiliche Begleitung bekommen, hat das Frauenministerium eine Ausbildung für PolizeianwärterInnen initiiert, wie es sie in Deutschland und Österreich bereits seit einigen Jahren gibt. In der erstmalig vor zwei Jahren angelaufenen „Formation sur la violence domestique“ vermitteln sechs ausgebildete Trainerinnen aus der Frauenhausbewegung den SchülerInnen alles Wissenswerte über den brutalen Kreislauf: Theoretische Überlegungen darüber, wie Gewaltbeziehungen entstehen und was sie kennzeichnet, Aufklärung über Mythen und Vorurteile.

„Wir werden am Anfang oft gefragt, ob wir Männer hassen“, schildert Tania Cousin, eine Trainerin von „Femmes en détresse“, die Skepsis, die ihnen oft vor allem von männlichen Schülern entgegen gebracht wird. „Viele sehen das Ganze als Familienstreit und eine Privatangelegenheit, aus der sich Außenstehende rauszuhalten haben“, sagt sie. Eine gefährliche Sichtweise, denn wie wichtig staatliches Einschreiten sein kann, zeigen nicht zuletzt die tödlich endenden Fälle.

„Häusliche Gewalt ist einer der häufigsten Anlässe für Polizeieinsätze und oft sehr frustrierend“, erklärt Joachim Lempert. Der Hamburger Diplompsychologe, Psychotherapeut und Initiator der Beratungsstelle „Männer gegen Männergewalt“ gibt seit Jahren Polizei-Fortbildungen zu dem Thema und kennt die Schwierigkeiten vieler BeamtInnen sehr gut. „Wer nicht die Dynamik kennt, fragt sich nach mehreren Einsätzen in der gleichen Familie sicherlich, wieso trennt sich die Frau nicht?“ Gerade das Ineinander-Verwobensein von Täter und Opfer gehöre zur Gewaltbeziehung jedoch dazu.

Ausbruch extrem schwierig

Die Broschüre vom Familienministerium „Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“ nennt die Gründe, warum viele Frauen trotz Hilfsangebote im Teufelskreis der Gewalt gefangen bleiben: Angst um die Kinder, finanzielle Abhängigkeit, Schuld- und persönliche Versagensgefühle, extreme soziale Isolation (oft vom Partner forciert), mangelndes Wissen oder Scheu, Hilfe von außen anzunehmen. Ein erstes, unglückliches Zusammentreffen mit einem verständnislosen Ordnungspolizisten kann zudem dazu führen, dass Frauen sich wieder zurückziehen, weil ihnen ja sogar die Polizei nicht glaubt. Das kommt vor, wie Erfahrungsberichte von betroffenen Frauen zeigen.

„Das Schwerste sind die Vorurteile“ meint Cousin. Diese verhinderten oft eine adäquate Hilfe, so auch Christiane Wagener, Mitarbeiterin von „Femmes en détresse“.

In ihren Kursen betont Tania Cousin deshalb immer wieder, wie wichtig bestimmte Verhaltensregeln für den polizeilichen Umgang mit ehelicher Gewalt sind: ermittelnde Gespräche mit Täter und Opfer in getrennten Räumlichkeiten etwa, „um weiteren Streit zu verhindern“, besonnenes Auftreten und Zuhören, das Aufklären beider Parteien über ihre jeweiligen Rechte und die Folgen der Taten, das Bewerten, wie gefährlich die Situation ist, einen Arzt herbeirufen, um Verletzungen zu protokollieren etc.

Wie wichtig eine fundierte Polizeiausbildung ist, zeigt sich noch in einem weiteren Punkt: Einsätze bei gewaltvollen Familienauseinandersetzungen sind für die BeamtInnen oft sehr riskant – in den USA sollen sie zu den gefährlichsten überhaupt zählen. Gekonnt deeskalierend eingreifen zu können, schützt nicht nur die Frau, sondern auch die Polizei.

„Das Kuddelmuddel, das in vielen Gewaltsituationen zunächst herrscht, kann für die Beamten hochgefährlich werden“, weiß Joachim Lempert. Für einige endeten diese sogar tödlich. Statt „Ehestreitigkeiten“ zu schlichten, wie früher der Polizeiauftrag lautete, sei vor allem die seit Januar 2002 auch in Deutschland per Gesetz erlaubte Wegweisung gewalttätiger PartnerInnen wichtig. „Die Täter erleben das als Schock, aber auch als strukturierend“, sagt Lempert. Mit dem Instrument könne die Polizei nun zwischen Verantwortlichkeiten klar unterscheiden.

„Durch die Wegweisung aus der Wohnung übernimmt der Täter die Verantwortung für seine Tat und nicht mehr das Opfer“, begrüßt auch Joelle Schranck eine solche Regelung. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Frauenministerium, der sich am österreichischen Wegweisungsgesetz von April 1997 orientiert, liegt hierzulande bereits seit Mai 2001 vor, ist aber aufgrund von Einwänden des Staatsrats noch nicht vom Parlament verabschiedet (siehe woxx Nr. 590 und 646). Für die jungen PolizistInnen drängt gleichwohl die Zeit, um sich auf eine geänderte Gesetzeslage und eine neue Einsatzstrategie vorzubereiten. Und wer weiß, vielleicht lassen sich dann tödliche Eskalationen wie jene vor zwei Jahren verhindern. Vorausgesetzt, das Opfer ruft um Hilfe.

Ines Kurschat


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