Eltern sollen künftig gemeinsam das Sorgerecht für die Kinder erhalten. Dies sieht ein Gesetzesvorschlag des CSV-Abgeordneten Laurent Mosar vor. Das Ombudskomitee für Kinderrechte ist alarmiert.
Drei Mal war sie vor ihrem Peiniger ins Trierer Frauenhaus geflohen – und jedes Mal ist sie zum Mann zurückgekehrt. Ihre Begründung: wegen der Kinder. Die Mutter hatte ihre Kleinen zuletzt nur noch eine Stunde pro Woche im Jugendamt gesehen, in der übrigen Zeit blieben sie beim prügelnden Ehemann. Extrembeispiel für die Folgen eines geänderten Sorgerechts.
Seit vier Jahren ist die gemeinsame Sorge für Väter und Mütter in Deutschland der Regelfall. Seitdem klagen insbesondere Frauenhäuser über die negativen Auswirkungen der neuen Rechtslage.
Hintergrund ihrer Kritik: Die Täter, die Frauen und Kinder misshandeln oder missbrauchen, sind zu über 90 Prozent männlich. „Ein vom Misshandler unbehelligtes Leben ist kaum mehr möglich“, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser. Viele Männer würden das gemeinsame Sorgerecht missbrauchen, um über die Kinder Druck auf die geflohene Frau auszuüben. Weil Mütter per Gesetz verpflichtet sind, dem Vater die Kinder zumindest zeitweilig zu überlassen, sei „der Schutz der Frauen und Kinder nicht gewährleistet“.
Ähnliches könnte bald auch Frauenhäusern in Luxemburg drohen. Denn die CSV will die „autorité parentale conjointe“ einführen. Künftig, so schlägt der christ-soziale Abgeordnete Laurent Mosar in einer Proposition de loi vor, sollen Väter und Mütter zu gleichen Teilen für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich sein – egal ob verheiratet oder nicht. Der Politiker reagiert damit auf ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1999. Die hohen Richter sahen in der gängigen Praxis der Familiengerichte, im Scheidungsfall eher der Mutter das Sorgerecht fürs Kind zu erteilen, eine Diskriminierung der Väter.
„Wir befinden uns im 21. Jahrhundert“, begründet Mosar die Ausdehnung der „autorité conjointe“ auch auf nicht-eheliche Kinder. Sein Gesetz will der CSV-Politiker ausdrücklich als Appell an die Väter verstanden wissen. „Damit werden die Männer in die Pflicht genommen, sich verstärkt um ihre Kinder zu kümmern“, so Mosar, der sich der Zustimmung der Mütter sicher wähnt.
Öl aufs Feuer
Doch deren Reaktionen dürften ambivalent ausfallen. Marie-Anne Rodesch, Präsidentin des Ombudskomitees und Mutter von vier Kindern, zumindest ist skeptisch. „Das funktioniert nur, wenn ein Minimum an Kommunikation da ist.“ Ist der Rosenkrieg erst einmal ausgebrochen, sei der „Never ending Streit ums Kind“ vorprogrammiert. Die Schwierigkeiten beginnen schon mit der geplanten Scheidungsrechtsreform. Nach dem Gesetzentwurf der Regierung (woxx Nr. 698) soll es dem geschiedenen Elternteil, der die Kinder hauptsächlich erzieht, künftig möglich sein, mit den minderjährigen Kindern im Haus zu wohnen – selbst wenn die Unterkunft dem anderen PartnerIn gehört. Diese Regelung, die ursprünglich Scheidungskinder und ihre Mütter vor einem Wohnortswechsel bewahren sollte, wird nicht nur von FamilienrechtlerInnen scharf kritisiert. „Das trägt nicht zur friedlichen Lösung bei“, warnt Rodesch. Vielmehr könnten beide Elternteile nun erst recht für ihr alleiniges Sorgerecht streiten, um so vor allem die Wohnung zu behalten.
Anders sieht dies Laurent Mosar. Er hofft, dass im Gegenteil mit dem geteilten Sorgerecht der Kampf um die Kinder abnimmt. „Es wird für beide Parteien weniger interessant sich zu streiten, weil ja jeder ein Mitspracherecht in wichtigen Fragen behält.“ Kinderrechtlerin Rodesch lehnt ein geteiltes Sorgerecht zwar grundsätzlich nicht ab, sie befürchtet aber, dieses könnte im Fall von Streit und Gewalt in der Familie für Kinder schnell zum Dauer-Alptraum werden. Und deren Wohlbefinden sei schließlich wichtigstes Ziel.
Tatsächlich steht laut CSV-Vorschlag zunächst einmal allen Vätern das Sorgerecht zu. Das heißt, der Vater darf ebenso wie die Mutter mitentscheiden, wo beispielsweise Sohn oder Tochter Urlaub machen, wie sie erzogen werden oder welcher Religion sie angehören sollen. Er darf sie selbstverständlich besuchen – und auch zu sich nehmen. Bei friedlichen, klar geregelten Trennungs- und Scheidungsfällen kein Problem, und neuesten Studien zufolge für die Kindesentwicklung sogar wünschenswert – was aber, wenn der Vater oder die Mutter das Kind misshandelt oder gar die Entführung plant? Der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass „im Interesse des Kindes“ das Sorgerecht auch einem Partner alleine zugeteilt werden kann – aber Gerichtsprozesse dauern oft viele Monate, sogar Jahre. Derweil dauert das Trauma des Kindes, zum Kontakt mit dem gewalttätigen Vater rechtlich „verdonnert“, weiter an. Wie in solchen Fällen der Wille des Kindes berücksichtigt wird, präzisiert der Vorschlag auch nicht.
Erwungenes Glück?
„Ich bin mir dessen bewusst, dass ein gemeinsames Sorgerecht nicht immer zum Vorteil der Kinder ist“, sagt Laurent Mosar. Der Rechtsanwalt vertraut deshalb auf die Urteilskraft der Gerichte. Doch dass auch die Justiz irren kann, zeigt ein Fall aus dem grenznahen Zweibrücken. Dort landete eine Mutter in Beugehaft, weil sie dem mutmaßlich gewalttätigen Vater nicht das Versteck der gemeinsamen Kinder verraten wollte. Die drei hatten sich einer ersten freiwilligen Übergabe widersetzt – aus Angst „vor negativen Erfahrungen mit dem Vater“, wie ein Gutachten bestätigte. Nun fürchten die Kinder, die Mutter nicht mehr wieder zu sehen. Sechs Monate wird sie hinter Gittern bleiben müssen – danach, zitiert Spiegel-Online sie, will sie mit den Kindern im Ausland untertauchen.
Im Falle von Gewalt und Misshandlung plädieren deutsche Frauenhäuser deshalb für eine Aussetzung der gemeinsamen Sorge. „Mutter und Kind müssen zunächst stabilisiert werden, bevor man sie wieder mit ihrem Vater und Lebenspartner konfrontiert“, sagt Rita Woods. Die Frauenhausmitarbeiterin verweist auf die Folgen von Gewalt gegen Mütter auch für deren Kinder. „Kinder, die Zeugen von Gewalt gegenüber ihrer Bezugsperson geworden sind, sind bereits schwer traumatisiert.“ So hätten selbst Acht- und Neunjährige aus lauter Verzweiflung bereits die Flucht ihrer Mütter geplant. In Fällen, in denen Kinder den Vater ausdrücklich sehen wollen, schlägt Woods ein begleitetes so genanntes Umgangsrecht vor: Psychologisch geschultes Personal vom Jugendamt könnte den Besuch des gewalttätigen Vaters beaufsichtigen und in Notsituationen eingreifen.
Und in Luxemburg? Die Koordinatorin von „Femmes en détresse“, Joëlle Schranck hat sich zu dem Gesetzesvorschlag bisher nicht geäußert – er lag ihr noch nicht vor. Abgesprochen hat sich Laurent Mosar dafür mit seinem Parteikollegen Luc Frieden. Der Justizminister hatte bereits vor zwei Jahren ein Gesetz angekündigt, das die schwierige Frage des Sorgerechts regeln soll. Nach Aussagen von Parteifreund Mosar hatte Frieden aber keine Möglichkeit mehr gesehen, dieses noch vor dem Ende der Legislaturperiode vorzulegen. Wahlstrategisch ein kluger Schachzug: Dem zuständigen Minister bleibt die mühselige Arbeit erspart, einen kohärenten, mit bestehenden Rechtsnormen abgeglichenen Entwurf vorzulegen – und die CSV kann sich trotzdem rühmen, ein weiteres wichtiges Thema noch vor den Parlamentswahlen angepackt zu haben. Dass es der Vorlage offensichtlich an Tiefgang und an fachkundiger Diskussion fehlt, ist dabei nicht so wichtig. Hauptsache, die CSV hat die Debatte angestoßen. Die LSAP, deren Abgeordneter Alex Bodry gegenüber der woxx betont, es sei nicht Aufgabe der Opposition Gesetzestexte zu formulieren, guckt derweil in die Röhre. Dabei beansprucht diese die sozialen Fragen doch für sich.